Название: Eduard von Keyserling – Gesammelte Werke
Автор: Eduard von Keyserling
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier
isbn: 9783962814601
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Ernst und erregt trat Ambrosius an Rosa heran.
»So nachdenklich?« fragte er.
Rosa blickte starr zum Kronleuchter auf.
»Soll ich in Ihren Augen lesen?« fuhr er fort.
»Vielleicht«, meinte Rosa.
»Oh, ich lese schon – einen wahren Roman.«
»Roman? Wer weiß?«
»Ja – ich weiß es!« Ambrosius sprach mit halber Stimme und etwas heiser: »Ich erzähle ihn dir – später – hm – Liebchen.«
Rosa zuckte leicht mit den Schultern, errötete und warf einen scheuen Blick auf Ambrosius, der ebenfalls dunkelrot geworden war und mit brennenden Augen auf die Lippen des Mädchens starrte.
Man ging zum Souper.
Frau Lanin öffnete die Türen des Speisesaals und machte Komplimente wie ein Herr. Dieser Einladung folgend, erhoben sich die älteren Damen, schüttelten freudig die Müdigkeit ab, die auf ihnen lastete, und knüpften neue Gespräche an, während sie langsam in den Speisesaal einzogen, denn keine wollte zu eilig erscheinen. Die junge Schar drängte nach. Auch hier erwärmte die Erwartung des Mahles die Heiterkeit. Die Tafel reichte von einem Ende des Gemaches bis zum anderen. Viele Kerzen in silbernen Armleuchtern gaben ihr ein glänzendes Ansehen, und die Fülle der aufgetragenen Speisen hatte etwas Großartiges. Am unteren Ende der Tafel stand Fräulein Sally – ruhig, fast gleichgültig. Sie war mit all den Herrlichkeiten viel zu vertraut, um das freudige Staunen der Gäste zu teilen.
»Sallychen, Sie haben viel zu tun gehabt; aber dafür ist es auch schön«, sagte Fräulein Schank und legte zärtlich ihre strenge Hand auf Fräulein Sallys heiße Wangen.
»Ich hoffe, es ist nicht ganz misslungen«, erwiderte Fräulein Sally kühl.
»Sehen Sie nur, liebe Schank!« rief das alte Fräulein Katter, das sich von Fräulein Schank führen ließ, »sehen Sie nur, um des Himmels willen – ein ganzes Schweinchen! Wie lieb das ist!«
Ja, ein ganzes kleines Schweinchen lag auf der Schüssel, weich in Salatblätter gebettet. Sorglos seine braune Kindernacktheit zeigend, schien es zu schlummern.
»Welche Überraschung!« meinte Fräulein Schank.
»Ja«, versetzte Fräulein Sally kurz und schob mit hartem, rücksichtslosem Finger den Kopf des kleinen Tieres auf den Salatblättern zurecht.
»Nur tapfer heran«, ermunterte Herr Lanin die jungen Leute und stieß einige von ihnen jovial in den Rücken. »Wenden Sie sich nur an meine Tochter. Sie – Toddels – Sie, Herr von Kollhardt – wenden Sie sich nur an Sally.«
»Sogleich, lieber Papa«, entgegnete Fräulein Sally gereizt. »Allen zugleich kann ich nicht dienen! Fräulein Katter, wünschen Sie ein Stück Ferkel?«
»Fast ist es schade, das liebe Tier anzuschneiden«, entgegnete das alte Fräulein, lachte und sah dabei Fräulein Schank an, diese aber wollte nicht mitlachen.
»Setzen wir uns, meine Herren!« schrie Klappekahl und rückte seinen Stuhl ganz nahe an den Tisch heran. »Nur keine Bescheidenheit, das ist die schlechteste Politik; auf dem Ball muss ein jeder versuchen, den schönsten Bissen zu erwischen – sowohl beim Tanz sowie beim Souper. Das ist kalter Truthahn, nicht wahr, Fräulein Sally? Ah, superb! Ich bitte um ein Stück; von Ihrer Hand vorgelegt, schmeckt es um so besser. Ein gutes Stück ist in unserem Alter das einzige, was wir von jungen Schönen beanspruchen dürfen. Wie, Doktor? Ah! Fräulein Mariannchen, Sie setzen sich neben mich! Superb! Fräulein Sally, ich bitte um ein Stück Truthahn für meine Nachbarin.«
»Marianne!« ertönte Fräulein Sallys Stimme im scharfen Geschäftston. »Wünschen Sie auch Aspik?«
Marianne schwieg und schaute Fräulein Sally andächtig aus ihren runden Augen an.
»Aspik?« wiederholte Fräulein Sally und sprach dieses Wort so glatt und geübt aus, dass es wie einsilbig klang; als Marianne aber immer noch nicht verstehen wollte, zuckte Fräulein Sally die Achseln und reichte ihr den Teller.
»Ah, das ist Aspik?« flüsterte Marianne und starrte den roten Gallert verklärt an. »Ist Aspik immer so?« wandte sie sich schüchtern an den Apotheker.
»Ja – o ja!« erwiderte dieser mit vollem Munde, »immer – von jeher –«
»Gewiss! Ich sage«, ertönte die gewichtige Stimme des Hausherrn, »hören Sie, Doktor, was ich sage. Ich sage also: Essen ist allerdings eine Arbeit, zu der man einen gewissen Ernst mitbringen muss. Essen rechne ich quasi unter die Pflichten.«
»Ich bitte um ein wenig Pastete. Ich kenne meine Pflicht. Ich vergrabe nicht mein Pfund«, rief Klappekahl dazwischen.
»Nein«, fuhr Herr Lanin fort, »ins Lächerliche kann man alles ziehen. Aber – abgesehen von allen Witzen – ich sage: der Mensch muss essen. Durch das Essen führen wir uns Lebensstoff zu. Das zweite ist: Bewegung. Da verarbeiten wir den empfangenen Stoff. Das dritte – sage ich – ist: Wissenschaft!« Dabei schlug er so kräftig auf den Tisch, dass Marianne Schulz erschrocken zusammenfuhr. »Wissenschaft! Denn den verarbeiteten Lebensstoff müssen wir dazu verwenden, uns Wissenschaft zu erwerben und unseren Geist zu bilden«, dabei machte Herr Lanin ein Handbewegung nach oben, als müsste der gebildete Geist sehr hoch aus seinem Kopfe herauswachsen.
»Ach, das sind Ihre systematisch-hegelschen Ideen, bester СКАЧАТЬ