Название: Eduard von Keyserling – Gesammelte Werke
Автор: Eduard von Keyserling
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier
isbn: 9783962814601
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»Ja, ich will wenigstens zu ihr hineinschauen«, entgegnete Fräulein Schank und öffnete die Türe zu Rosas Zimmer. Rosa schloss die Augen und regte sich nicht. »Sie schläft«, flüsterte Fräulein Schank; »sollen wir sie wecken?«
»Nein, lassen Sie sie schlafen«, flehte Herr Herz; »sie erfährt es ja ohnehin früh genug.«
»Gut, ich komme morgen wieder«, meinte Fräulein Schank. »Auf Wiedersehen, lieber Herz! Sie verzeihen, dass ich die Überbringerin so schlechter Nachrichten bin; ich hielt es aber für meine Pflicht.«
»Im Gegenteil, ich bin Ihnen dankbar, liebe Schank«, antwortete Herr Herz. »Verlassen Sie das Kind nicht; ich unbeholfener Alter, was kann ich tun?«
»Der liebe Gott wird schon alles zum Guten wenden«, tröstete Fräulein Schank. Dann kam Agnes wieder mit ihrem »Guten Abend, Fräulein!«, die Außentüre knarrte, und es ward still, ganz still.
Abendliche Schatten zogen in die Wohnung des Ballettänzers ein – es wurde finster. Rosa lag noch immer auf ihrem Bett und starrte in die Dunkelheit hinein.
Im Wohnzimmer saß der alte Mann, faltete seine Hände über den spitzen Knien und weinte; und draußen, in der Küche, lehnte Agnes Stockmaier am Fenster und blickte traurig auf den leeren Hof hinab.
Spät abends erst entschloss sich Rosa, zu ihrem Vater hinüberzugehen. Im Wohnzimmer war es so finster, dass Rosa unsicher umhertappte.
»Kind, bist du’s?« fragte Herr Herz leise und heiser.
»Ja, Papa.«
»Gehst du fort?«
»Nein.«
»Ah, ich glaubte, du suchst deinen Hut. Es ist auch besser so; ich habe ohnehin mit dir zu sprechen.«
»Soll Agnes die Lampe bringen?«
»Nein. Wozu? Komm setz dich her.« Rosa drückte sich in eine Sofaecke, preßte die Arme gegen die Brust und war bereit.
»Du sitzt schon, mein Kind; nicht wahr?« begann Herr Herz. »Was wollte ich dir doch sagen? Ja – so! Die Schank war hier.« Er hielt inne, da Rosa aber schwieg, fuhr er mühsam und ein wenig unzusammenhängend zu sprechen fort. »Sie hat mir da allerhand erzählt – – Dinge, die mir ganz, ganz fremd waren, und die mich – einigermaßen – alteriert haben. So sagt sie unter anderem, die ganze Stadt spricht von – von – wie sie sagt – von heimlichen Zusammenkünften zwischen dir und dem jungen Tellerat. – Du hast mir nichts davon gesagt, liebes Kind. An der ganzen Geschichte ist vielleicht nichts daran?«
»Doch«, sagte Rosa, und ihre Stimme nahm eine erzwungene Festigkeit und Ruhe an. »Ich komme mit Ambrosius Tellerat zusammen, weil ich mit ihm verlobt bin.« Tiefe Stille folgte dieser Erklärung; nur die alte Wanduhr ließ ihr asthmatisches Tiktak vernehmen.
»Davon habe ich nichts gewusst«, ergriff Herr Herz endlich kleinlaut wieder das Wort.
»Ich wollte es dir heute sagen«, antwortete Rosa, und nun – den Kopf auf die Sofalehne zurückgeworfen, die Füße von sich gestreckt – begann sie, dem ganzen Unwillen, allem Ärger, all der Angst, die sie den ganzen Tag über mit sich herumgetragen hatte, in der unlogischen, übersprudelnden Weise weiblicher Beredsamkeit Luft zu machen. Natürlich! Der Vater hatte es sich auch von der Schank einreden lassen, dass sie mit Ambrosius weiß Gott was für Sachen trieb, dass sie ein schlechtes, leichtsinniges Mädchen sei. Wenn alle auch übel von ihr dachten, so hatte sie doch wenigstens gehofft, von ihrem Vater verstanden zu werden. Hunderte von Mädchen verlobten sich jedes Jahr, nur sie – Rosa – durfte es nicht; bei ihr war es ein Verbrechen. Und warum? Weil Sally Ambrosius heiraten wollte. Aber welches Recht hatte Sally auf Ambrosius? Hatte sie ihn vielleicht gepachtet? Konnte sie ihn zwingen, ein widerliches schielendes Mädchen zu lieben? Nein! Ambrosius liebte Rosa – und Rosa liebte Ambrosius, das war doch einfach genug. Oder war es vielleicht etwas so Ungeheuerliches, dass jemand Rosa Herz heiraten wollte? Gleichviel! Geschehen würde es doch. Als Rosa auf den Höhepunkt ihrer Rede gelangt war, brach sie in Tränen aus, schluchzte laut und eigensinnig, wie ein ungezogenes Kind.
»Rosa – Kind, weine nicht!« versuchte Herr Herz sie zu beruhigen. »Ich sage ja nichts! Ich berichte dir nur, was die Schank mir erzählt hat. Aber du gerätst gleich in Feuer – und nun dieses Weinen! Was hab ich denn gesagt? Ich habe es nicht gewusst, dass ihr miteinander verlobt seid. Wenn das so ist, wie du sagst, werde ich mich darüber freuen.«
»Du glaubst doch nicht an die Heirat!« warf Rosa ein und weinte fort.
»O ja! Warum nicht! Wir werden ja sehen! Nur müssen diese Angelegenheiten besprochen und bedacht werden. Mit dem unverständigen Weinen richten wir nichts aus. Weine nicht, sei vernünftig! Wenn man heiraten will, muss man gescheit sein. Komm!«
Rosa richtete sich auf. »Was sagt denn eigentlich die alte Schank?« fragte sie.
»So gefällst du mir!« Herr Herz versuchte es, seiner Stimme einen munteren Klang zu geben. »Nun – sie erzählt, heute morgen ist Lanin bei ihr gewesen, um ihr mitzuteilen, man habe dich und den jungen Tellerat zusammen gesehen – beim Trödler, glaube ich – und dann noch beim alten Raute. Allerhand böse Dinge spricht man in der Stadt von euch. Kurz: Lanin verlangt, die Schank soll dich aus der Schule ausschließen, sonst nimmt er seine Tochter fort, und viele andere tun es auch.«
»Die Schank hat es ihm natürlich zugesagt«, schaltete Rosa bitter ein. »Oh, sie kann unbesorgt sein! Ich gehe ohnehin nicht mehr zu ihr.«
»Ereifre dich nicht, Kind! Wir wollten die Sache ja ruhig besprechen. Der Schank gehen diese Geschichten sehr nah; sie liebt dich wie ihr Kind. Aber was kann sie tun? Sie hat mit Lanin auch über die mögliche Heirat gesprochen. Nun er – hat sich ungünstig darüber ausgesprochen, hat nichts davon wissen wollen und hat – wie die Schank sagt – behauptet, der junge Mann habe ihm – Lanin – versprochen, dich nicht zu heiraten.«
»Das ist nicht wahr!«
Herr Herz hatte den letzten Teil seines Berichtes unsicher und leise vorgebracht, jetzt fuhr er hastig fort, um die böse Sache schnell abzumachen: »Hör mich nur bis zu Ende. Ich hoffe auch, es wird nicht so sein, wie die Schank es darstellt. Lanin hat ferner gesagt, СКАЧАТЬ