Gesammelte Werke. Фридрих Вильгельм Ницше
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СКАЧАТЬ Ge­fahr phan­tas­ti­scher Ver­ir­run­gen – hier, wo eine Ar­beit in Reih und Glied ge­ra­de das Wün­schens­wer­tes­te ist – hier über­rascht den Heran­kom­men­den nicht jene ab­wei­sen­de ma­je­stä­ti­sche Stim­me, die aus der Trüm­mer­welt des Al­ter­thums ihm ent­ge­gen­klingt: hier nimmt man Je­den noch mit off­nen Ar­men auf, und auch Der, wel­cher es vor So­pho­kles und Ari­sto­pha­nes nie­mals zu ei­nem un­ge­wöhn­li­chen Ein­druck, zu ei­nem acht­ba­ren Ge­dan­ken brach­te, wird etwa mit Er­folg an einen ety­mo­lo­gi­schen Web­stuhl ge­stellt oder zum Sam­meln ent­le­ge­ner Dialek­tres­te auf­ge­for­dert – und un­ter Ver­knüp­fen und Tren­nen, Sam­meln und Zer­streu­en, Hin- und Her­lau­fen und Bü­cher­nach­schla­gen ver­geht ihm der Tag. Nun aber soll ein so nütz­lich ver­wen­de­ter Sprach­for­scher noch vor Al­lem Leh­rer sein! Und nun soll er ge­ra­de, sei­nen Ver­pflich­tun­gen ge­mäß, über alte Au­to­ren, zum Hei­le der Gym­na­sial­ju­gend, et­was zu leh­ren ha­ben, über die er es doch selbst nie zu Ein­drücken, noch we­ni­ger zu Ein­sich­ten ge­bracht hat! Wel­che Ver­le­gen­heit! Das Al­ter­thum sagt ihm nichts, und folg­lich hat er nichts über das Al­ter­thum zu sa­gen. Plötz­lich wird ihm licht und wohl: wozu ist er Sprach­ge­lehr­ter! Wa­rum ha­ben jene Au­to­ren grie­chisch und la­tei­nisch ge­schrie­ben! Und nun fängt er lus­tig, so­gleich bei Ho­mer an, zu ety­mo­lo­gi­si­ren und das Lit­haui­sche oder das Kir­chens­la­vi­sche, vor Al­lem aber das hei­li­ge Sans­krit zu Hül­fe zu neh­men, als ob die grie­chi­schen Schul­stun­den nur der Vor­wand für eine all­ge­mei­ne Ein­lei­tung in das Sprach­stu­di­um sei­en und als ob Ho­mer nur an ei­nem prin­zi­pi­el­len Feh­ler lei­de, näm­lich nicht urin­do­ger­ma­nisch ge­schrie­ben zu sein. Wer die jet­zi­gen Gym­na­si­en kennt, der weiß, wie sehr ihre Leh­rer der clas­si­schen Ten­denz ent­frem­det sind, und wie aus ei­nem Ge­füh­le die­ses Man­gels ge­ra­de jene ge­lehr­ten Be­schäf­ti­gun­gen mit der ver­glei­chen­den Sprach­wis­sen­schaft so über­hand ge­nom­men ha­ben.«

      »Ich mei­ne doch«, sag­te der Beglei­ter, »es käme ge­ra­de dar­auf an, daß ein Leh­rer der clas­si­schen Bil­dung sei­ne Grie­chen und Rö­mer eben nicht mit den an­de­ren, mit den bar­ba­ri­schen Völ­kern ver­wech­se­le, und daß für ihn Grie­chisch und La­tei­nisch nie eine Spra­che ne­ben an­de­ren sein kön­ne: ge­ra­de für sei­ne clas­si­sche Ten­denz ist es gleich­gül­tig, ob das Kno­chen­ge­rüs­te die­ser Spra­chen mit dem an­de­rer Spra­chen über­ein­stim­me und ver­wandt sei: auf das Über­ein­stim­men­de kommt es ihm nicht an: ge­ra­de an dem Nicht­ge­mein­sa­men, ge­ra­de an Dem, was jene Völ­ker als nicht bar­ba­ri­sche über alle an­dern Völ­ker stellt, haf­tet sei­ne wirk­li­che Theil­nah­me, so­weit er eben ein Leh­rer der Bil­dung ist und sich selbst an dem er­ha­be­nen Vor­bild des Clas­si­schen um­bil­den will.«

      »Und, täu­sche ich mich«, sag­te der Phi­lo­soph, »ich habe den Arg­wohn, daß bei der Art, wie jetzt auf den Gym­na­si­en La­tei­nisch und Grie­chisch ge­lehrt wird, ge­ra­de das Kön­nen, die be­que­me in Spre­chen und Schrei­ben sich äu­ßern­de Herr­schaft über die Spra­che ver­lo­ren geht: Et­was, worin sich mei­ne jetzt frei­lich schon sehr ver­al­te­te und spär­lich ge­wor­de­ne Ge­ne­ra­ti­on aus­zeich­ne­te: wäh­rend mir die jet­zi­gen Leh­rer so ge­ne­tisch und his­to­risch mit ih­ren Schü­lern um­zu­ge­hen schei­nen, daß zu­letzt bes­ten Falls auch wie­der klei­ne Sans­kri­ta­ner oder ety­mo­lo­gi­sche Sprüht­eu­fel­chen oder Kon­jek­tu­ren-Wüst­lin­ge dar­aus wer­den, aber Kei­ner von ih­nen, zu sei­nem Be­ha­gen, gleich uns Al­ten, sei­nen Pla­to, sei­nen Ta­ci­tus le­sen kann. So mö­gen die Gym­na­si­en auch jetzt noch Pflanz­stät­ten der Ge­lehr­sam­keit sein, aber nicht der Ge­lehr­sam­keit, wel­che gleich­sam nur die na­tür­li­che und un­ab­sicht­li­che Ne­ben­wir­kung ei­ner auf die edels­ten Zie­le ge­rich­te­ten Bil­dung ist, son­dern viel­mehr je­ner, wel­che mit der hy­per­tro­phi­schen An­schwel­lung ei­nes un­ge­sun­den Lei­bes zu ver­glei­chen wäre. Für die­se ge­lehr­te Fett­sucht sind die Gym­na­si­en die Pflanz­stät­ten: wenn sie nicht gar zu Ring­schu­len je­ner ele­gan­ten Bar­ba­rei ent­ar­tet sind, die sich jetzt als »deut­sche Cul­tur der Jetzt­zeit« zu brüs­ten pflegt.«

      »Wo­hin aber«, ant­wor­te­te der Beglei­ter, »sol­len sich jene ar­men zahl­rei­chen Leh­rer flüch­ten, de­nen die Na­tur zu wah­rer Bil­dung kei­ne Mit­gift ver­lie­hen, die viel­mehr nur durch eine Noth, weil das Über­maß von Schu­len ein Über­maß von Leh­rern braucht, und um sich selbst zu er­näh­ren, zu dem An­spru­che ge­kom­men sind, Bil­dungs­leh­rer vor­zu­stel­len! Wo­hin sol­len sie sich flüch­ten, wenn das Al­ter­thum sie ge­bie­te­risch zu­rück­weist! Müs­sen sie nicht den­je­ni­gen Mäch­ten der Ge­gen­wart zum Op­fer fal­len, die Tag für Tag, aus dem un­er­müd­lich tö­nen­den Or­gan der Pres­se, ih­nen zu­ru­fen: »Wir sind die Cul­tur! Wir sind die Bil­dung! Wir sind auf der Höhe! Wir sind die Spit­ze der Py­ra­mi­de! Wir sind das Ziel der Welt­ge­schich­te!« – wenn sie die ver­füh­re­ri­schen Ver­hei­ßun­gen hö­ren, wenn ih­nen ge­ra­de die schmäh­lichs­ten An­zei­chen der Un­cul­tur, die ple­be­ji­sche Öf­fent­lich­keit der so­ge­nann­ten »Cul­tu­r­in­ter­es­sen« in Jour­nal und Zei­tung als das Fun­da­ment ei­ner ganz neu­en al­ler­höchs­ten reifs­ten Bil­dungs­form an­ge­prie­sen wird! Wo­hin sol­len sich die Ar­men flüch­ten, wenn in ih­nen auch nur der Rest ei­ner Ah­nung lebt, daß es mit je­nen Ver­hei­ßun­gen sehr lü­gen­haft be­stellt sei – wo­hin an­ders als in die stump­fes­te, mi­kro­lo­gisch dürrs­te Wis­sen­schaft­lich­keit, um nur hier von dem un­er­müd­li­chen Bil­dungs­ge­schrei nichts mehr zu hö­ren? Müs­sen sie nicht, in die­ser Wei­se ver­folgt, end­lich wie der Vo­gel Strauß ih­ren Kopf in einen Hau­fen San­des ste­cken! Ist es nicht ein wah­res Glück für sie, daß sie, ver­gra­ben un­ter Dia­lek­ten, Ety­mo­lo­gi­en und Con­jek­tu­ren, ein Amei­sen­le­ben füh­ren, wenn auch in mei­len­wei­ter Ent­fer­nung von wah­rer Bil­dung, so doch we­nigs­tens mit ver­kleb­ten Ohren und ge­gen die Stim­me der ele­gan­ten Zeit­cul­tur taub und ab­ge­schlos­sen?«

      »Du hast Recht, mein Freund«, sag­te der Phi­lo­soph, »aber wo liegt jene eher­ne No­thwen­dig­keit, daß ein Über­maß von Bil­dungs­schu­len be­ste­hen müs­se, und daß da­durch wie­der ein Über­maß von Bil­dungs­leh­rern nö­thig wer­de? – wenn wir doch so deut­lich er­ken­nen, daß die For­de­rung die­ses Über­ma­ßes aus ei­ner der Bil­dung feind­li­chen Sphä­re her er­schallt, und daß die Con­se­quen­zen die­ses Über­ma­ßes auch nur der Um­bil­dung zu gute kom­men? In der That kann von ei­ner sol­chen eher­nen No­thwen­dig­keit nur in­so­fern die Rede sein, als der mo­der­ne Staat in die­sen Din­gen mit­zu­re­den ge­wohnt ist und sei­ne For­de­run­gen mit ei­nem Schlag an sei­ne Rüs­tung zu be­glei­ten pflegt: wel­ches Phä­no­men dann frei­lich auf die Meis­ten den glei­chen Ein­druck macht, als ob die ewi­ge eher­ne No­thwen­dig­keit, das Ur­ge­setz der Din­ge zu ih­nen re­de­te. Im Üb­ri­gen ist ein mit sol­chen For­de­run­gen re­den­der »Cul­tur­staat«, wie man jetzt sagt, et­was Jun­ges und ist erst in dem letz­ten hal­b­en Jahr­hun­dert zu ei­ner »Selbst­ver­ständ­lich­keit« ge­wor­den, das heißt in ei­ner Zeit, der, nach ih­rem Lieb­lings­wort, so vie­ler­lei »selbst­ver­ständ­lich« vor­kommt, was an sich durch­aus sich nicht von selbst ver­steht. Gera­de von dem kräf­tigs­ten mo­der­nen Staa­te, von Preu­ßen, ist die­ses Recht der obers­ten Füh­rung in Bil­dung und Schu­le so ernst СКАЧАТЬ