Eduard von Keyserling – Gesammelte Werke. Eduard von Keyserling
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Название: Eduard von Keyserling – Gesammelte Werke

Автор: Eduard von Keyserling

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier

isbn: 9783962814601

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СКАЧАТЬ – aber Dar­win. Hör­ten Sie denn nicht?«

      »Pfui, pfui, der schlech­te Affe!« ver­setz­te dar­auf das alte Fräu­lein er­schro­cken.

      »Ja, ich stam­me vom Af­fen ab!« fuhr Klappe­kahl warm fort. »Ich bin stolz dar­auf, denn dass ich kein Affe bin, ver­dan­ke ich den An­stren­gun­gen mei­ner Ah­nen und – so­zu­sa­gen – mei­nen ei­ge­nen An­stren­gun­gen. Der Mensch ist ein Par­ve­nü, aber er soll sich sei­ner Ab­kunft nicht schä­men – er soll sich viel­mehr der er­run­ge­nen Stel­lung, des er­run­ge­nen Ver­mö­gens freu­en: des In­tel­li­genz­ver­mö­gens«, und der Red­ner streck­te sei­ne fla­che Hand über den Tisch, als läge das herr­li­che lan­ge Wort dar­auf und soll­te al­len ser­viert wer­den.

      »Mora­li­sches Ge­fühl und Rechts­be­wusst­sein kann sich nie­mand er­wer­ben, das wird uns von oben ver­lie­hen«, wand­te Herr La­nin mit fei­er­li­cher Be­stimmt­heit ein, wie ein Pries­ter bür­ger­li­cher Moral – der er war.

      Rosa hat­te sich dicht un­ter einen Arm­leuch­ter ge­setzt und aß. Am­bro­si­us stand schwei­gend hin­ter ihr und be­dien­te sie. Ein leich­ter Dampf, von den Spei­sen auf­stei­gend, trüb­te die Luft, und die Ker­zen hat­ten matt­gel­be Flam­men, wie Lich­ter im Ne­bel. Es war heiß im Ge­mach. Mit ro­ten Wan­gen und Au­gen­li­dern lehn­ten sich die An­we­sen­den in ihre Ses­sel zu­rück; vor ih­nen das wir­re Durchein­an­der großer Spei­se­res­te. Das Bild war häss­lich, wie es ein zu Ende ge­hen­des Fest­mahl zu sein pflegt. – Un­ter all den er­hitz­ten sat­ten Leu­ten schi­en Rosa, still über ih­ren Tel­ler ge­beugt, für Am­bro­si­us, der sie auf­merk­sam und an­däch­tig be­trach­te­te, et­was Fei­er­li­ches und Poe­sie­vol­les an sich zu ha­ben, et­was, das sie von ih­rer Um­ge­bung ab­son­der­te und sie mit wär­me­rem, zar­te­rem Lich­te ver­klär­te. Legt in zwei ganz all­täg­li­che Au­gen nur ein klei­nes Fünk­chen jun­ger Lie­be und Lei­den­schaft, und die­se Au­gen wer­den euch um vie­les vor­neh­mer er­schei­nen.

      »Ich bin satt – und Sie«, sag­te Rosa und wand­te sich lä­chelnd nach Am­bro­si­us um.

      »Oh, ich«, er­wi­der­te Am­bro­si­us, »ich mag nicht!«

      »Doch! Ich gebe Ih­nen mei­nen Platz. Ich bin fer­tig.«

      Wie sie das so ein­fach ge­sagt hat­te, fand er nicht so­gleich et­was Zier­li­ches zu er­wi­dern und setz­te sich auf den Stuhl, den Rosa ihm über­ließ.

      Im Saal ne­ben­an wa­ren die Fens­ter ge­öff­net wor­den, um fri­sche Luft zu­strö­men zu las­sen, und der Zug­wind jag­te den auf­ge­wir­bel­ten Staub um die Flam­men des Kron­leuch­ters. Rosa stell­te sich an ein Fens­ter. Kühl schlug ihr die Nacht­luft ent­ge­gen und er­schreck­te sie fast. – Ein hef­ti­ger Som­mer­re­gen fiel rau­schend und duf­tend nie­der. Der Markt­platz lag fins­ter da, nur die feuch­ten Stei­ne hat­ten einen mat­ten, un­si­chern Glanz. Im ge­gen­über­lie­gen­den Hau­se, hoch oben in ei­nem Er­ker­fens­ter, war Licht. Eine Lam­pe stand auf ei­nem Tisch. Rosa ver­moch­te ihre Bli­cke von die­sem ru­hi­gen, schläf­ri­gen Lich­te nicht ab­zu­wen­den, ob­gleich es ihr zu­wi­der war. Glänz­te es nicht dort oben so dumm und fade, als wüss­te es nichts von der auf­re­gen­den Welt des Lan­in­schen Sa­lons. Plötz­lich er­schi­en auf der Wand ein Schat­ten, eine je­ner großen, wun­der­li­chen Fi­gu­ren, wie wir sie an stil­len Win­ter­aben­den mit mü­dem Auge zu be­trach­ten lie­ben. Hier­auf trat eine Frau an den Tisch. Sie trug ein ge­blüm­tes Ka­mi­sol und band sich eine Nacht­hau­be um ihr ru­hi­ges wei­ßes Ge­sicht. Sie gähn­te; deut­lich sah Rosa den weit­ge­öff­ne­ten Mund. Die Frau er­griff die Lam­pe, und bei­de ver­schwan­den. Rosa wand­te sich schnell ab – dort im Spei­se­saal sa­ßen sie noch alle bei­sam­men in der trü­ben Luft, un­ter den Ker­zen, die jetzt dun­kel brann­ten. Herr La­nin beug­te sich über den Tisch und starr­te vor sich hin, sein Ge­sicht war dun­kel­rot, und er at­me­te schwer. Klappe­kahl rauch­te eine Zi­ga­ret­te. Er hat­te den Arm über die Leh­ne sei­nes Stuh­les ge­legt und er­zähl­te Ma­ri­an­ne Schulz et­was, blick­te je­doch be­stän­dig in den Spie­gel, der ihm ge­gen­über hing. Am­bro­si­us saß noch auf dem Stuhl, den Rosa ihm ab­ge­tre­ten hat­te, und un­ter­hielt sich mit Tod­dels. Auf­merk­sam be­trach­te­te Rosa das Ni­cken die­ses glatt­ge­kämm­ten Zop­fes, und die Art, wie Am­bro­si­us ein Brot über sei­nem Tel­ler brach, fand sie schön. O ja, sie lieb­te ihn! Sie wuss­te das ganz ge­wiss. So und nicht an­ders war es, wenn man lieb­te. Nun konn­te al­les groß und herr­lich wer­den; und war es nicht schon groß und herr­lich? Der ge­füll­te Eß­saal, das Licht, das in den Bow­leglä­sern blitz­te, das Stim­men­ge­s­ur­re – der star­ke Duft von Spei­sen, Wein, Zi­gar­ren –, war das nicht schon ein Stück der großen Welt? Ein schläf­ri­ges wei­ßes Ge­sicht, das sich mit sei­ner Nacht­hau­be gäh­nend zu Bet­te leg­te, muss­te man ver­ach­ten und be­mit­lei­den. Rosa stell­te sich vor den Spie­gel und drück­te die ge­fal­te­ten Hän­de auf den Gür­tel. Hübsch war es, wie das ro­si­ge blon­de Mäd­chen dort im Spie­gel so tra­gisch die Hän­de auf das Herz preß­te. »Lieb­chen«, sag­te Rosa vor sich hin, und bei die­sem Wort ward ihr zu­mut, als müss­te sie et­was Tol­les be­gin­nen, ihr Kleid tiefer von der Schul­ter ziehn – laut auf­schrei­en – sie wuss­te es selbst nicht…

      »Sehr be­dau­er­lich, dass in der Schu­le kein Spie­gel hängt, sie wür­de dich dann viel­leicht eher fes­seln.« Fräu­lein Schank mach­te die­se Be­mer­kung und mus­ter­te ihre Schü­le­rin mit säu­er­li­chem Blick: »Lie­be Rosa«, fuhr sie fort, »be­nimm dich ein we­nig ge­setz­ter. Sich doch Sal­ly an; wie ist sie heu­te al­ler­liebst! – Wer hat dein Kleid so toll aus­ge­schnit­ten? Es ist un­er­laubt. Mor­gen bringst du’s mir; ich wer­de es än­dern. Bald ist es auch elf Uhr; man muss ans Schla­fen­ge­hen den­ken.« Rosa warf einen bit­ter­bö­sen Blick auf die alte Dame, sie hät­te sie schla­gen mö­gen und lief has­tig fort – mit großer Ent­rüs­tung im Her­zen.

      Im Zo­fen­zim­mer saß Ag­nes am Tisch und schlief, den Kopf auf die Brust ge­senkt. Rosa kau­er­te sich auf dem Sofa hin, zog die Knie an sich, um­fass­te sie mit bei­den Ar­men, stütz­te ih­ren Kopf dar­auf und wein­te. Zu­wei­len schau­te sie auf, und dann ruh­ten ihre Bli­cke sin­nend auf dem stil­len Bil­de vor ihr. Ag­nes’ al­tes, schlum­mern­des Ge­sicht un­ter den trü­ben Flam­men der Ker­ze, die durch Ro­sas Trä­nen mit wun­der­lich krau­sen Strah­len um­ringt schi­en. – – –

      Mu­sik scholl her­über. Fräu­lein Sal­ly trat ins Ge­mach. »Rosa!« rief sie, »bist du hier? Was treibst du?« Rosa er­wi­der­te nichts und blick­te starr vor sich hin, die Le­bens­la­ge, die sie eben noch so drückend emp­fun­den hat­te, dünk­te ihr jetzt, da sie be­merkt ward, in­ter­essant.

      »Wa­rum so al­lein?« fuhr Fräu­lein Sal­ly fort und setz­te sich ne­ben ihre Freun­din. »Du hast ge­weint? Sag, was gibt es?«

      »Nichts«, ent­geg­ne­te Rosa ge­heim­nis­voll.

      »Doch, mein Herz!« Fräu­lein Sal­ly wur­de zärt­lich und strich Rosa das Haar an den Schlä­fen glatt. »Sag es mir.«

      »Nichts. Es über­kam mich so.«

      »Ja, das pas­siert mir auch häu­fig. СКАЧАТЬ