Название: Ausgewählte Werke von Heinrich Zschokke
Автор: Heinrich Zschokke
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
isbn: 9788027214945
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Addrich blieb stumm. Die Wetterwolken blitzten am fernen Himmel. Die schwarze Himmelshülle zerriß und ließ den Mondschein durchschimmern. Er gab gerade Licht genug, um die Einöde auf dem Berge noch grauenhafter zu machen.
»Hast Du dies Weib verstanden?« fragte Fabian.
Der Alte stand da, in sich gekehrt und stumm. Fabian richtete die Augen auf ihn, der wie ein schwarzer Schatten in der Luft vor ihm herging, und keine Bewegung zeigte, als das Flattern des Gewandes im Sturmwinde. »Ich fühle die unaussprechlichste Seelenangst, Addrich,« sagte der Jüngling mit gepreßter Stimme, ging dann hastig zu dem Alten, ergriff ihn und schrie: »Komm', komm' hinab! Es hat sich ein Unglück ereignet!«
»Laß die Wahnsinnige! Wir würden sie vergebens suchen,« antwortete Addrich mit tonloser Stimme. »Gehen wir in's Moos zu den Unsrigen. Fabian, es muß um Mitternacht sein.«
Beide wandelten schweigend über den Berg, der entgegengesetzten Seite zu. Sie gelangten zu Gestrüpp und Gebüsch, und irrten lange umher, bevor sie in der Dunkelheit den Fußweg dahin entdeckten. Dann schritten sie, jenseits des Dickichts, über unsichtbare Pfade, die Wiesen hinab zum Moos.
47.
Die letzte Nacht im Moos.
»Alter, wohin rennst Du?« rief Fabian und blieb stehen. »Erblickst Du nicht rechts, ganz nahe in der Tiefe, den Steinhaufen, den man des Selbstmörders Grab nennt, und links am Himmel den Berg und Waldeinschnitt? Wir müssen bei dem Hause schon vorüber sein.«
»Die Nacht ist finster,« erwiderte Addrich, und kehrte um. »Finster ist die Nacht und mein Auge dunkel. Ich bin müde und in Verwirrung, und schaue nach dem Fensterlicht. Doch sie schlafen alle, selbst Leonorens Lämpchen ist erloschen.« Addrich blieb stehen, als mangle ihm der Atem, und setzte hinzu: »Fabian, ihr Lämpchen erloschen.«
Diese Worte sprach er langsam, er hauchte sie nur leise vor sich hin. Der Jüngling ergriff ihn mit Heftigkeit und riß ihn ungestüm mit sich fort. »Laß uns höher steigen, höher, Addrich! In der Höhe am Waldsaum verfehlen wir das Gebäude nicht.«
»Geduld, Fabian, die Nacht ist dunkel; das Wetterleuchten blendet. Die Hütte wird uns nicht entrinnen, aber Hast und Eile verfehlen auch beim hellen Sonnenschein den Kirchturm.«
»Addrich, witterst Du nichts? Es weht mich an wie der Geruch von Kohlenmeilern.«
»Das weht herüber von den qualmenden Düngerhaufen, Fabian, vom frischen Landausbruch, wo Baschis Dornen und Graswurzeln brennen.«
»Alter, ich denke immer an des Weibes Reden. Hast Du sie verstanden?«
»Was willst Du, Fabian? Sei still und sieh hinunter. Ich erblicke Licht.«
»Wir wandern zu hoch, Addrich. Das ist kein Fensterschein. Wie Irrlichter sehe ich's hüpfen.«
»Fabian, Du hast eine helle Stimme. Rufe! Es mag meiner Knechte einer sein mit der Hornleuchte, wie er durch den Wald sucht.«
»Halt, halt, Addrich!« schrie Fabian mit Entsetzen und hielt den Alten. »Schlage Deine Augen auf. Hier ist der Waldweg, hier der Garten, hier der Brunnen. Hier war Deine Hütte.«
»Ich gewahre nichts,« erwiderte Addrich eintönig. »Bin ich erblindet? Sind das nicht Funken am Boden? Dampft da nicht Rauch?«
Fabian senkte schaudernd das Haupt zwischen beide Hände nieder und stammelte: »Unglückseliger Mann!«
Es entstand ein langes Schweigen. Beide starrten in einer Art Bewußtlosigkeit auf den finstern Raum hin, von welchem zuweilen dunkelrote Funken im Windzuge aufsprühten und unter den fallenden Regentropfen zischend wieder verschwanden. Durch die geteilten Wolken zog bisweilen ein Dämmerschein des verhüllten Mondes über die Brandstätte, und zeigte einige übereinander gestürzte halbverkohlte Balken. Dann und wann trat der Gräuel der Verwüstung vom Widerschein fernen Wetterleuchtens aus dem Abgrunde der Nacht in die volle Klarheit des Tages, um wieder zu verschwinden,
Addrich sah zum Himmel auf, zur glimmenden Stätte nieder und streifte mit den Augen längs den dunkeln Rändern der Berghöhen am Himmel hin, als wollte er an ihren bekannten Umrissen erkennen, ob er nicht in ein fremdes Thal geraten sei? Dann ließ er sein widerliches innerliches Lachen hören. »Glaubst Du es nun, Bursche?« sagte er, »oder denkst Du noch immer, es sei schwermütige Einbildung, daß das Schuldloseste und Edelste dem unentrinnbaren Verderben geweiht sei, wenn ich es berühre? Hier stand meine arme Hütte. Das Schicksal hat sein Halsgericht gehalten, und mir den Stab gebrochen und die Stücke zu meinen Füßen geworfen. Was mir angehört, soll von der Erde vertilgt werden. Ich bin auf dieser Brandstätte wieder so arm, als da ich aus Indien kam und mich der Mann aus Algier in Ketten geschlagen hatte. Meinst Du, Bursche, es schmerze mich? Du irrest; ich lache und verachte den Kot des Reichtums, der mich nicht ergötzt hat, als er noch prangen konnte. Fahre hin!«
Er spie, indem er es sprach, in die Asche, und die Funken knisterten.
»Aber warum mir das?« fuhr er, nach einiger Ruhe, mit schrecklicher Stimme und aufgehobenen Armen fort. »Aus dem Schutt meiner Habe und meines elenden Lebens bleibt mir das Recht zur Frage: Warum verfolgst Du mich, finstere Faust des Verhängnisses, mich, von der Wiege rastlos bis zur Gruft? Was habe ich verbrochen? Ist's Verbrechen, daß ich bin, so ist's das Deine. Warum schlägst Du mich? Ich trage ein Zeugnis in meiner Brust, in allen meinem Tagen habe ich nachgejagt dem Heiligen und Wahren, dem Gerechten und Guten. Mein Bewußtsein spricht mich von Verdammung los, warum schlägst Du mich? Ich habe, was göttlich heißt, höher gestellt als das Leben, und bin dem Teufel gleichgestellt. Ich habe Segen gestreut, und mir erwuchs Fluch; ich habe Freuden gesäet, und mir erwuchs Schmerz daraus; ich habe, was Recht ist, geschirmt, und verruchte Willkür zog daraus den Triumph; ich half zur Freiheit des niedergetretenen Volkes, und die Sklaverei ist fester und blutiger geworden. Wie? Bin ich wahnsinnig, so haben die reißenden Bestien Vernunft. Und dieser Wahnsinn ist nicht mein, sondern Dein Verbrechen! Warum verfolgst Du mich? Du hast mir den Sinn der Wahrheit und Gerechtigkeit, wie das Licht des Auges, gegeben, warum wütest Du wieder mich? Du gabst mir das Herz voll Liebe, warum zerreißest Du es? O mein armes Kind! O Du Engel inmitten dieser Hölle! Loreli! Loreli!«
Hier verflossen die Worte des Greises in schmerzliches Wimmern. In schwerer Betäubung, unbeweglich, stand unweit der Jüngling. Es rauschte wie Stromesbrausen durch seine Ohren, und zwischen dem Brausen erschollen die Klagen und der Hader des Alten mit seinem Schicksal. Das erschütternde, nächtliche Schauspiel des großen Verderbens hatte einen wahren Stillstand alles eigenen Denkens und Empfindens in ihm bewirkt. Aber Addrichs wiederholtes, leises Rufen von Eleonorens Namen schreckte ihn plötzlich auf. »Und Epiphania,« rief er, »wohin ist sie geraten? Entflohen? Erschlagen? Verbrannt?«
Er schwieg, über eine schauerliche Reihe von Möglichkeiten Musterung haltend; stieß einen heftigen Schrei aus und rannte dann mitten durch die Brandstätte, daß Glut und Funken unter seinen Fersen hoch aufstoben, gegen die Berghalde aufwärts. Er schrie durch Wald und Nacht Epiphanias Namen. Er würde am Tage einem Rasenden geglichen haben. Er irrte durch die Wildnis umher, bis der Morgenhimmel dämmerte, bis er atemlos und entkräftet eine Hütte an den Dürrenäscher Bergen erblickte, wohin er, um Menschen zu finden, die Richtung nahm. Noch lag in der Hütte, wenn etwas darin lebte, alles vom Schlaf umfangen. Er wollte СКАЧАТЬ