Название: Eduard von Keyserling – Gesammelte Werke
Автор: Eduard von Keyserling
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier
isbn: 9783962814601
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Endlich der blonde Mädchenkopf, der leichtfertig in das große Gesangbuch hineinlächelte – der war gewiss »idyllisch«.
Neuntes Kapitel
Ambrosius Tellerat liebte also Rosa, denn dieses dünkte ihn die einzige seiner würdige Beschäftigung in diesem kleinlichen Neste. Sobald Rosa sich auf der Straße zeigte, begegnete ihr Ambrosius und grüßte sie, bald mit dem höflich kalten Gruß des Weltmannes, bald mit einem innigen, vielsagenden Neigen des Kopfes. Er ging vor ihrem Fenster auf und ab und sandte ihr durch den Burschen seines Schusters einen Strauß. Was zu tun war, geschah.
Rosa freute sich natürlich ihres Triumphes; natürlich tat sie ihr Möglichstes, um Ambrosius aufzumuntern. Wenn er, sehr korrekt in einem dunklen Überzieher eingeknöpft, einen hohen, spiegelblanken Hut ein wenig schief auf dem Kopf, unter Rosas Fenster vorüberging, dann schaute sie jedesmal hinaus. Er grüßte hinauf, sie grüßte hinab, errötete – zog den Kopf vom Fenster zurück und steckte ihn gleich wieder hinaus. Ambrosius pflegte eine Weile dort stehenzubleiben. Er wiegte sich sachte in den Hüften, zog seine Manschetten weit über die Hände, die in neuen Handschuhen steckten, drehte seinen Spazierstock und blickte süß empor. Diese saubre, gepflegte Festtagserscheinung – denn einen so blanken Hut, so neue Handschuhe, so gute Kleider trug man im Städtchen nur an hohen Festtagen – diese Festtagserscheinung, die jeden Werktagsnachmittag vor Rosas Fenster stand und sie bewunderte, brachte einen großen und neuen Reiz in das Leben des Mädchens. Die selbstbewusste Kühnheit, mit der Ambrosius zu ihr emporstarrte, die gesuchten Stellungen, der Aufwand mit großen, sehr funkelnden Hemdknöpfen und breiten Manschetten, den er trieb, alles war ihr neu und anziehend; und die Sonnenstrahlen, die auf dem blanken Hut blitzten, umgaben den gefühlvollen Handlungsdiener der Firma Lanin mit einer leuchtenden Aureole.
Und musste es nicht so sein? Musste nicht dieses Mädchen, mit der fiebernden Phantasie und den fiebernden Sinnen seiner siebzehn Jahre, die ungeduldig über das stille bürgerliche Leben hinausdrängten, musste es nicht allem Neuen, Ungewohnten begierig zuflattern, und war jenes Neue auch nur ein Kommis, der seinen Sonntagsrock am Werktage trug? Das Sinnen und Träumen, dem sich Rosa in einsamen Stunden gern ergab, verlor viel von seiner Unbestimmtheit. Ihre Gedanken verdichteten sich vielmehr um die eine Gestalt. Mit der naiven Umständlichkeit solcher jungen, nach Genuss verlangenden Visionäre malte sie sich Begegnungen und Zusammenkünfte mit Ambrosius aus – reiche, glänzende Kleider, die ihn in Erstaunen setzten; seltsame, unmögliche Lebenslagen, in denen sie ihm groß und bewunderungswürdig erschien. Bald war sie reich und fuhr in einer Kalesche durch die Straßen; Ambrosius stand am Wege und grüßte; sie ließ halten und sagte, mit dem nachlässigen Lächeln einer Weltdame: »Aber Herr von Tellerat; steigen Sie doch ein!« – Sie winkte dabei mit dem Fächer. Gott ja! Rosa warf ihren Kopf auf die Lehne des Stuhles zurück und schloss die Augen, diese Träume regten sie auf und erhitzten ihr Blut:
»Aber so steigen Sie doch ein, Herr von Tellerat«, flüsterte sie.
Um diese Zeit ward auch die Freundschaft mit Fräulein Sally besonders warm. Jeden Nachmittag fühlte Rosa das Bedürfnis, nach ihrer Freundin zu sehen. Saß Fräulein Sally nicht in sinnender Stellung am Fenster, so ging Rosa in den Laden, um nach ihr zu fragen. Lurch stand hinter dem Ladentisch, bleich, still, bestaubt, ganz wie er dort gestanden hatte, seit Rosa gelernt, ihn von den Fässern und Kisten zu unterscheiden. Ambrosius saß auf einer Kiste und hielt die Beine auf einer andern.
Wenn Rosa eintrat und einige unschlüssige Rebhuhnschritte im engen Raume machte, dann flog ein mattes Lächeln über Lurchs Gesicht, und Ambrosius richtete sich hastig aus seiner nachlässigen Stellung auf, zog seine Manschetten unter den Rockärmeln hervor und war ganz Salonmann. »Ah, Fräulein Herz! Gnädiges Fräulein – hm, Sie suchen wohl meine Cousine?«
»Ja, ich habe mit Sally zu sprechen.«
»Sally kommt sofort, gewiss, mein gnädiges Fräulein. Nicht wahr, Lurch? Gedulden Sie sich einen Augenblick, nehmen Sie mit unserer Klause vorlieb.«
»Oh, Herr von Tellerat, es hat keine Eile.«
»Aber Sally wird sogleich hier sein. Nehmen Sie Platz, gnädiges Fräulein. Sehr primitiv, nicht? Ja, ja, sehr arkadisch!«
Rosa setzte sich. Ambrosius stand neben ihr und führte die Unterhaltung. Rosa schlug ihre Augen voll zu ihm auf, und er blickte angestrengt in diese blauen runden Augen. Das machte für beide dieses Zusammensein zu einem bedeutungsvollen.
»Gute Augen!« pflegte Ambrosius später zu Lurch zu sagen.
»Wer? Ah, Fräulein Rosa!«
»Ja – hm – Fräulein Herz. Man muss eben verstehen, den rechten Funken aus Weiberaugen herauszuschlagen.« Ambrosius kniff die Augenlider zusammen, um die Methode anzugeben. »Verstehen muss man das, damit die Mädel einen so recht anschauen; die Augen aufschlagen und einen so plötzlich ansehen, so – wissen Sie?«
»Ja.« Lurch verstand ihn.
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