Название: Eduard von Keyserling – Gesammelte Werke
Автор: Eduard von Keyserling
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier
isbn: 9783962814601
isbn:
»Ich – eine Bonne!« fuhr Rosa auf. »So etwas kann sich auch nur diese Alte ausdenken.«
»Warum? Eine Bonne ist doch nichts Schlechtes. Oder nenne es Gouvernante, Gesellschafterin – wie du willst.«
»Ich danke schön.«
Herr Herz war in Verzweiflung. Der kurzen, mit tiefer Stimme gesprochenen Antwort hörte er es wohl an, wie sehr er seine Tochter verletzt hatte. Nun sollte er sie noch zu diesem Plan überreden, der ihm selbst fast das Herz brach. Was konnte er tun? Rosas Leichtsinn, all das Schlimme, was die Leute ihr nachsagen und antun würden, bereitete ihm arge Pein. Gerade weil er sich den größten Teil seines Lebens in einer Welt bewegt hatte, in der es mit der weiblichen Tugend so wenig genau genommen wurde, gerade deshalb erfüllten ihn die strengen Grundsätze der solid bürgerlichen Gesellschaft mit um so größerer Achtung, jener Gesellschaft, in die aufgenommen worden zu sein der Triumph seines Lebens war. Nun wollte diese bewunderte Gesellschaft seine Rosa verstoßen. Sein Kind sollte dieser Gesellschaft unwürdig sein. Hatte Rosa sich nicht ganz an die Regeln der Sittsamkeit gehalten, wie ein gutes Bürgermädchen es muss, fiel nicht der größte Teil der Schuld auf ihn zurück? Der alte Ballettänzer, dessen höchstes Ideal es war, ein tadelloser Spießbürger zu sein, glaubte zu sehen, wie in Rosa etwas von seiner ungeordneten Vergangenheit erwachte, und er sagte sich: »Wird dieses Kind kein braves, geachtetes Bürgermädchen wie Sally Lanin und Ernestine Klappekahl, so bist du daran schuld, denn du vermochtest ihr keinen braven, geachteten Bürger zum Vater zu geben.« Aber wie allen schwachen Gemütern mit reger Einbildungskraft gelang es Herrn Herz, bald über diese traurigen Gedanken hinwegzukommen. Warum sollte Ambrosius Rosa nicht heiraten? Ein vernünftiger Grund war dagegen nicht vorzubringen. Und kam die Heirat zustande, dann war ja alles in bester Ordnung. »Übrigens«, wandte er sich an seine Tochter, »dürfen wir die Köpfe nicht hängen lassen. Ich gehe morgen zu Lanin, spreche mit ihm – mit dem jungen Mann auch. Hoffentlich klärt sich alles günstig auf, und dann brauchen wir die Russen der Schank nicht mehr. Der Gedanke einer Trennung von dir wollte mir ohnehin nicht in den Kopf. Also munter – munter! Agnes – die Lampe!« Er lachte – er freute sich jetzt sogar, dass Rosa Aussicht hatte, eine gute Partie zu machen.
»Eins aber sage ich dir«, versetzte Rosa, »mit der Schank spreche ich morgen nicht.«
»Nein – nein«, erwiderte Herr Herz. »Aber du darfst ihr nicht böse sein.«
Als Agnes die Lampe brachte, zeigte es sich, dass sowohl Rosa wie auch ihr Vater verweinte Augen hatten, beide sahen aber ruhig, Herr Herz sogar fröhlich aus. Er trieb allerhand Possen, neckte Rosa, spottete über die Lanins; ja – die Sache hatte in seinen Augen plötzlich ein so günstiges Ansehen gewonnen, dass er Rosa den ganzen Abend über »die kleine Braut« nannte. Und als sie nach dem Nachtmahl miteinander Piquet spielten, waren sie ausgelassen wie Kinder, die ihren tollen Einfällen die Zügel schießen lassen, weil die erwachsenen Leute ausgegangen sind. Nur Agnes ging bleich und mürrisch ab und zu. Jedesmal wenn sie das Wohnzimmer betrat, ward Herr Herz stiller und blinzelte Rosa mit den Wimpern heimlich zu; und ging Agnes wieder hinaus, dann flüsterte er: »Warum die nur heute so brummig ist?«
Sechzehntes Kapitel
Als der Ballettänzer am folgenden Morgen vor dem Spiegel stand und nachdenklich sein spärliches Haar bürstete, verspürte er nichts mehr von der guten Laune des vorigen Abends. Seufzend holte er den schwarzen Visitenrock aus dem Kasten, zog ihn langsam und zögernd an; dann beschäftigte er sich noch eine halbe Stunde damit, seinen Hut zu reinigen, und trat endlich, da es doch sein musste, den sauern Weg an. Dazu kam heute eine niederschlagende, unbehagliche Witterung. Der Himmel war ganz mit gleichmäßig hellgrauen Wolken bedeckt, und in der Luft herrschte eine schwüle Ruhe. Tage, die keinen ordentlichen Sonnenschein hatten, verstimmten Herrn Herz immer; nun noch unter diesen Umständen!
Er schellte an der Laninschen Haustüre, und während er draußen wartete, zogen sich die greisen Haarbüschel über seinen Augen zusammen, und sein armes, sorgenvolles Gesicht ward ganz rot. Das kleine Dienstmädchen öffnete endlich. »Ist der Herr Bürgermeister zu Hause?« fragte Herr Herz.
»Jawohl, bitte nur näherzutreten.«
Das Dienstmädchen verschwand und ließ den Ballettänzer im Salon allein, in diesem Salon, der mit seinen Möbeln in weißkalikot Überzügen, mit seinem blankgebohnerten Estrich, seinen ernsten Fotografien, mit seiner ganzen soliden Steifheit dem alten Mann das Herz schwermachte. Eine Türe öffnete sich halb, und Frau Lanins Kopf, von der Nachthaube bedeckt, zeigte sich und verschwand wieder. An einer anderen Türe machte sich Fräulein Sally bemerkbar durch das Rauschen und Flattern weißer Unterröcke. Nach einigen Minuten kehrte das Dienstmädchen zurück und bat Herrn Herz, in die Stube des Herrn hinüberzugehen.
Da saß der Herr in seiner Stube vor dem großen Schreibtisch. Der kaneelbraune Schlafrock mit den kirschroten Sammetaufschlägen war – der Hitze wegen – offen und ließ die breite Brust des Chefs der Firma Lanin sehen. Das Gesicht war vom Schlaf noch bleich und geschwollen, die Stimme belegt. »Ich habe die Ehre, lieber Herz. Ich weiß es schon, was Sie so früh zu mir führt.« Indem Herr Lanin dieses im Ton feierlichen Beileids dem Ballettänzer entgegenrief, reichte er ihm eine dicke, lauwarme Hand.
»Ja, ja; das ist’s«, erwiderte Herr Herz.
»Gut! Setzen Sie sich.«
Herr Herz setzte sich auf Conrad Lurchs Rohrstühlchen.
»Es ist schlimm«, begann Herr Lanin und schaute mit seinen kleinen, glanzlosen Augen zum Fenster hinaus. »Recht traurig! Was gedenken Sie zu tun? Sie wollten meinen Rat einholen; ich verstehe. Aber, da ist schwer raten. Wie Fräulein Schank mir sagt, hat sich eine Stelle für Ihre Tochter gefunden, als Bonne, glaube ich. Das wäre ja günstig.«
Bei Lanins Worten begriff Herr Herz erst Rosas Entrüstung, als er ihr den Vorschlag gestern gemacht hatte, denn das Wort »Stelle« klang im Munde des Bürgermeisters wie etwas sehr Gemeines – und nun noch »Bonne« – mit seinem knallenden B und dem widrig nachschnurrenden Doppel-N. Herr Herz stützte die Ellenbogen auf die Knie, faltete die СКАЧАТЬ