Название: Eduard von Keyserling – Gesammelte Werke
Автор: Eduard von Keyserling
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier
isbn: 9783962814601
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Rosa dachte nach – ließ die Arme schlaff niederhängen und streckte die Füße von sich. Das zerknitterte Kleid war tief von den Schultern herabgeglitten – wirr hingen ihr die Locken ins Gesicht –, und das ärmliche Mondlicht ließ die ganze Gestalt seltsam weiß und bleich erscheinen.
»Warum bin ich hier – im Laden? Und warum sind Sie hier?« fragte sie langsam.
»Das kommt daher –«, erklärte Lurch. »Doch, Sie werden sich dessen schon entsinnen. Ich habe einiges gesehen, ich will nicht davon sprechen, es könnte Sie beleidigen. Herr von Tellerat ging in den Saal zurück.«
»Ah –«, jetzt wusste es Rosa, und ihr ward bange. »Fort will ich«, sagte sie rau.
»Gewiss, Fräulein Rosa; erlauben Sie nur«, und behutsam fasste Lurch den Rand von Rosas Kleid. »Das ist nicht für alle Welt.«
Die kalten Finger, die sie berührten, ließen Rosa vor Widerwillen schaudern, und sie begann zu weinen.
»Hab ich Ihnen wehgetan?« klagte Lurch, und in seinen trüben Augen standen auch Tränen.
»Ich kann die Türe nicht finden«, schluchzte Rosa.
»Weinen Sie darüber, Fräulein Rosa? Die Türe kann ich Ihnen zeigen; hier ist sie.«
Rosa lief hinaus, eilig, als würde sie gejagt. Der dunkle Raum, den sie verließ, erregte in ihr jenes peinvolle Gefühl, das Kinder erfasst, wenn sie an finsteren Ecken vorüber müssen.
Der Saal war fast leer, nur in einer Ecke saß Frau Lanin und schlief, in der entgegengesetzten Ecke saß Herr Herz und schlief ebenfalls, und die beiden Schlummernden sandten sich abgerissene, schnurrende Kehllaute zu, dass es wie eine Unterhaltung in einer barbarischen Sprache klang. Auf einem Sessel kauerte etwas Weißes – Marianne Schulz. Sie schluchzte dort leise, denn seit dem Souper hatte keiner mit ihr getanzt. Sie konnte sich nicht entschließen, den Saal zu verlassen und das festliche Musselinkleid abzulegen.
Rosa ging zu ihrem Vater hinüber, legte ihre Arme um seinen Hals und weckte ihn mit einem Kuss.
»Komm –«, sagte sie.
»Gewiss, mein Kind; es ist schon spät, nicht?«
»Leiser, Papa, dass niemand uns hört.«
»Haha, wieder ein Spaß.«
Arm in Arm gingen sie hinaus. Eine Wolke zog über den Mond, und ein sanftes Dämmerlicht lag über der schlummernden Stadt, den stillen weißen Häusern, den leeren feuchten Straßen, wie das graue Zwielicht einer Krankenstube.
Elftes Kapitel
Am folgenden Tage war Rosa krank. Ja, sie fühlte sich sehr krank. Abgehetzt und atemlos fuhr sie aus dem Schlaf auf. Wirre Träume, auf die sie sich nicht mehr besinnen konnte, hatten sie gejagt und verfolgt. In Fiebernächten wird das aufgeregte Blut eine Peitsche, die uns nimmer Ruhe gönnt; jede neue Welle ein neuer Schlag, der uns aus einem wüsten Traumort in den andern treibt, bis wir, zu Tode ermattet, erwachen. Die wilden Träume hatten Rosa so weit von ihrem friedlichen Zimmer fortgetragen, dass sie sich jetzt verwundert umschaute. Sonnenstrahlen stahlen sich lustig gelb durch die Spalten der Vorhänge und zitterten als mattblonde Flocken auf der Wand. Eine Fliege schwirrte, leise summend, den Lichtweg vom Vorhang zur Wand auf und ab. In der Türe stand Agnes Stockmaier und schaute Rosa mit ihren ruhigen, matten Augen an, und diese Augen taten Rosa wohl – übergossen sie mit warmem Behagen, sicherer Gemütlichkeit. Rosa lehnte sich in ihre Kissen zurück und ließ sich anschauen.
»Was gibt’s, Kind?« begann Agnes, und die sanfte, altgewohnte Stimme schien die Stille des Gemaches kaum zu unterbrechen. »Dir ist nicht gut? Im Schlaf hast du dich hin- und hergeworfen und hast gestöhnt. Was gibt’s?«
»Nein, Agnes, mir ist nicht gut!« erwiderte Rosa. »Ich bin so müde.«
»So schlaf, Kind.«
»Das mag ich nicht.«
»Gut! Bleib wenigstens liegen. Aus der Schule wird heute ohnehin nichts.« Agnes rückte Rosa die Kissen zurecht und strich die Bettdecke glatt. »Ich bringe das Frühstück. Das kommt vom Tanzen.«
»Ach ja!«
Agnes ging, und Rosa lag wieder ruhig da, die Hände über der Bettdecke gefaltet. Sie wollte sich selbst die Überzeugung aufdrängen, sie sei krank und durchaus nicht imstande, Geschehenes klar zu überdenken, einen Entschluss zu fassen, eine Verantwortung zu übernehmen.
Agnes brachte das Frühstück, richtete Rosa auf, strich ihr das Haar aus der Stirne, hielt ihr die Schale mit Milch; unwillkürlich geriet sie wieder in das Geschäft des Wartens hinein, das sie so lange an der kleinen Rosa geübt hatte; und Rosa fand sich auch schnell wieder in die Rolle, Agnes’ Schützling zu sein, der noch nichts von der bösen Welt der Tellerats und der Lurchs weiß.
»Du bleibst liegen, bis der Papa kommt«, beschloss Agnes. »Liege nur still. Zu Mittag stehen wir auf.« Sie schob die Vorhänge zurück, öffnete das Fenster, warf einen prüfenden Blick auf das Gemach, wie sie es früher so oft getan, wenn sie das Kind allein ließ und sich vorher davon überzeugte, ob nichts im Gemach dem Kinde schaden könnte; dann ging sie mit dem gewohnten »Hübsch still! Ich bin gleich wieder da« hinaus.
Das Sonnenlicht drang jetzt voll in das Zimmer und beschien grell all die alten Sachen, die abgeblichenen Vorhänge, den struppigen Teppich – Rosas dunkles Werktagskleid. Durch das Fenster klang das eintönige Surren der heißen Mittagsstunde herein, und allerhand klingendes Sommergesindel mit flimmernden Flügeln verirrte sich in das Gemach. Rosas Gedanken gingen weit in frühe Kindertage zurück; immer wieder wollte sie den ereignislosen Frieden jener Zeit denken, es kostete sie jedoch Anstrengung, denn zuweilen entwichen die Gedanken zu einem Gegenstande, den Rosa vermeiden wollte. Nein, in jene Zeit wollte sie sich zurückversetzen, da sie auf dem Estrich der Küche saß und spielte, während Agnes die Suppe kochte und Blätterschatten über den weißen Küchentisch strichen, immer hin und her… doch ehe sie sich dessen versah, stand ein blasses, aufgeregtes Gesicht vor ihr – heiße Hände drückten ihren Arm – – –, gewaltsam musste СКАЧАТЬ