Название: Eduard von Keyserling – Gesammelte Werke
Автор: Eduard von Keyserling
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier
isbn: 9783962814601
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Angstvoll saß Rosa in ihrem Bette auf. Sie konnte nicht so ohne weiteres ihre Hoffnungen fahrenlassen. Endlich mussten doch auch die Festtage ihres Lebens kommen! Wieder zu den unklaren, schwermütigen Träumereien eines armen Mädchens zurückkehren, sich wieder unter die Sittenregeln der Schank beugen; wieder immer nur andere beneiden, nur heimlich wünschen, das konnte sie nicht. Alles, was sich in einer jungen Seele nach Genuss sehnt, kochte in Rosa auf. Fiebernd und weinend bohrte sie ihren Kopf in die Kissen und stöhnte: »Amby – Amby!« Das arme Kind hielt Ambrosius für die Verkörperung ihres Glückes, für den Türhüter ihres Paradieses. Mit ihm stand und fiel das Glück. – Er wollte fort? – Gut, sie auch. Er liebte sie ja; er hatte es ihr versprochen, sie in eine große Stadt zu bringen. Dort durfte niemand sie stören, dort – dort – würde das große, schöne, einzig ihrer würdige Leben ihnen weit die Tore öffnen. Das war es! Der einzige Ausweg war gefunden, und nun arbeitete sie ihren Plan aus. Ganz genau; nichts ward vergessen. Die Rede, die sie Ambrosius halten wollte, die Vorwände, unter denen sie, am Abend der Flucht, den Vater entfernen würde, die Kleider, die mitzunehmen waren – den Brief, den ihr Vater am Morgen nach der Flucht in ihrem Zimmer finden sollte. – Alles überdachte sie, und als die Sonne ins Zimmer schien, erhob sich Rosa, nach der schlaflosen Nacht bleich und müde, aber ruhig und entschlossen. Sie bestellte Ambrosius für den Abend zum Trödler. »Es hängt alles davon ab, dass ich dich heute sehe«, schrieb sie…
Um die Zeit des Sonnenunterganges ging Rosa fort. »Bleibe wenigstens nicht zu lange aus!« rief ihr Agnes nach. – Wenigstens! Das verdroß Rosa. Es war wohl an der Zeit abzureisen; alle, selbst Agnes, verletzten sie und sagten ihr unangenehme Dinge. – Von der Herzschen Wohnung bis zum Trödler war es nicht weit, nur eine Straße brauchte man hinabzugehen – und doch! – wieviel Widerwärtiges sich auf solch einem kleinen Stück Weg ereignen kann! Als Rosa aus dem Hause trat, ging der Sekretär Feiergroschen an ihr vorüber.
Er blieb stehen, lächelte süß und sagte »Guten Abend«. Dabei winkte er mit der flachen Hand einen Gruß und nahm den Hut nicht ab.
»Eine Unverschämtheit«, sagte sich Rosa und dankte nicht für den Gruß. Kaum war sie wenige Schritte gegangen, als Lanin und Klappekahl ihr entgegen kamen; sie richtete sich stramm auf, biss sich auf die Unterlippe und machte ihr hochmütiges Gesicht. Die Herren waren in ihr Gespräch vertieft und schrien laut; als Rosa aber an ihnen vorüberging, schwiegen sie plötzlich; Klappekahl wandte sich ab und sagte ein gedehntes Ja, das nicht zur Sache zu gehören schien, Lanin aber sah das Mädchen scharf an und grüßte nicht. Rosa ward rot und stieß ihren Sonnenschirm grimmig auf die Steine. Konnte sie sich denn nicht mehr zeigen, ohne gekränkt und gedemütigt zu werden? Gott sei Dank, da war das Trödlerhaus schon! Wer bog aber dort um die Ecke? Wieder ein Bekannter? Meiner Seel, der junge Toddels! Wird er grüßen, oder wird er es auch wagen…? Nein, er grüßte schon von weitem, zog tief seinen Hut ab, rief »Guten Abend, reizendes Wesen«, und zwei Finger an die Lippen drückend, warf er Rosa eine Kusshand zu. Das war zuviel! Rosa traten die Tränen in die Augen, und sie begann zu laufen. Sie wollte es Ambrosius klagen, er musste sie schützen, sie fortnehmen aus diesem Ort, wo man sie zu Tode folterte.
Hastig stieß sie die Türe zur Trödlerwohnung auf. »Ist der junge Herr da?« rief sie Ida zu.
»Ja, Fräulein Rosa; der junge Herr ist draußen im Laden beim Vater.«
»Ruf ihn!«
Ungeduldig trommelte Rosa mit den Absätzen. Wo blieb er nur? Es war sonst niemand im Gemach, selbst die alte Jüdin fehlte. Die Fenstervorhänge waren herabgelassen, auf dem Tische stand ein Strauß von Astern und wohlriechenden Erbsen, das Bett in der Ecke war mit frischem Leinenzeug überdeckt. Das dunkle, unreinliche Gemach schien heute einen Versuch gemacht zu haben, festlich auszusehen. Lag es nun am Strauß auf dem Tische oder am reinen Bettzeug – es missfiel Rosa, sie wusste nicht warum.
Da Ambrosius noch säumte, zog sie sich ihren Mantel aus, legte ihren Hut ab, schaute sich nach einem Spiegel um – dort auf dem Tische stand ja einer, ein kleiner alter Spiegel mit abgeriebenem Goldrahmen. Er lehnte sich an einen Stoß Bücher und war mit bunten Bonbonpapieren geschmückt, wie Ida sie zu sammeln liebte. Vor dem Spiegel lagen ein Stecknadelpolster und ein Kamm, dem die Hälfte seiner Zähne fehlte. Seltsam. Wozu diese Vorbereitungen? Rosa dachte nach… – Endlich kam Ambrosius in einem neuen hellen Anzug, das Haar sorgfältig gebrannt, die Wangen rot, ein heiteres, sorgloses Lächeln auf den Lippen. »Nun Schatz! Wir haben uns lange nicht gesehen!« rief er munter und breitete seine Arme aus. Stürmisch warf sich Rosa in diese Arme. Jetzt hielt sie ihn, jetzt war er wieder da, mit seinem guten, leichtfertigen Gesicht, mit seiner lustigen Stimme, die alle Widerwärtigkeiten wie einen Spaß besprach, über den man zusammen kichert.
»Hm, Liebchen«, sagte Ambrosius und klopfte Rosa verlegen auf den Rücken. »Komm, setzen wir uns. Dir ist es nicht gut ergangen, wie du mir schreibst?«
»Nein, nicht gut«, erwiderte Rosa und lachte, während die Tränen ihr über die Wangen liefen. Ambrosius führte sie ritterlich zum großen Sessel. »Setz dich her – erzähle.« Rosa musste sich auf seine Knie setzen, fest an ihn geschmiegt, den Arm auf seiner Schulter. »Was gibt es, Liebchen? Sag.« Rosa ward sehr ernst, ja, sie hatte viel erdulden müssen. Da war zuerst der Auftritt in der Schule mit der tollen Sally. Ambrosius hatte gut lachen, Sally war doch eine schlechte Person. Dann die Schank mit ihren Vorschlägen. Eine Bonne – so etwas! Nicht wahr? Endlich Lanin und seine Intrigen, der Vater, der auf das Geschwätz dieser Leute hörte, dazu noch die Demütigungen auf der Straße. Es war schrecklich! Sie ertrug es nicht länger; wurde sie doch verfolgt und gehetzt wie ein Wild. Ein jeder glaubte ihr etwas antun zu dürfen. Sie war schon krank vor Zorn und Schmerz. »Glaube mir, Amby – geht das so fort, dann sterbe ich an gebrochenem Herzen.« Ambrosius lächelte. »O nein, lache nicht! Gewiss, ich sterbe, ich fühle das. Und dann«, Rosa zog die blonden Augenbrauen zusammen, dass sie fast grimmig aussah: »Ist es wahr, dass du morgen abreist?«
Diese Frage machte Ambrosius verlegen. Er machte eine СКАЧАТЬ