Im Speisezimmer brannte die Hängelampe. Vor Rosas Gedeck prasselten die Schweinsrippchen in ihrer Schüssel noch sachte fort, daneben stand ein Teller mit Apfeltörtchen und eine Flasche Rotwein. »Komm – iss«, drängte Agnes.
Rosa war hungrig. Sie aß und trank mit wahrer Lust; lange schon hatte es ihr nicht so gut geschmeckt. Agnes lehnte am Büffet und schaute ihr bedächtig zu. Dieser ruhige, forschende Blick war Rosa unbequem; las ihr die alte Frau nicht alles, was sie erlebt hatte, vom Gesicht ab? Sie beugte ihren Kopf tiefer auf den Teller nieder und aß hastig weiter.
»Nicht so schnell, lass dir Zeit«, mahnte Agnes einmal.
»Ich bin fertig«, sagte Rosa endlich und blickte auf; da Agnes sie aber wieder so ernst anschaute, errötete sie und schlug die Augen nieder.
»Das hat geschmeckt«, versetzte Agnes und versuchte zu lächeln. »Geh jetzt zu Bett, Kind!«
Als Rosa wieder allein in ihrem Zimmer war, ward sie von bangen, schmerzvollen Gedanken bedrängt. Sollte sie zu Agnes hinausgehen? Die Gegenwart der alten Wärterin flößte ihr immer noch das beruhigend sichere Gefühl ein, wie sie es als Kind empfand, wenn die kleine Rosa durch alle Schrecknisse der finsteren Wohnstube glücklich in die Küche gelangt war und sich an Agnes’ Schürze hängen durfte. Aber Agnes hatte sie heute so streng angesehen – Rosa ertrug diesen Blick nicht. Sie legte sich zur Ruhe – sie fühlte sich wie zerschlagen. Wüst und furchtbar erschienen ihr jetzt die Vorgänge im Trödlerhause, und das Fieber, das sich beim Gedanken an jene Stunde in ihrem Blut entzündete, war ihr unheimlich und widerwärtig. Dazu noch der kommende Tag mit seinen Abenteuern, seinen Gefahren. Nein, sie würde gewiss nicht den Mut finden, all das auszuführen! Plötzlich erwachte in ihr die Liebe für ihre enge Heimat, für die behagliche Welt, in der Agnes Stockmaier regierte. Ja – warm im Neste sitzen, sich von Agnes pflegen lassen – da war man sicher und gut aufgehoben!
Im Nebenzimmer ging Agnes ab und zu, rückte den Tisch, klapperte mit den Tellern. Durch die halbangelehnte Türe drang der gelbe Schein der Lampe in Rosas Zimmer und vergoldete ein Stück des alten roten Bettschirmes. Alles war, wie es stets gewesen, seit Rosa denken konnte, die wirren, unruhigen Bilder verblassten vor der Macht des langgewohnten Friedens. Ruhig und lächelnd schlief Rosa ein, als wäre sie noch ein kleines, unschuldiges Kind.
Ambrosius war noch eine Weile im Zimmer des Trödlers sitzengeblieben. Ein angenehmes, stolzes Gefühl beseelte ihn das Bewusstsein, im Besitz eines schönen, begehrenswerten Mädchens zu sein. Rosa gehörte jetzt ihm, dafür wollte er sie auch beschützen und ihr ein hübsches, vergnügliches Leben bereiten. Sie hatte sich ganz in seine Hände gelegt. »Da hast du mich, mache etwas Glückliches daraus.« Dieser Augenblick im Leben eines Jünglings ist immer erhebend, und Ambrosius verstand ihn voll zu würdigen.
Nachlässig in dem großen Sorgenstuhl der Jüdin hingegossen, nahm er die schlaffe, melancholische Haltung eines müden Herzenskönigs an und träumte von den schönen Kleidern, die er Rosa kaufen, von den prächtigen Sachen, die er ihr zeigen wollte. Sie sollte die Welt sehen; aber die Welt sollte auch Rosa sehen, sollte sie und ihn bewundern. Wie wird das kleinstädtische Mädchen über all die Pracht staunen, wie wird es zu ihm aufblicken, wenn er sich elegant und sicher in der Großstadt zurechtfindet – wie wird es ihn dann lieben! Also nach Wien, das stand fest.
Eine lustige Zeit in einer großen Stadt mit Rosa zubringen, seine Liebe in die Zimmer eines ersten Hotels einquartieren, sie mit dem Luxus eleganter Läden schmücken, mit ihr in Theaterlogen paradieren – eine Weile den reichen jungen Ehemann auf der Hochzeitsreise spielen – das war jetzt der Kuchen, den Ambrosius um jeden Preis haben musste. Der Gedanke einer Heirat tauchte auch mitunter in seinen Phantasien auf – aber unklar und verschwommen. O ja, warum nicht? Man würde ja sehen! Heute erschien ihm alles möglich, nur ging er diesen Bewegungen gern aus dem Wege – fertigte sie kurz ab. Ein anderer Gedanke aber ließ sich nicht so ohne weiteres abweisen und machte Ambrosius Sorge. Er hatte Geld nötig, viel Geld; genug, um einige Wochen auf großem Fuß leben zu können. Merkwürdig war es, wie sich Ambrosius’ Vorsorge nur immer auf einige Wochen erstreckte. Später? Ach was, das wird sich finden. Die Eltern taten ihm ja alles zu Willen; er würde sie schon zu etwas Geeignetem bestimmen. Aber woher das Geld für den Augenblick nehmen? Ambrosius hatte zwar gestern Geld von den Eltern erhalten; das reichte jedoch nicht hin. Nur einer konnte helfen – der Trödler. Er war reich und Wucherer, kannte außerdem die Verhältnisse der Tellerats und hatte somit keinen Grund, das Geld nicht herzugeben. Seufzend erhob sich Ambrosius. Galt es ein Vergnügen zu erjagen, das er sich in den Kopf gesetzt hatte, so konnte er zur Not auch eine Unannehmlichkeit mit in den Kauf nehmen; sie durfte nur nicht zu groß sein. Er ging in den Trödlerladen hinaus.
Von der Decke hing eine Petroleumlampe nieder, deren trübgelbe Flamme unruhig СКАЧАТЬ