Eduard von Keyserling – Gesammelte Werke. Eduard von Keyserling
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Название: Eduard von Keyserling – Gesammelte Werke

Автор: Eduard von Keyserling

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier

isbn: 9783962814601

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СКАЧАТЬ um­spiel­te ein fei­nes Lä­cheln, als hät­te er den Spre­cher be­reits bei ei­nem lo­gi­schen Feh­ler er­tappt. Herr Herz woll­te sich nicht ein­schüch­tern las­sen. Er schloss wie­der die Au­gen und sprach wei­ter, er kann­te die Schuld und die Un­vor­sich­tig­keit sei­ner Toch­ter wohl, trug er doch selbst einen Teil die­ser Schuld, denn sei­ne Er­zie­hungs­me­tho­de moch­te eine ver­fehl­te, sei­ne Wach­sam­keit eine man­gel­haf­te ge­we­sen sein. Mein Gott, wo soll­te er auch die rech­te Metho­de, jun­ge Mäd­chen zu er­zie­hen, her­ha­ben? Ja, wenn die Schwes­ter Ina noch leb­te, da wäre man­ches an­ders ge­kom­men! Trotz all­dem hat­te der jun­ge Mann doch auch eine Verant­wort­lich­keit auf sich ge­la­den, hat­te eine Schuld zu süh­nen. Ein jun­ger Mann von Geist und Welt hat­te ei­ner kaum sieb­zehn­jäh­ri­gen un­er­fah­re­nen Klein­städ­te­rin ge­gen­über im­mer leich­tes Spiel. Herr La­nin mach­te eine ab­weh­ren­de Hand­be­we­gung; er war of­fen­bar wie­der ei­nem lo­gi­schen Schnit­zer auf die Spur ge­kom­men.

      »Ich weiß es«, fuhr Herz fort, »dass zwi­schen den bei­den Kin­dern wirk­li­che Nei­gung be­steht. Am­bro­si­us Tel­le­r­at hat die Ab­sicht, Rosa zu hei­ra­ten, klar und deut­lich aus­ge­spro­chen, und wie die Sa­chen lie­gen, kann und will ich ihm die Hand mei­ner Toch­ter nicht ver­wei­gern. Mit ei­ner Hei­rat aber wird die jetzt so trau­ri­ge An­ge­le­gen­heit, mei­ne ich, einen für alle se­gens­rei­chen Ab­schluss fin­den.« Herr Herz war mit sei­ner Rede zu Ende und blick­te jetzt zö­gernd auf.

      La­nin saß noch im­mer ru­hig da und lä­chel­te. Er sah we­der ent­rüs­tet noch er­zürnt aus; er schau­te viel­mehr drein wie je­mand, der an ei­nem schwie­ri­gen Pro­blem ein rein sach­li­ches, geis­ti­ges In­ter­es­se nimmt. »In­dem Sie von der Hei­rat – spre­chen«, be­gann er lang­sam, wie­der am Bal­let­tän­zer vor­über zum Fens­ter hin­aus­ge­hend, »ha­ben Sie al­ler­dings das punc­tum sa­li­ens – wie der La­tei­ner sagt – der Sa­che ge­trof­fen. Nur scheint es mir, Sie fas­sen die­ses punc­tum an­ders als ich und da­her nicht ganz rich­tig – ganz kon­se­quent auf.« Er hielt inne und blin­zel­te mit den Au­gen­li­dern. »Nein, nicht ganz kon­se­quent«, wie­der­hol­te er nach reif­li­cher Über­le­gung. »Vom all­ge­mei­nen mo­ra­li­schen Stand­punkt mag solch eine – Süh­ne – wie Sie sa­gen – zu ver­tei­di­gen sein – vom all­ge­mein mo­ra­li­schen – bit­te! Die all­ge­mei­nen Moral­ge­set­ze er­lei­den aber durch un­se­re ge­sell­schaft­li­chen Ge­set­ze eine Mo­di­fi­ka­ti­on – eine Ver­än­de­rung. Das ist von je­her das Haupt­axi­om mei­ner, wenn ich so sa­gen darf, per­sön­li­chen Phi­lo­so­phie ge­we­sen. Nun, in der hö­he­ren bür­ger­li­chen Ge­sell­schaft, die doch die ei­gent­li­che Wah­re­rin der Moral ist, gilt eine Ver­bin­dung zwi­schen ei­nem jun­gen Man­ne und ei­nem Mäd­chen, das die von der hö­he­ren bür­ger­li­chen Ge­sell­schaft ge­for­der­te Re­ser­ve die­sem jun­gen Man­ne ge­gen­über au­ßer acht ge­las­sen hat, für – un­mo­ra­lisch. Ja, lie­ber Herz, das ist ein Ge­setz, da kann man nichts ma­chen! Die Süh­ne aber, wel­che die Ge­sell­schaft dem jun­gen Man­ne und dem Mäd­chen auf­er­legt – ist – dass sie auf eine Ver­bin­dung mit­ein­an­der ver­zich­ten.«

      Herr Herz sah sehr ver­blüfft drein, der Bür­ger­meis­ter aber lach­te. »Ja – ja! Auf den ers­ten Blick er­scheint das wi­der­sin­nig – pa­ra­dox, wie? Aber se­hen Sie nur nä­her zu, es ist das ein­zig Rich­ti­ge, das ein­zig Ver­nunft­ge­mä­ße.«

      »Ich weiß doch nicht…« pro­tes­tier­te Herr Herz lei­se.

      »Doch – doch«, un­ter­brach ihn Herr La­nin. »Ist sich auch nicht ein je­der die­ses Ge­set­zes klar be­wusst, dazu be­sitzt nicht ein je­der die ana­ly­ti­sche Übung, so fühlt es doch ein je­der. Ih­nen, lie­ber Herz, wür­de es nicht an­ders ge­hen, wä­ren Sie im be­stän­di­gen Kon­nex mit der hö­he­ren bür­ger­li­chen Ge­sell­schaft ge­blie­ben. Die­ses Ge­setz ist auch der Grund, warum mein Schwa­ger nie die­ser Ver­bin­dung sei­ne Zu­stim­mung ge­ben wür­de, wenn ihm auch nicht an­der­wei­ti­ge Plä­ne, die er mit Am­bro­si­us hat, im Wege ste­hen wür­den. Nie – nie!« Herr La­nin mach­te mit der Hand einen ver­ti­ka­len Schnitt durch die Luft. »Mein Nef­fe reist mor­gen ab, und da­mit ist für die­se un­an­ge­neh­me Ver­wi­cke­lung die ein­zig ver­nunft­ge­mä­ße, ich möch­te sa­gen – ide­al-ethi­sche Lö­sung ge­fun­den.« Herr La­nin mach­te einen Qu­er­schnitt durch die Luft, und da­mit schi­en die Sa­che wirk­lich voll­kom­men lo­gisch und – hoff­nungs­los er­le­digt zu sein.

      Herr Herz er­hob sich. Lan­ins bun­te Re­dens­ar­ten ver­wirr­ten ihn. »Also – Herr Di­rek­tor – wenn Sie mei­nen…« Er war in so jäm­mer­li­cher Ver­fas­sung, dass er Di­rek­tor statt Bür­ger­meis­ter sag­te und dass es ihm vor­kam, als wäre er wie­der der arme Ko­mö­di­ant, dem der Di­rek­tor sein ma­ge­res Ho­no­rar vor­ent­hielt.

      »Le­ben Sie wohl«, sag­te La­nin herz­lich. »Ich wün­sche Ih­nen und Ih­rer Toch­ter al­les Gute. Der all­mäch­ti­ge Wel­ten­ord­ner wird al­les zum bes­ten wen­den.«

      Herr Herz trock­ne­te sich die Trä­nen aus den Au­gen. Der vä­ter­li­che Ab­schied des Bür­ger­meis­ters rühr­te ihn. »Oh, ich dan­ke – La­nin – ich dan­ke«, da­mit ging er hin­aus.

      Im Sa­lon husch­ten wie­der Fräu­lein Sal­lys wei­ße Rö­cke um die Türflü­gel – wie­der zeig­te sich Frau Lan­ins großes, blei­ches Ge­sicht in der halb­ge­öff­ne­ten Schlaf­kam­mer­tü­re.

      Herr Herz pil­ger­te nun zu Klappe­kahl. Der scharf­sin­ni­ge Apo­the­ker, der Welt­mann, wuss­te be­stimmt Rat.

      Die Apo­the­ke war der­ma­ßen über­füllt, dass Klappe­kahl und Zap­per nicht wuss­ten, wo ih­nen der Kopf stand. »Ah Herz, das ist char­mant. Ich ste­he so­gleich zur Ver­fü­gung«, rief der Apo­the­ker. »Ge­hen Sie, bit­te, ins Wohn­zim­mer hin­über. Sie fin­den dort die Er­nes­ti­ne. Kon­ver­sie­ren Sie mit ihr ein we­nig. Ich muss die­se Leu­te ab­fer­ti­gen. Ich weiß nicht, was das ist, eine Rie­sen­ob­struk­ti­on hat sich auf die Stadt ge­wor­fen. Bit­ter­was­ser und Ri­zi­nus – sonst nichts! Jetzt – zur Zeit der Früch­te! Un­be­greif­lich!« Klappe­kahl flog da­von.

      Herr Herz fand im Wohn­zim­mer al­ler­dings Er­nes­ti­ne; sie er­hob sich je­doch, als er ein­trat, grüß­te steif und ver­ließ das Zim­mer. Es dau­er­te eine ge­rau­me Wei­le, bis der Apo­the­ker Zeit fand, sich sei­nem Freun­de zu wid­men, und als er kam, war er atem­los und er­hitzt. »Es ist fa­bel­haft, wie es heu­te mor­gen hier zu­geht. Al­les schreit nach Ab­füh­run­gen. Es wäre in­ter­essant, die­ser Er­schei­nung auf den Grund zu kom­men.« – Als er die be­trüb­te Mie­ne sei­nes Gas­tes be­merk­te, ward er ru­hi­ger. »Ja so! Ich habe ge­hört. Ar­mer Freund!« Er drück­te Herrn Herz ge­fühl­voll die Hand. »Aber was tun! Man muss sich in al­les schi­cken.«

      »Ich kom­me zu Ih­nen, lie­ber Klappe­kahl«, mein­te Herr Herz, »ich dach­te mir, Sie wer­den viel­leicht et­was wis­sen.«

      »Ja – lie­ber Freund«, er­wi­der­te der Apo­the­ker und strich sin­nend mit der Hand über sein Kinn. »Ein schwie­ri­ger Fall! Nun – aber – aber – – das Schlimms­te ist doch noch nicht ge­sche­hen?«

      »Wie, СКАЧАТЬ