Название: Ausgewählte Werke von Heinrich Zschokke
Автор: Heinrich Zschokke
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
isbn: 9788027214945
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Die Sonne durchdrang schon, als er erwachte, seine feuchten Kleider mit wohlthätiger Wärme, und seinen Augen erschien das stille Thal von Aesch, mit dem Wiesengrunde zwischen den waldigen Halden, wie ein blendendes grünes Luftgebilde. In diesem Bilde bewegte sich, um einen Holzpfeiler der Hütte, zwischen wilden Rosen ein Mädchen, neugierig nach dem Schläfer schauend. Er erkannte augenblicklich das regsame Änneli aus dem Moose, und sprang, den Schmerz der halberstarrten Glieder vergessend, zu ihr hin. Änneli trippelte ihm langsam entgegen und weinte laut, indem sie ihm zum traulichen Gruße die Hand reichte.
»Und Epiphania?« fragte Fabian sogleich und auf eine Art, als hätte er die Antwort schon vor der Frage erwartet.
»Sieben Tage nach dem Begräbnis von Addrichs Tochter war sie ja – wißt Ihr's denn nicht? – verschwunden,« schluchzte die Kleine. »Aber noch gestern erschien das Volk, von der verlorenen Schlacht zuückkehrend, und plünderte und zerstörte im Moos alles, was da war; schlug Addrichs Knechte blutrünstig und zündete Haus, Stall und Scheuer an. Ich rettete mein Leben in den Wald. Zwei Stunden nur, und alles lag grausam zur Erde gebrannt. Keine helfende Hand der Nachbarn streckte sich aus, kein Eimer Wasser wurde gereicht. Die Flammen flackerten himmelhoch; aber keine Glocke stürmte. Das hat ein Ende mit Schrecken genommen. Bewahre uns Gott vor bösen Nachbarn! Nichts habe ich gerettet, ich armes Kind, als das Leben und die Lumpen, die ich am Leibe trage. Keine Hütte in Aesch wollte mich barmherzig aufnehmen. Hätte nicht die alte Mutter Walti ein Christenherz gehabt, ich wäre im Unwetter unter freiem Himmel gestorben.«
»Und Epiphania?« rief der leichenblasse Jüngling, der am ganzen Leibe zitterte und das Mädchen mit seinen starren Augen zu durchforschen suchte.
»Alle Tage war sie nach Kulm hinab zu Lorelis Grab gegangen; am siebenten kam sie nicht wieder,« antwortete Änneli. »Wißt Ihr noch, wie der Halmkranz vor der Trauung auseinanderfiel, und Fanelis Worte beim Abschiede? O mein Lebtage vergesse ich die thränenvolle Hochzeit nicht. Begräbnisse sind fröhlicher. Wäre ich nicht so traurig, ich müßte über den Bettelschmuck der Brautjungfer noch heute lachen. Aber auch der ist verbrannt, oder vom Volke geplündert. Mag es ihnen Gott verzeihen!«
»Und Epiphania!« rief der junge Mann heftiger. »Wo ist sie? Rede doch!«
»Das fraget den allwissenden Himmel,« erwiderte das Mädchen. »Wir haben sie gesucht, ihren Namen von Höhen und Wäldern gerufen den ganzen Tag, die ganze Nacht, dann wochenlang, und kein Stäubchen von ihr gefunden. Wir haben alle Thäler, alle Höfe durchfragt, die Dörfer bis Aarau, die Stadt selbst. Sie war von niemandem gesehen worden. Niemand hat sie am siebenten Tage wie sonst auf dem Wege nach Kulm, niemand im Dorfe, oder wie sonst auf dem Kirchhofe bemerkt. Die Leute sprechen üble Dinge. Faneli war ein heiliger Engel, o gewiß, ein ganz heiliger Engel. Es sind nicht alle Heilige, die in der Kirche beten und singen, und unter Addrichs Dach sind wir nicht allesamt Kinder der Finsternis gewesen. Als ich gestern aus der Feuersbrunst vor dem Kriegsvolke zu den Äschern floh, stießen sie mich von ihren Thüren hinweg und riefen: Poch' an das Höllenpförtchen, da wird Dir aufgethan, da wartet man Deiner. Es ist der Wirtschaft des Teufels im Moose der Garaus gemacht. Erst holte er die Besessene ab, dann sieben Tage darauf die Kräutersucherin; nach sieben Tagen nimmt er Dich beim Genick. Und wie sie mich aus ihrem Dorfe trieben, schrieen Buben und Mädchen: Satansbuhle! Belialsmagd! Hexen-Änni!«
Der ungeduldige Jüngling wiederholte seine Fragen nach Epiphania vergebens. Er erfuhr nicht mehr als er schon wußte, wie geläufig ihm auch das junge Mädchen alle übrigen Begebenheiten mit den unwichtigsten Nebenumständen, um sich das Herz zu erleichtern, erzählte.
Während dieser traurigen Unterhaltung vor der Hütte war auch Mutter Walti, die Eigentümerin derselben, hervorgetreten. Die alte Frau weinte laut über das Los ihrer beiden Söhne, welche in die Mellinger Schlacht gezogen und noch nicht zurückgekehrt waren. Indessen vergaß sie über ihr Leid die Sorge der Gastfreundlichkeit nicht, und lud den Jüngling, sowie Addrichs gewesene Magd, zur Teilnahme am bereiten Frühstück ins Stübchen ein. Hier vernahm er bei der warmen Milchsuppe und dem groben Brote durch Ännelis Geplauder wenn auch nicht das, was ihm das wichtigste blieb, doch vieles, was ihm von nicht geringer Bedeutung war. Er hörte, daß Addrichs Tochter schon seit Jahr und Tag den Hauptmann Renold heimlich geliebt habe; auch da noch, als sie sein verdorbenes Gemüt erkannt und ihn nie mehr vor sich gelassen hatte. Er hörte, daß sie ihrem Vater, der für das geliebte Kind alles gern that, bei seinem Abschiede zur Pflicht gemacht habe, Fabian nicht mit sich zu nehmen, ohne ihn zuvor mit Epiphania in der Kirche zu Kulm trauen zu lassen. Sie hatte die Neuvermählte bei deren Heimkehr von Kulm mit wahrer Seligkeit empfangen und ihr bekannt, daß die Überraschung und Trauung ihr Werk, ihr letzter Wunsch vor dem Tode gewesen sei. Ohne die Überraschung, hatte sie gesagt, würdet Ihr beide, ich kenne Euch, noch lange nicht, vielleicht nimmer vor Gott verbunden worden sein, und Gideons Ruchlosigkeit hätte Macht über Euch beide behalten, Euch vielleicht ewig zu trennen.
Ferner berichtete Änneli, wie Epiphania seitdem nie wieder frohen Sinnes geworden, oft heimlich geweint und bis zum Tode Leonorens nie das Haus verladen hätte. Dieser wäre am zwölften Tage nach der Abreise Addrichs erfolgt und ein ruhiges Entschlummern gewesen. Niemand wäre aber, außer den Bewohnern des Mooses, dem Sarge der Verstorbenen zur ewigen Ruhestätte gefolgt. Selbst als der Leichenzug durchs Dorf gekommen, hätte sich, außer Pfarrer und Sigrist, niemand angeschlossen. Jeden Morgen nachher wäre Epiphania, in tiefer Trauer, mit frischen Blumen zum Grabe der Schwester gewallfahrtet, bis sie nicht mehr zurückgekehrt sei.
Fabian, um sich das Verschwinden seiner jungen Gattin zu enträtseln, hatte auf Raub und Entführung geargwöhnt, und abwechselnd seinen Verdacht bald auf den Mann gerichtet, dem Epiphania einst auf der Bampf so viele Liebe und Vertrauen gewähren wollte, bald auf den Hauptmann Renold, dessen Leidenschaft für Epiphania und dessen Gewalttätigkeit er kannte, dessen ausgestoßene Drohungen ihm in frischer Erinnerung waren, die durch das Entsetzen des bösen Gewissens, welches Gideon in der Waldbruderhütte nicht verhehlt hatte, eine schreckliche Glaubwürdigkeit erhielten. Da erinnerte er sich der damaligen Worte des Schweden. »Du sollst noch sehen, wie ich Deine Dirne meiner ganzen Mannschaft preisgebe!«
»Das hat der Schurke nicht aus der Luft gegriffen,« dachte Fabian, in sich schaudernd. »Damit konnte der Schurke nicht drohen, wenn er sie nicht schon in seinen Klauen hatte.«
Mit hundert Fragen an Änneli forschte er nun, ob sich der Hauptmann nach Addrichs Abreise nie im Hause gezeigt, ob man nicht dort, oder im Moose, oder ringsum in der Gegend, unbekannte, verdächtige Leute gesehen habe.
»Nein,« erwiderte das Mädchen, »nie, erst am gestrigen Unglückstage, wo das Volk aus der Schlacht kam, in's Haus drang und alles raubte. Mich aber machte der Schrecken flink, als ich die brüllenden Haufen hörte, und ich war in den Wald entsprungen, ehe die wilden Bauern einbrachen. Wie alles brannte und Baschi mit blutigem Gesicht in den Wald floh und mir begegnete, – ich erkannte ihn kaum an den Kleidern, – sagte er: allesamt wären es Fremde, doch er glaube, sogar den Schweden bei ihnen gesehen zu haben. Doch thut er dem freundlichen. hübschen Hauptmann, der uns so lieb war, den wir ja auf den Händen getragen haben, offenbar Unrecht. O, wäre er nur erschienen in der gräßlichen Stunde, wäre er nur gekommen. Ach, alles würde noch ungeschehen sein. Nun . . . o, wie wird Addrich sein graues Haar über Lorelis Grab, über dem Schutt seines Hauses zerreißen, wenn er lebt, wenn er das Erschreckliche mit seinen wunden Augen schauen muß!«
Lange noch klagte und jammerte Änneli erzählend weiter. Fabian achtete nicht mehr auf ihre Worte, er hatte genug gehört. Denn daß Baschi den Schweden im Gewühl der mordbrennerischen Bande erkannt zu haben glaubte, war ihm ein unverwerfliches Zeugnis, daß Gideon Renold der Anstifter des Gräuels gewesen sei. Er sprang auf und wollte den verlassenen greisen Addrich suchen; er wollte weitum nach Epiphanias Spuren spähen, er wollte dem Hauptmann СКАЧАТЬ