Название: Eduard von Keyserling – Gesammelte Werke
Автор: Eduard von Keyserling
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier
isbn: 9783962814601
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Erfrischungen waren gereicht worden. Die Damen wischten sich zart die Fingerspitzen an ihren Taschentüchern und saßen gerade da. Der Tanz sollte beginnen; es war jedoch nicht leicht, den Anfang zu machen, da meinte Ambrosius, unbefangen lächelnd, als handle es sich um einen geringfügigen, lustigen Umstand: »Nun, Cousine, tanzen wir nicht?« – – »Oh, gewiss, Cousin! Machen Sie den Anfang, bitte – bitte.« Man rief nach Musik. Fräulein Wutter, die Musiklehrerin der Schankschen Schule, setzte sich an das Klavier, und die Musik spielte einen Walzer. Ambrosius ergriff seine Cousine und drehte sie anmutig im Saal herum. Der Bann war gebrochen! Die Mütter strichen sich die Seidenkleider glatt und schauten lächelnd in das wirre Durcheinander flatternder Bänder und weißer Kleider. Die Kavaliere stießen und drängten sich, um zu den Damen zu gelangen und sie mit hastigen, schiefen Verbeugungen zum Tanz aufzufordern; und die Damen, mit niedergeschlagenen Augen, erhitzten Wangen, ließen sich andächtig durch den Saal schwenken. – – Rosa tanzte mit Ambrosius. Er drückte ihre Hand mit einer abgerundeten Bewegung auf sein Herz und blickte gefühlvoll auf sie nieder. »Oh, gnädiges Fräulein! Ich habe viel an den gestrigen Abend gedacht – an Sie – an den Mond – es war köstlich!« – »Ich auch«, erwiderte Rosa und schlug ihre Augen langsam zu ihm auf, gehoben von dem Gefühl, dass sie etwas Kühnes, Unerhörtes beginne. Als sie an der Türe vorübertanzten, sah Rosa ihren Vater dort stehen. Lächelnd wiegte er sein weißes Haupt nach dem Takte der Musik und blickte kritisch auf die vorübertanzenden Füße. Dies greise, lächelnde Männlein erschien Rosa ein wenig verächtlich und ihrer nicht ganz würdig. – Der Kronleuchter warf durch den aufgewirbelten Staub ein rötliches Licht auf die wogende Schar. Das Lächeln auf den Lippen der zuschauenden älteren Leute nahm eine müde Stetigkeit an, während die Tanzenden schweigend atemlos und eifrig dahinstürmten.
Fräulein Sally wurde sehr gefeiert, und bei jedem neuen Tänzer, der seinen Arm um ihre schlanke, feste Taille legte, betrieb sie das Tanzen ruhiger, geschäftsmäßiger. Sie machte einen äußerst routinierten Eindruck, und das wollte sie. Rosa war auch viel umworben, ihre Triumphe erregten sie jedoch, ihre Lippen wurden heiß und die Augen leuchtend, »wie Girandolen«, sagte Klappekahl mit einem großstädtischen Fremdwort. In der Tat! Sie fühlte sich heute schön und anziehend. Ihr war es, als stehe sie hoch über ihren Genossinnen, als käme sie aus einer fremden, vornehmen Welt in diese Gesellschaft beschränkter Schülerinnen und dürfte mit Verachtung auf die schüchternen Backfischmanieren und engen Vorurteile dieser kleinen Mädchen mit den hoch über die Schultern gehenden Kleidern herabsehen. Sie sprach während der Rundtänze. Sie wurde müde. und die Herren mussten lange neben ihr warten. Sie forderte den Apotheker zu einem Walzer auf, und als er ihr viel Liebenswürdiges zuflüsterte, gab sie neckische Antworten, die alle mit »mein Herr« begannen oder schlossen. Oh, viel hatte sie heute abend gelernt! War sie nicht eine ganz andere Person? Wie im Fieber, aber in einem beglückenden, erhebenden Fieber, flatterte sie durch den Saal. Die Überzeugung, der Mittelpunkt des Festes zu sein, verschönte sie.
Klappekahl beugte sich nah an Fräulein Schanks braune Bandeaux heran und flüsterte: »Sehen Sie doch die Rosa Herz. Welche verve! Die schaut nicht aus, als käme sie aus Ihrer Schule.«
»Ach was«, meinte das Fräulein und machte ein Gesicht, als habe Klappekahl wieder seine Aufgabe nicht gelernt. »Sie werden das Kind ganz zur Närrin machen; es ist ohnehin heute laut genug.«
»Bühnenblut!« kicherte Klappekahl, »aber famos – diese Büste!« Fräulein Schank tat. als höre sie ihn nicht, und saß ernst und gerade da.
Es wurde eine Pause gemacht, die Damen sollten sich vor dem Souper erholen. Die Mädchen legten ihre nackten Arme ineinander und gingen langsam im Saale auf und ab. Die Herren lehnten an der Wand und flüsterten miteinander. Nur Ambrosius hatte sich den Damen angeschlossen. Mit kleinen Schritten neben ihnen einhergehend, führte er die Unterhaltung. Er schilderte Fräulein Klappekahl den Eindruck, den der erste Theaterabend auf ihn gemacht hatte, wie ein Traum sei ihm alles erschienen, er habe vor Aufregung fast mitgesprochen, und später habe er die ganze Nacht über geweint, denn er sei ein nervöses, phantastisches Kind gewesen, sozusagen »phantastisch-träumerisch«
Rosa lehnte einsam in der Türe des Damenzimmers und schaute sinnend in den Saal hinein. Sie durfte heute nicht das tun, was ihre Genossinnen taten; sie hatte einen Nimbus zu wahren. Die Würde einer Ballkönigin war ihr noch zu neu, und sie fürchtete beständig, diese Würde zu verletzen. Jeder Augenblick, der sie an die gestrige, gewöhnliche Rosa Herz erinnerte, bedrückte sie. Die Kühnheit, mit der sie einige Schüler neben sich hatte warten lassen, mit der sie während des Tanzes gesprochen und gelacht, machte sie in ihren Augen – zu einer glänzenden, mutwilligen Gesellschaftsnixe, die alle Herzen betört und selbst ein geheimnisvolles Herz unter dem knappen Mieder trägt. Großer Gott! Wenige rote Bänder, einige Handlungsdiener, die sich um einen Walzer stoßen, einige СКАЧАТЬ