Eduard von Keyserling – Gesammelte Werke. Eduard von Keyserling
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Eduard von Keyserling – Gesammelte Werke - Eduard von Keyserling страница 42

Название: Eduard von Keyserling – Gesammelte Werke

Автор: Eduard von Keyserling

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier

isbn: 9783962814601

isbn:

СКАЧАТЬ lie­fen, füg­te er doch mun­ter hin­zu: »Was meinst du, Kind? Rei­sen. – Die Welt se­hen?«

      »Ich – eine Bon­ne!« fuhr Rosa auf. »So et­was kann sich auch nur die­se Alte aus­den­ken.«

      »Wa­rum? Eine Bon­ne ist doch nichts Schlech­tes. Oder nen­ne es Gou­ver­nan­te, Ge­sell­schaf­te­rin – wie du willst.«

      »Ich dan­ke schön.«

      Herr Herz war in Verzweif­lung. Der kur­z­en, mit tiefer Stim­me ge­spro­che­nen Ant­wort hör­te er es wohl an, wie sehr er sei­ne Toch­ter ver­letzt hat­te. Nun soll­te er sie noch zu die­sem Plan über­re­den, der ihm selbst fast das Herz brach. Was konn­te er tun? Ro­sas Leicht­sinn, all das Schlim­me, was die Leu­te ihr nach­sa­gen und an­tun wür­den, be­rei­te­te ihm arge Pein. Gera­de weil er sich den größ­ten Teil sei­nes Le­bens in ei­ner Welt be­wegt hat­te, in der es mit der weib­li­chen Tu­gend so we­nig ge­nau ge­nom­men wur­de, ge­ra­de des­halb er­füll­ten ihn die stren­gen Grund­sät­ze der so­lid bür­ger­li­chen Ge­sell­schaft mit um so grö­ße­rer Ach­tung, je­ner Ge­sell­schaft, in die auf­ge­nom­men wor­den zu sein der Tri­umph sei­nes Le­bens war. Nun woll­te die­se be­wun­der­te Ge­sell­schaft sei­ne Rosa ver­sto­ßen. Sein Kind soll­te die­ser Ge­sell­schaft un­wür­dig sein. Hat­te Rosa sich nicht ganz an die Re­geln der Sitt­sam­keit ge­hal­ten, wie ein gu­tes Bür­ger­mäd­chen es muss, fiel nicht der größ­te Teil der Schuld auf ihn zu­rück? Der alte Bal­let­tän­zer, des­sen höchs­tes Ide­al es war, ein ta­del­lo­ser Spieß­bür­ger zu sein, glaub­te zu se­hen, wie in Rosa et­was von sei­ner un­ge­ord­ne­ten Ver­gan­gen­heit er­wach­te, und er sag­te sich: »Wird die­ses Kind kein bra­ves, ge­ach­te­tes Bür­ger­mäd­chen wie Sal­ly La­nin und Er­nes­ti­ne Klappe­kahl, so bist du dar­an schuld, denn du ver­moch­test ihr kei­nen bra­ven, ge­ach­te­ten Bür­ger zum Va­ter zu ge­ben.« Aber wie al­len schwa­chen Ge­mü­tern mit re­ger Ein­bil­dungs­kraft ge­lang es Herrn Herz, bald über die­se trau­ri­gen Ge­dan­ken hin­weg­zu­kom­men. Wa­rum soll­te Am­bro­si­us Rosa nicht hei­ra­ten? Ein ver­nünf­ti­ger Grund war da­ge­gen nicht vor­zu­brin­gen. Und kam die Hei­rat zu­stan­de, dann war ja al­les in bes­ter Ord­nung. »Üb­ri­gens«, wand­te er sich an sei­ne Toch­ter, »dür­fen wir die Köp­fe nicht hän­gen las­sen. Ich gehe mor­gen zu La­nin, spre­che mit ihm – mit dem jun­gen Mann auch. Hof­fent­lich klärt sich al­les güns­tig auf, und dann brau­chen wir die Rus­sen der Schank nicht mehr. Der Ge­dan­ke ei­ner Tren­nung von dir woll­te mir oh­ne­hin nicht in den Kopf. Also mun­ter – mun­ter! Ag­nes – die Lam­pe!« Er lach­te – er freu­te sich jetzt so­gar, dass Rosa Aus­sicht hat­te, eine gute Par­tie zu ma­chen.

      »Eins aber sage ich dir«, ver­setz­te Rosa, »mit der Schank spre­che ich mor­gen nicht.«

      »Nein – nein«, er­wi­der­te Herr Herz. »Aber du darfst ihr nicht böse sein.«

      Als Ag­nes die Lam­pe brach­te, zeig­te es sich, dass so­wohl Rosa wie auch ihr Va­ter ver­wein­te Au­gen hat­ten, bei­de sa­hen aber ru­hig, Herr Herz so­gar fröh­lich aus. Er trieb al­ler­hand Pos­sen, neck­te Rosa, spot­te­te über die Lan­ins; ja – die Sa­che hat­te in sei­nen Au­gen plötz­lich ein so güns­ti­ges An­se­hen ge­won­nen, dass er Rosa den gan­zen Abend über »die klei­ne Braut« nann­te. Und als sie nach dem Nacht­mahl mit­ein­an­der Pi­quet spiel­ten, wa­ren sie aus­ge­las­sen wie Kin­der, die ih­ren tol­len Ein­fäl­len die Zü­gel schie­ßen las­sen, weil die er­wach­se­nen Leu­te aus­ge­gan­gen sind. Nur Ag­nes ging bleich und mür­risch ab und zu. Je­des­mal wenn sie das Wohn­zim­mer be­trat, ward Herr Herz stil­ler und blin­zel­te Rosa mit den Wim­pern heim­lich zu; und ging Ag­nes wie­der hin­aus, dann flüs­ter­te er: »Wa­rum die nur heu­te so brum­mig ist?«

      Sechzehntes Kapitel

      Als der Bal­let­tän­zer am fol­gen­den Mor­gen vor dem Spie­gel stand und nach­denk­lich sein spär­li­ches Haar bürs­te­te, ver­spür­te er nichts mehr von der gu­ten Lau­ne des vo­ri­gen Abends. Seuf­zend hol­te er den schwar­zen Vi­si­ten­rock aus dem Kas­ten, zog ihn lang­sam und zö­gernd an; dann be­schäf­tig­te er sich noch eine hal­be Stun­de da­mit, sei­nen Hut zu rei­ni­gen, und trat end­lich, da es doch sein muss­te, den sau­ern Weg an. Dazu kam heu­te eine nie­der­schla­gen­de, un­be­hag­li­che Wit­te­rung. Der Him­mel war ganz mit gleich­mä­ßig hell­grau­en Wol­ken be­deckt, und in der Luft herrsch­te eine schwü­le Ruhe. Tage, die kei­nen or­dent­li­chen Son­nen­schein hat­ten, ver­stimm­ten Herrn Herz im­mer; nun noch un­ter die­sen Um­stän­den!

      Er schell­te an der Lan­in­schen Hau­stü­re, und wäh­rend er drau­ßen war­te­te, zo­gen sich die grei­sen Haar­bü­schel über sei­nen Au­gen zu­sam­men, und sein ar­mes, sor­gen­vol­les Ge­sicht ward ganz rot. Das klei­ne Dienst­mäd­chen öff­ne­te end­lich. »Ist der Herr Bür­ger­meis­ter zu Hau­se?« frag­te Herr Herz.

      »Ja­wohl, bit­te nur nä­her­zu­tre­ten.«

      Das Dienst­mäd­chen ver­schwand und ließ den Bal­let­tän­zer im Sa­lon al­lein, in die­sem Sa­lon, der mit sei­nen Mö­beln in weiß­ka­li­kot Über­zü­gen, mit sei­nem blank­ge­boh­ner­ten Estrich, sei­nen erns­ten Fo­to­gra­fi­en, mit sei­ner gan­zen so­li­den Steif­heit dem al­ten Mann das Herz schwer­mach­te. Eine Türe öff­ne­te sich halb, und Frau Lan­ins Kopf, von der Nacht­hau­be be­deckt, zeig­te sich und ver­schwand wie­der. An ei­ner an­de­ren Türe mach­te sich Fräu­lein Sal­ly be­merk­bar durch das Rau­schen und Flat­tern wei­ßer Un­ter­rö­cke. Nach ei­ni­gen Mi­nu­ten kehr­te das Dienst­mäd­chen zu­rück und bat Herrn Herz, in die Stu­be des Herrn hin­über­zu­ge­hen.

      Da saß der Herr in sei­ner Stu­be vor dem großen Schreib­tisch. Der ka­neel­brau­ne Schlaf­rock mit den kirsch­ro­ten Sam­me­tauf­schlä­gen war – der Hit­ze we­gen – of­fen und ließ die brei­te Brust des Chefs der Fir­ma La­nin se­hen. Das Ge­sicht war vom Schlaf noch bleich und ge­schwol­len, die Stim­me be­legt. »Ich habe die Ehre, lie­ber Herz. Ich weiß es schon, was Sie so früh zu mir führt.« In­dem Herr La­nin die­ses im Ton fei­er­li­chen Bei­leids dem Bal­let­tän­zer ent­ge­gen­rief, reich­te er ihm eine di­cke, lau­war­me Hand.

      »Ja, ja; das ist’s«, er­wi­der­te Herr Herz.

      »Gut! Set­zen Sie sich.«

      Herr Herz setz­te sich auf Con­rad Lurchs Rohr­stühl­chen.

      »Es ist schlimm«, be­gann Herr La­nin und schau­te mit sei­nen klei­nen, glanz­lo­sen Au­gen zum Fens­ter hin­aus. »Recht trau­rig! Was ge­den­ken Sie zu tun? Sie woll­ten mei­nen Rat ein­ho­len; ich ver­ste­he. Aber, da ist schwer ra­ten. Wie Fräu­lein Schank mir sagt, hat sich eine Stel­le für Ihre Toch­ter ge­fun­den, als Bon­ne, glau­be ich. Das wäre ja güns­tig.«

      Bei Lan­ins Wor­ten be­griff Herr Herz erst Ro­sas Ent­rüs­tung, als er ihr den Vor­schlag ges­tern ge­macht hat­te, denn das Wort »Stel­le« klang im Mun­de des Bür­ger­meis­ters wie et­was sehr Ge­mei­nes – und nun noch »Bon­ne« – mit sei­nem knal­len­den B und dem wid­rig nach­schnur­ren­den Dop­pel-N. Herr Herz stütz­te die El­len­bo­gen auf die Knie, fal­te­te die СКАЧАТЬ