Eduard von Keyserling – Gesammelte Werke. Eduard von Keyserling
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Название: Eduard von Keyserling – Gesammelte Werke

Автор: Eduard von Keyserling

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier

isbn: 9783962814601

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СКАЧАТЬ ist denn die gan­ze Af­fä­re ein so großes Un­glück? Ein hüb­sches, in­tel­li­gen­tes Mäd­chen wie Ro­set­te – haha – ich nenn sie im­mer Ro­set­te – das kommt über­all fort. Wie wäre es zum Bei­spiel mit dem Thea­ter? Ha­ben Sie dar­an schon ge­dacht?«

      »Nein!« ent­geg­ne­te Herr Herz er­staunt. Da­ran hat­te er wirk­lich nicht ge­dacht – und jetzt mach­te die­ser Ge­dan­ke auf ihn nur einen pein­li­chen Ein­druck. Sein müh­sa­mes, ärm­li­ches Ko­mö­di­an­ten­le­ben schweb­te ihm vor, und es er­schi­en ihm wie ein Hin­ab­stei­gen, wie ein Ver­lust an Wür­de, wenn aus der so­li­den Schank­schen Schü­le­rin eine Thea­ter­prin­zes­sin wer­den soll­te.

      »Das wäre doch so un­güns­tig nicht«, fuhr der Apo­the­ker fort und lä­chel­te schalk­haft. »Was wür­de Ro­set­te dazu sa­gen?«

      »Sie! Mein Gott! Sie sagt, sie will ihn hei­ra­ten.«

      Klappe­kahl ließ ein lei­ses Pfei­fen hö­ren und kratz­te sich mit dem klei­nen Fin­ger den Schei­tel. »Das ist et­was an­de­res. Aber – of­fen ge­sagt – wenn die El­tern des jun­gen Man­nes ihr Veto ein­le­gen, wenn er selbst nicht dar­an will, was kön­nen Sie tun? Zum Hei­ra­ten kann nie­mand ge­zwun­gen wer­den.«

      »Er hat es ihr ver­spro­chen«, wand­te Herr Herz kläg­lich ein.

      »Baba! So et­was tut man im Ju­gend­ei­fer. Wer von uns hat das nicht ge­tan? Hand aufs Herz! Sie – und ich – als wir jung wa­ren, in ei­ner Welt­stadt leb­ten, ha­ben wir da ge­glaubt, dass wir durch sol­che klei­ne Galan­te­ri­en ir­gend­wel­che Ver­bind­lich­keit über­neh­men? Nein – also! Sei­en wir ge­recht. Wie wol­len Sie nun den jun­gen Mann zwin­gen? Ein Duell? Ja, in ei­ner großen Stadt, da wäre auch das mög­lich; ich selbst wür­de mich Ih­nen ohne wei­te­res zum Se­kun­dan­ten an­bie­ten; ich weiß, wie sol­che Af­fä­ren aus­ge­tra­gen wer­den. Aber hier? Un­mög­lich!«

      »Un­mög­lich!« wie­der­hol­te Herr Herz ton­los. »Sie mei­nen also auch, das Kind soll fort?«

      »Es wird nicht an­ders ge­hen, mein ar­mer Freund.« Klappe­kahl reich­te dem Bal­let­tän­zer bei­de Hän­de. »Un­se­re Freund­schaft bleibt un­ge­trübt. Wir bei­de ha­ben ein Stück Welt ge­se­hen und wis­sen, was wir von den klein­städ­ti­schen Vor­ur­tei­len zu hal­ten ha­ben.« Zap­per un­ter­brach das Ge­spräch. »Herr Prin­zi­pal, es muss Gum­mi ara­bi­cum aus dem Ma­ga­zin ge­holt wer­den.«

      »Mein Gott! Jetzt tritt die Re­ak­ti­on ein. Die Stadt ist wie be­hext. Ich muss fort. Sie ent­schul­di­gen. Kann ich Ih­nen sonst hel­fen – Sie wis­sen – mit dem größ­ten Ver­gnü­gen. Mor­gen gebe ich eine klei­ne Soirée, so et­was zer­streut. Ich rech­ne auf Sie. Nur äl­te­re Leu­te, Sie ver­ste­hen – sonst wäre es mir ein Ver­gnü­gen ge­we­sen, Ro­set­te bei mir zu se­hen. Grü­ßen Sie das lie­be Kind von mir. Ar­ri­ve­der­ci! Ich kom­me – ich kom­me!« Da­mit lief er fort.

      Herr Herz war ein we­nig ge­trös­tet. Der Apo­the­ker hat­te we­nigs­tens nicht den über­le­ge­nen, jede Hoff­nung rau­ben­den Ton an­ge­nom­men.

      Er be­ur­teil­te Rosa mil­der und hät­te sie zu sei­ner Soirée ein­ge­la­den, wäre es nicht eine Soirée für äl­te­re Leu­te. Ja – er hat­te hübsch und herz­lich ge­spro­chen, der Apo­the­ker! – Aber Rosa muss­te den­noch fort – sie, die ein­zi­ge Freu­de des al­ten Bal­let­tän­zers. Bei sei­nem Al­ter war es fast ge­wiss, dass er sei­ne Toch­ter dann nie wie­der­se­hen wür­de. Eine Tren­nung für im­mer! Und doch muss­te es sein. Sie sag­ten es ja alle, die klu­gen, um­sich­ti­gen Leu­te. Er selbst war hilf­los. Was wuss­te er von all die­sen Rück­sich­ten? Er ver­stand die gan­ze sitt­li­che Ent­rüs­tung nicht. Und doch heg­te er eine so tie­fe Ver­ach­tung sei­ner Ver­gan­gen­heit, dass er sei­ne An­sich­ten und An­schau­un­gen, die sich von je­ner Ver­gan­gen­heit doch nicht ganz los­ma­chen konn­ten, im vor­hin­ein für falsch und ge­mein hielt. Sein ei­ge­nes Ur­teil kas­sier­te er ohne zu zau­dern vor dem Ur­teil der ver­nünf­ti­gen, tu­gend­stol­zen Bür­ger, die nie um das täg­li­che Brot hat­ten tan­zen oder um einen lum­pi­gen Vor­schuss bei ei­nem lum­pi­gen Di­rek­tor hat­ten krie­chen müs­sen. Rosa muss­te fort, das war ge­wiss, und ne­ben dem Schmerz über die be­vor­ste­hen­de Tren­nung emp­fand Herr Herz auch leb­haf­te Furcht vor sei­ner Toch­ter. Wie soll­te er ihr sei­nen Ent­schluss mit­tei­len? Ab­ge­spannt, trau­rig, hung­rig und müde kehr­te er nach Hau­se zu­rück.

      Rosa saß in der Fens­ter­ni­sche des Wohn­zim­mers und näh­te. Sie trug ihr blau­es Sonn­tags­kleid; die Haa­re hin­gen nicht wie sonst über den Rücken nie­der, son­dern wa­ren auf­ge­steckt und mit ei­nem blau­en Ban­de ge­schmückt, das Herr Herz noch nicht kann­te, und wie sie ru­hig auf ihre Ar­beit nie­der­ge­beugt da­saß, er­schi­en sie ih­rem Va­ter schö­ner und äl­ter als sonst. Das war nicht mehr Rosa, das Kind. Über die­ser blon­den Ge­stalt lag eine erns­te Jung­fräu­lich­keit, die den Bal­let­tän­zer über­rasch­te und ein­schüch­ter­te; er wag­te nicht so recht mit sei­nem Be­richt her­aus­zu­rück­en und ging un­s­tet im Zim­mer auf und ab. Rosa näh­te fort, als be­merk­te sie die Auf­re­gung ih­res Va­ters gar nicht. End­lich, als sie einen Fa­den über die Wachs­rol­le zog, blick­te sie mit ru­hi­gen, kla­ren Au­gen auf und frag­te: »Nun?«

      Herr Herz blieb ste­hen, zuck­te die Ach­seln: »Es ist noch nichts aus­ge­macht. Das heißt, ich muss zu­se­hen…«

      »Wen hast du ge­spro­chen?«

      »Alle Welt, La­nin, Klappe­kahl. Mein Gott, wo bin ich nicht al­les ge­we­sen!«

      »Was sag­ten sie?« – Herr Herz fand sei­ne Toch­ter zu ge­sam­melt, zu ru­hig, das ver­wirr­te ihn. »Ge­sagt ha­ben sie ge­nug. Aber – was! Schließ­lich ist es auch gleich­gül­tig, was sie ge­sagt ha­ben. Wir wer­den uns schon selbst hel­fen.«

      »Reist Am­bro­si­us ab?«

      »Ja – mor­gen; La­nin sagt das we­nigs­tens.«

      »Und sie wol­len alle, ich soll nach Russ­land fort?«

      »Ja – sie ha­ben alle da­von ge­spro­chen.« Die schma­len, tro­ckenen Lip­pen des al­ten Man­nes beb­ten. »Und, lie­bes Kind, was kann ich tun? Wenn die schlech­ten Leu­te dich hier quä­len, wenn sie dir das Le­ben un­mög­lich ma­chen – – nimm Ver­nunft an – Rosa – Kind.« Jetzt wein­te er. »Du musst viel­leicht doch fort.«

      Still hör­te Rosa zu, nur ein we­nig blei­cher wur­de sie. Jetzt biss sie ener­gisch das Ende ei­nes Fa­dens ab, um ihn in die Na­del zu fä­deln, und sag­te lei­se: »Gut, ich wer­de ge­hen.« Dann näh­te sie.

      Ver­blüfft schau­te Herr Herz sein Kind an. Was war denn pas­siert? Die blas­se, er­ge­be­ne Rosa ward ihm un­heim­lich; er ver­stand sie nicht mehr. Al­les gab sie auf und woll­te ge­hen?

      Ag­nes Stock­mai­er kün­dig­te mit Gra­bes­s­tim­me an, die Sup­pe war­te. Rosa fal­te­te ihre Ar­beit zu­sam­men, glät­te­te sich mit den Hand­flä­chen das Haar und trat zu ih­rem Va­ter: »Komm«, sag­te sie und um­schlang СКАЧАТЬ