Eduard von Keyserling – Gesammelte Werke. Eduard von Keyserling
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Название: Eduard von Keyserling – Gesammelte Werke

Автор: Eduard von Keyserling

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier

isbn: 9783962814601

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СКАЧАТЬ wenn Sie mit Fräu­lein Rosa fort­ge­hen? Wa­rum soll ich Geld ris­kie­ren, da­mit an­de­re Leut sich – sich –?« Er sprach den Schluss nicht aus, son­dern schluck­te ihn laut und müh­sam hin­un­ter.

      »Gut, gut! Wir wis­sen’s schon!« mein­te Am­bro­si­us und er­hob sich, um im Zim­mer auf und ab zu ge­hen.

      »Ich tu’s eben nicht«, wie­der­hol­te Lurch, in­dem er ver­stockt mit dem Kop­fe wa­ckel­te. Am­bro­si­us blieb vor ihm ste­hen, zog die Au­gen­brau­en em­por und sag­te mit ei­ner Stim­me, die rau ward, weil sie ru­hig sein woll­te: »Hab ich denn et­was ge­sagt? So schwei­gen Sie doch! Es ist ge­wiss nicht un­ter­hal­tend, im­mer das­sel­be an­hö­ren zu müs­sen. Ich habe Sie ge­be­ten, noch zwan­zig Mi­nu­ten hier zu war­ten, nur das. Vi­el­leicht ist es nicht ge­gen Ihre Grund­sät­ze, hier zu war­ten?«

      »Nein«, er­wi­der­te Lurch, »das kann ich tun. Mir ist es gleich, kann hier noch ein we­nig sit­zen blei­ben, aber un­ter­schrei­ben – nein, das nicht!«

      Die­se zwan­zig Mi­nu­ten be­ängs­tig­ten ihn den­noch. Was konn­ten sie zu be­deu­ten ha­ben? Da Am­bro­si­us ihm aber den Rücken zu­kehr­te, schwieg er und blick­te wie­der sor­gen­voll auf sei­ne alte, fal­ti­ge Wes­te nie­der.

      Nun war das är­ger­li­che Klapp-klapp von Am­bro­si­us’ Schrit­ten, der in sei­ner Auf­re­gung be­son­ders hart mit dem Ab­satz auf­trat, der ein­zi­ge Laut im Ge­mach. Ein schwü­les Un­be­ha­gen las­te­te auf die­sem fa­den­schei­ni­gen Zim­mer mit sei­ner schmut­zig­gel­ben Däm­me­rung, auf den drei blei­chen Men­schen, die sich schie­fe, un­si­che­re Bli­cke zu­war­fen. Und der wei­ße Pa­pier­streif auf dem Tisch, dort ne­ben der halb­zer­bro­che­nen Tin­ten­fla­sche und dem Fe­der­hal­ter, den Idas spit­ze Zäh­ne rund­um be­nagt hat­ten – da lag er, ließ den Son­nen­strahl über sich hin­zit­tern und war­te­te ru­hig, mit­ten in all der Pein, die er sei­ner Um­ge­bung be­rei­te­te.

      Am­bro­si­us schau­te zu­wei­len zur Türe hin. Er hat­te Ida zu Rosa hin­über­ge­schickt mit dem Be­fehl: Rosa sol­le so­fort kom­men. Den Bit­ten des Mäd­chens wür­de Lurch nicht wi­der­ste­hen, ge­wiss nicht! Die­ses Mit­tel an­zu­wen­den war fa­tal, aber da es kei­nen an­de­ren Aus­weg gab, so muss­te man ja. Nicht wahr? Was war üb­ri­gens da­bei? Nur zö­ger­te Rosa. Zehn Mi­nu­ten wa­ren be­reits ver­stri­chen. Die pein­li­che Lage dau­er­te oh­ne­hin schon zu lan­ge.

      Mit dem dum­men Lurch und dem schmut­zi­gen Ju­den in die­sem übel­rie­chen­den Zim­mer ein­ge­sperrt zu sein, ward end­lich un­er­träg­lich. Am liebs­ten hät­te er jetzt al­les auf­ge­ge­ben. Eine un­bän­di­ge Wut koch­te in ihm auf, eine Wut, die al­les hät­te zer­schla­gen und zer­sto­ßen mö­gen. Da ward die Türe auf­ge­ris­sen. Eine Flut von Licht, ein war­mer Wind, der Lev­ko­jen­düf­te mit­brach­te, dran­gen ins Zim­mer, und auf der Schwel­le stand Rosa. Am­bro­si­us’ sor­gen­vol­le Mie­ne hei­ter­te sich auf. Rosa er­schi­en ihm wie eine Er­lö­sung, wie Luft und Licht, die in einen fins­tern, dump­fen Ort drin­gen. Noch nie glaub­te er sei­ne Ge­lieb­te so schön, so hei­ter und hell ge­se­hen zu ha­ben wie in die­sem Au­gen­blick, da sie auf der Schwel­le des Tröd­ler­la­dens stand, die Tür­klin­ke in der Hand, den Kopf vor­ge­beugt, die Au­gen weit auf und him­mel­hell, den Mund ein we­nig schief zu ei­nem neu­gie­ri­gen Lä­cheln ver­zo­gen. Dazu hat­te Rosa heu­te et­was dar­ein­ge­setzt, wie ein klei­nes Mäd­chen ge­klei­det zu sein. Die Zöp­fe hin­gen über den Rücken nie­der. Das frisch ge­wa­sche­ne blaue Som­mer­kleid ließ die Halbstie­fel und ein Stück des wei­ßen Strump­fes se­hen. Im schwar­zen Le­der­gurt stak ein Strauß wei­ßer Lev­ko­jen, und all die­se le­bens­vol­len, lus­ti­gen Far­ben brach­ten in die miss­lau­ni­ge Däm­me­rung des Ju­den­zim­mers et­was fro­hes, ju­gend­lich rei­nes.

      »Da bist du ja!« sag­te Am­bro­si­us und ging Rosa ent­ge­gen.

      »Was gibt es denn?« frag­te die­se.

      »Wart, ich sag’s dir drau­ßen.« Mit die­sen Wor­ten leg­te Am­bro­si­us sehr freund­lich sei­nen Arm um Ro­sas Tail­le und führ­te sie in den Hof hin­aus.

      Mit of­fe­nem Mun­de, ein ros­ti­ges Rot auf den spit­zen Ba­cken­kno­chen, starr­te Lurch auf die Türe. Jetzt, da sie sich hin­ter Rosa schloss, sprang er auf, schau­te wirr um sich. »Wo ist mein Hut?« frag­te er.

      »Die zwan­zig Mi­nu­ten sind noch nicht um«, ent­geg­ne­te Wulf.

      »Gleich­viel!« Oh, jetzt be­griff er al­les, und er fürch­te­te sich. »Mei­nen Hut, Wulf!«

      Der Jude lä­chel­te sein ge­dul­di­ges Lä­cheln. »Der Hut liegt dort auf dem Stuhl, Herr Lurch, aber von den zwan­zig Mi­nu­ten feh­len noch fünf. Ver­spro­chen ist ver­spro­chen.«

      »Ach was!« rief Lurch und griff nach sei­nem Hut; als er ihn aber in der Hand hielt, dreh­te er ihn nach­denk­lich zwi­schen den Fin­gern hin und her. »Fünf Mi­nu­ten, sag­ten Sie?« frag­te er lei­se. Der Tröd­ler nick­te. »Die kann ich wohl noch ab­war­ten«, be­schloss Lurch end­lich. »Ich muss viel­leicht.« Lang­sam setz­te er sich wie­der. So ohne wei­te­res fort­ge­hen, das konn­te er nicht. Ro­sas An­blick hat­te sein ar­mes, ver­dros­se­nes Ge­müt er­schüt­tert, hat­te es mit war­mer, licht­vol­ler Auf­re­gung er­füllt, die ihm noch in al­len Glie­dern nach­zit­ter­te. Und dann – sie wird ihn ja bit­ten, sie wird es ver­su­chen, ihn zu über­re­den – sie – ihn! Lurchs Lip­pen brann­ten, und der Hals wur­de ihm von in­ne­rer Rüh­rung zu­ge­schnürt. Sie – ihn bit­ten!

      »Ein schö­nes Fräu­lein!« be­merk­te Wulf »Ein wun­der­schö­nes Fräu­lein.«

      »Ja!« stöhn­te Lurch auf, füg­te je­doch so­gleich ein ver­drieß­li­ches »Ziem­lich« hin­zu. Die fünf Mi­nu­ten wa­ren längst ver­stri­chen, und Lurch saß noch im­mer da und war­te­te.

      End­lich kehr­ten Am­bro­si­us und Rosa zu­rück. Rosa war ernst und zog die Stir­ne kraus, als wäre ihr et­was Wi­d­ri­ges be­geg­net. In der Tat, sie ver­stand die gan­ze Le­bens­la­ge nicht, und sie war ihr fa­tal. Am­bro­si­us sag­te zwar, es sei nichts Schlech­tes, was sie tun soll­te. Lurch kön­ne da­bei nicht zu Scha­den kom­men, und es sei nur Ei­gen­sinn von ihm, dass er die­se klei­ne For­ma­li­tät nicht er­fül­len moch­te, ob­gleich al­les von die­ser For­ma­li­tät ab­hing. Gut! Rosa be­griff nur nicht, warum Lurch ihr ge­hor­chen soll­te. Wenn er es nicht tun woll­te, was konn­te sie da­für? – Er lieb­te sie. – Was? – Lurch lieb­te sie? Dar­über konn­te sie nur la­chen. Lurch und Lie­be!

      Doch Am­bro­si­us hat­te sich ge­är­gert, brach­te Rosa es nicht zu­we­ge, mein­te er, dass Lurch den Wech­sel un­ter­schrieb, dann war es mit der gan­zen Rei­se nichts. Über all die­sen Wi­der­wär­tig­kei­ten hat­te er oh­ne­hin die Lust dazu ver­lo­ren. Da ge­horch­te Rosa – ohne Wi­der­re­de – so­fort –

      Lurch blieb auf sei­nem Stuhl sit­zen und ver­gaß es in sei­ner Auf­re­gung, Rosa zu grü­ßen. Erst als sie ihm »Gu­ten Mor­gen, Herr Lurch« zu­rief, er­hob er sich ein we­nig, setz­te sich aber gleich wie­der und klam­mer­te sich an die Arm­leh­nen СКАЧАТЬ