Eduard von Keyserling – Gesammelte Werke. Eduard von Keyserling
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Eduard von Keyserling – Gesammelte Werke - Eduard von Keyserling страница 19

Название: Eduard von Keyserling – Gesammelte Werke

Автор: Eduard von Keyserling

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier

isbn: 9783962814601

isbn:

СКАЧАТЬ zu sein, denn die alte Dame zuck­te er­schro­cken mit den Schul­tern. Jetzt wa­ren die tie­fe Stim­me des Geist­li­chen und ein be­stän­di­ges Hüs­teln, das die Run­de durch die Ge­stüh­le mach­te, die ein­zi­gen Lau­te im Raum. Blät­ter­schat­ten fuh­ren über den Estrich. Son­nen­strah­len spiel­ten an den Wän­den und über­gol­de­ten zu­wei­len jäh das an­däch­ti­ge, fal­ti­ge Ge­sicht ei­ner al­ten Frau. Am­bro­si­us gab sich wil­lig der ru­hi­gen, be­hag­li­chen Stim­mung hin, in der all die­se Men­schen ein­träch­tig bei­ein­an­der­sa­ßen, wie eine große Fa­mi­lie in ei­nem al­ten Fa­mi­li­en­zim­mer. Bei sei­ner Vor­lie­be für ab­ge­grif­fe­ne Wor­te nann­te er das »idyl­lisch«. Eine flüch­ti­ge Auf­merk­sam­keit schenk­te er auch der Pre­digt, die den Gang der zwei Jün­ger nach Em­maus er­ör­ter­te. Vi­el­leicht emp­fand er et­was von der Poe­sie die­ser schö­nen Er­zäh­lung. Das Ein­her­ge­hen von Zwei­en auf der nächt­li­chen Land­stra­ße, das Be­spre­chen der wun­der­sa­men Er­eig­nis­se, die Be­geg­nung mit dem Er­lö­ser, bei des­sen Wor­ten ihre Her­zen bren­nen, das ge­mein­schaft­li­che Mahl, end­lich – das Fort­schaf­fen ei­ner so be­trü­ben­den Tat­sa­che, wie der Tod ei­nes großen und ge­lieb­ten Freun­des ist. All das fand Am­bro­si­us heu­te »idyl­lisch«.

      End­lich der blon­de Mäd­chen­kopf, der leicht­fer­tig in das große Ge­sang­buch hin­ein­lä­chel­te – der war ge­wiss »idyl­lisch«.

      Neuntes Kapitel

      Am­bro­si­us Tel­le­r­at lieb­te also Rosa, denn die­ses dünk­te ihn die ein­zi­ge sei­ner wür­di­ge Be­schäf­ti­gung in die­sem klein­li­chen Nes­te. So­bald Rosa sich auf der Stra­ße zeig­te, be­geg­ne­te ihr Am­bro­si­us und grüß­te sie, bald mit dem höf­lich kal­ten Gruß des Welt­man­nes, bald mit ei­nem in­ni­gen, viel­sa­gen­den Nei­gen des Kop­fes. Er ging vor ih­rem Fens­ter auf und ab und sand­te ihr durch den Bur­schen sei­nes Schus­ters einen Strauß. Was zu tun war, ge­sch­ah.

      Rosa freu­te sich na­tür­lich ih­res Tri­um­phes; na­tür­lich tat sie ihr Mög­lichs­tes, um Am­bro­si­us auf­zu­mun­tern. Wenn er, sehr kor­rekt in ei­nem dunklen Über­zie­her ein­ge­knöpft, einen ho­hen, spie­gelblan­ken Hut ein we­nig schief auf dem Kopf, un­ter Ro­sas Fens­ter vor­über­ging, dann schau­te sie je­des­mal hin­aus. Er grüß­te hin­auf, sie grüß­te hin­ab, er­rö­te­te – zog den Kopf vom Fens­ter zu­rück und steck­te ihn gleich wie­der hin­aus. Am­bro­si­us pfleg­te eine Wei­le dort ste­hen­zu­blei­ben. Er wieg­te sich sach­te in den Hüf­ten, zog sei­ne Man­schet­ten weit über die Hän­de, die in neu­en Hand­schu­hen steck­ten, dreh­te sei­nen Spa­zier­stock und blick­te süß em­por. Die­se saub­re, ge­pfleg­te Fest­tags­er­schei­nung – denn einen so blan­ken Hut, so neue Hand­schu­he, so gute Klei­der trug man im Städt­chen nur an ho­hen Fest­ta­gen – die­se Fest­tags­er­schei­nung, die je­den Werk­tags­nach­mit­tag vor Ro­sas Fens­ter stand und sie be­wun­der­te, brach­te einen großen und neu­en Reiz in das Le­ben des Mäd­chens. Die selbst­be­wuss­te Kühn­heit, mit der Am­bro­si­us zu ihr em­por­starr­te, die ge­such­ten Stel­lun­gen, der Auf­wand mit großen, sehr fun­keln­den Hemd­knöp­fen und brei­ten Man­schet­ten, den er trieb, al­les war ihr neu und an­zie­hend; und die Son­nen­strah­len, die auf dem blan­ken Hut blitz­ten, um­ga­ben den ge­fühl­vol­len Hand­lungs­die­ner der Fir­ma La­nin mit ei­ner leuch­ten­den Au­reo­le.

      Und muss­te es nicht so sein? Muss­te nicht die­ses Mäd­chen, mit der fie­bern­den Phan­ta­sie und den fie­bern­den Sin­nen sei­ner sieb­zehn Jah­re, die un­ge­dul­dig über das stil­le bür­ger­li­che Le­ben hin­aus­dräng­ten, muss­te es nicht al­lem Neu­en, Un­ge­wohn­ten be­gie­rig zu­flat­tern, und war je­nes Neue auch nur ein Kom­mis, der sei­nen Sonn­tags­rock am Werk­ta­ge trug? Das Sin­nen und Träu­men, dem sich Rosa in ein­sa­men Stun­den gern er­gab, ver­lor viel von sei­ner Un­be­stimmt­heit. Ihre Ge­dan­ken ver­dich­te­ten sich viel­mehr um die eine Ge­stalt. Mit der nai­ven Um­ständ­lich­keit sol­cher jun­gen, nach Ge­nuss ver­lan­gen­den Vi­sio­näre mal­te sie sich Be­geg­nun­gen und Zu­sam­men­künf­te mit Am­bro­si­us aus – rei­che, glän­zen­de Klei­der, die ihn in Er­stau­nen setz­ten; selt­sa­me, un­mög­li­che Le­bens­la­gen, in de­nen sie ihm groß und be­wun­de­rungs­wür­dig er­schi­en. Bald war sie reich und fuhr in ei­ner Ka­le­sche durch die Stra­ßen; Am­bro­si­us stand am Wege und grüß­te; sie ließ hal­ten und sag­te, mit dem nach­läs­si­gen Lä­cheln ei­ner Welt­da­me: »Aber Herr von Tel­le­r­at; stei­gen Sie doch ein!« – Sie wink­te da­bei mit dem Fä­cher. Gott ja! Rosa warf ih­ren Kopf auf die Leh­ne des Stuh­les zu­rück und schloss die Au­gen, die­se Träu­me reg­ten sie auf und er­hitz­ten ihr Blut:

      »Aber so stei­gen Sie doch ein, Herr von Tel­le­r­at«, flüs­ter­te sie.

      Um die­se Zeit ward auch die Freund­schaft mit Fräu­lein Sal­ly be­son­ders warm. Je­den Nach­mit­tag fühl­te Rosa das Be­dürf­nis, nach ih­rer Freun­din zu se­hen. Saß Fräu­lein Sal­ly nicht in sin­nen­der Stel­lung am Fens­ter, so ging Rosa in den La­den, um nach ihr zu fra­gen. Lurch stand hin­ter dem La­den­tisch, bleich, still, be­staubt, ganz wie er dort ge­stan­den hat­te, seit Rosa ge­lernt, ihn von den Fäs­sern und Kis­ten zu un­ter­schei­den. Am­bro­si­us saß auf ei­ner Kis­te und hielt die Bei­ne auf ei­ner an­dern.

      Wenn Rosa ein­trat und ei­ni­ge un­schlüs­si­ge Reb­huhn­schrit­te im en­gen Rau­me mach­te, dann flog ein mat­tes Lä­cheln über Lurchs Ge­sicht, und Am­bro­si­us rich­te­te sich has­tig aus sei­ner nach­läs­si­gen Stel­lung auf, zog sei­ne Man­schet­ten un­ter den Rock­är­meln her­vor und war ganz Sa­lon­mann. »Ah, Fräu­lein Herz! Gnä­di­ges Fräu­lein – hm, Sie su­chen wohl mei­ne Cou­si­ne?«

      »Ja, ich habe mit Sal­ly zu spre­chen.«

      »Sal­ly kommt so­fort, ge­wiss, mein gnä­di­ges Fräu­lein. Nicht wahr, Lurch? Ge­dul­den Sie sich einen Au­gen­blick, neh­men Sie mit un­se­rer Klau­se vor­lieb.«

      »Oh, Herr von Tel­le­r­at, es hat kei­ne Eile.«

      »Aber Sal­ly wird so­gleich hier sein. Neh­men Sie Platz, gnä­di­ges Fräu­lein. Sehr pri­mi­tiv, nicht? Ja, ja, sehr ar­ka­disch!«

      Rosa setz­te sich. Am­bro­si­us stand ne­ben ihr und führ­te die Un­ter­hal­tung. Rosa schlug ihre Au­gen voll zu ihm auf, und er blick­te an­ge­strengt in die­se blau­en run­den Au­gen. Das mach­te für bei­de die­ses Zu­sam­men­sein zu ei­nem be­deu­tungs­vol­len.

      »Gute Au­gen!« pfleg­te Am­bro­si­us spä­ter zu Lurch zu sa­gen.

      »Wer? Ah, Fräu­lein Rosa!«

      »Ja – hm – Fräu­lein Herz. Man muss eben ver­ste­hen, den rech­ten Fun­ken aus Wei­be­rau­gen her­aus­zu­schla­gen.« Am­bro­si­us kniff die Au­gen­li­der zu­sam­men, um die Metho­de an­zu­ge­ben. »Ver­ste­hen muss man das, da­mit die Mä­del einen so recht an­schau­en; die Au­gen auf­schla­gen und einen so plötz­lich an­se­hen, so – wis­sen Sie?«

      »Ja.« Lurch ver­stand ihn.

      Den СКАЧАТЬ