Ausgewählte Werke von Heinrich Zschokke. Heinrich Zschokke
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Название: Ausgewählte Werke von Heinrich Zschokke

Автор: Heinrich Zschokke

Издательство: Bookwire

Жанр: Документальная литература

Серия:

isbn: 9788027214945

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СКАЧАТЬ und zwar mit allen Flüchen wütete, die er in den deutschen Kriegen gesammelt hatte, wie nicht minder über die schlechte Disziplin seiner Soldaten, über die strafbare Entweichung seiner Schildwache, die man vierundzwanzig Stunden lang bei Wasser und Brot krumm schließen müsse . . . so hörte doch niemand auf ihn. Einer überschrie den andern mit der Botschaft, der Feind ziehe gegen Mellingen, die Stadt sei überrumpelt; man müsse ihr zu Hülfe eilen . . . Die Menge und das Gedränge vor der Hütte mehrten sich. Es kamen neue Bauernhaufen mit dem erneuten Geschrei: »Hauptmann, heraus! Mellingen ist über: wir sind verraten! Hört nur, hört, in der Stadt wird geschossen! Alles ist an die Züricher verraten und verkauft!«

      Botschaften dieser Art waren allerdings ganz geeignet, den Zorn des Hauptmanns schnell abzukühlen und seinen Gedanken eine andere Richtung zu geben, zumal einige Stimmen aus dem Getümmel Drohungen gegen den saumseligen Kommandanten ausstießen: »Will er nicht heraus, so machen wir einen andern Hauptmann. Nun es heißt: Vogel friß oder stirb! verbirgt er sich hinter dem Zaune. Hat er vielleicht auch schon Hand und Haftgeld von den Zürichern genommen? Er soll heraus! Heraus!«

      Gideon stieß den Trupp der in die Hütte Gedrungenen hastig zurück, und auch Addrich und Fabian gelangten mit dem Strome, der zur Thür hinausging, ins Freie. Gideon stellte sich dem Haufen entgegen und befahl wiederholt, zu schweigen. »Was ist das für eine Mannszucht?« schrie er. »Wisset Ihr nicht einmal, wie Ihr das Amt des Befehlshabers zu respektieren habt, daß Ihr ohne Geheiß des Offiziers alle aus dem Lager und von dem Posten laufet? Bei solcher liederlichen Wirtschaft und unziemlichen Frechheit hat der Feind beim ersten Begegnen und Scharmützel die Oberhand. Euch Gesellen muß man noch besser zu Gehorsam, Mut und Kriegsmanier gewöhnen.«

      »Aber, Kommandant,« rief einer aus dem Haufen, »mache den Mund zu und sperre die Augen auf, dann siehst Du selbst von hier den Feind schon hinter der Mellinger Reußbrücke.«

      »Schweige, Lotterbube, mit Deiner Anmaßung!« schrie Gideon, über den neuen Mangel an Achtung ergrimmt. »Wer sich noch einmal muckset, den sollen zehntausend Millionen Schock Donnerwetter . . .«

      »Gott sei bei uns!« unterbrach ihn ein Kerl, der vorne stand. »Wir haben einen frommen Kriegshelden zum Hauptmann verlangt, aber keinen gotteslästerlichen Flucher Deines Gleichen. Ich rate Dir wohlmeinend, mache uns Deine Höllenkomplimente nicht wieder. Wir wollen gottesfürchtige Christen sein und bleiben. Der Himmel soll uns Deinetwillen nicht strafen. Vor Dir muß man bald ein Kreuz in die Diele machen.«

      Diese Worte schienen die Stimmung des gesamten kriegerischen Haufens ziemlich treu auszusprechen, denn viele von ihnen murmelten halblaut und mißvergnügt unter sich und schüttelten die Köpfe, andere gingen verdrossen auseinander. Gideon spürte Übles im Anzuge. Er änderte deswegen sogleich den Ton und sagte: »He, was hier, was da? Soldaten sind gemeiniglich schlechte Pfaffen; das wißt Ihr wohl. Ihr bauet auch gern die Kirche mitten ins Dorf, hört aber lieber mit den Bechern zusammenläuten, als mit Glocken. Vorwärts, Ihr tapfern Landsleute, laßt uns dem Feind zeigen, was wir vermögen, Vorwärts, marsch!«

      Der Haufe setzte sich sogleich nach der Richtung in Bewegung, von wo er gekommen war. Als Gideon ihm nacheilte, warf er zuvor noch einen mörderischen Blick auf Fabian und Addrich zurück, indem er rief: »Eure Bestrafung und Züchtigung behalte ich mir für nächste Gelegenheit vor!« Damit entfernte er sich nebst den übrigen nach dem Buschwerk, welches den Weg zum nahen Dorf bedeckte.

      Fabian steckte den Degen ein, dem Hauptmanne blos mit einem verächtlichen Achselzucken antwortend. »Fürwahr,« sagte er, »ich weiß Dir Dank, Addrich, daß ich diese heilige Klinge nicht mit dem Blute des schändlichen Gauchs befleckte.«

      Addrich, der auf einem bemoosten Stein am Abhang des Berges Platz genommen hatte, und dort, mit Hand und Kinn auf den Knopf seines Degens gestützt, unverwandt nach Mellingen hinübersah, erwiderte kurz: »Lasse ihn fahren! Gedanken sind wohlfeile Ware, aber für den da ist mir der kleinste zu kostbar. Laß ihn.«

      »Es wunderte mich längst, Addrich, daß Du ihn in Deinem Umgange, unter Deinem Dache duldetest.«

      »Man duldet vieles, was die Natur duldet, und man gebraucht's, wie sie. Sie hat Adler und Aasmaden. Hätte ich manches früher gewußt! Mochte ihn doch auch Epiphania lange Zeit wohl leiden.«

      »Den Gleisner? Ihr Innerstes verabscheute ihn.«

      »Leonore; die arme Leonore, ebenso. Sie hatte Neigung zu ihm, bis sie den höllischen Gast erkannte. Da brach es ihr das Herz. Sie gestand es erst unlängst Epiphania, und nun erkläre ich mir manches.«

      »Das fromme, stille, heilige Loreli? Das ist ganz unnatürlich!«

      »Und eben deshalb in Ordnung. Die Einfälle der Natur sind nicht immer die natürlichsten Sie verbindet am liebsten, was sich am tödlichsten widerstrebt. Das Licht schleppt den Schatten nach sich, der Sommer bringt das Hagelwetter; der Weizenacker ernährt das Unkraut . . . Pestilenz, das sind die Züricher! Die Freiämtlerische Besatzung hat sich ohne Flintenschuß ergeben. Was schlagen unsere Tölpel links und rechts ihre Kalbfelle, anstatt vorzueilen und die Hand voll Züricher zurückzuklopfen?«

      Während in den Ortschaften Büblikon und Wohlenschwyl auf beiden Seiten die Trommeln der Aufständischen gerührt wurden, sah man aus dem offenen Thore des Städtchens Mellingen einige Kompanien der Eidgenossen, denen auch schweres Geschütz und Reiterei folgte, in die Ebene hervormarschieren. Bald entwickelten sich dort, in ziemlicher Ordnung, einige Schlachthaufen. Als Addrich, der die feindlichen Bewegungen im Thale mit keinem Auge verließ, von ungefähr aufwärts sah, erblickte er links, auf der Straße von Baden, hinter der Stadt den langen Zug des eidgenössischen Kriegsheeres, und selbst rechts, von den Höhen des Heiterbergs hernieder, auf einzelnen lichten Stellen zwischen den Wäldern, Waffen blitzen und Fahnen flattern.

      Beide betrachteten, von der Waldbruderhütte aus, ruhig das ernste Schauspiel. Aus dem Mellinger Thore rückten immer neue Scharen in die Ebene, die sich dann, unweit einer alten Kapelle, in langen Reihen auseinander rollten.

      »Was denkst Du jetzt zu dem Handel?« fragte Fabian endlich.

      »Er geht wie er gehen soll,« erwiderte Addrich, ohne hinwegzusehen. »Was liegt an Mellingen? Die Herrenknechte müssen herüber, damit wir sie fassen, erdrücken und hinterrücks ins Wasser stürzen können. Wertmüller meint, daß wir schwach wären; er wird bald stutzig werden.«

      »Sieh hinauf, Addrich!« rief Fabian. »Siehe, die Züricher bringen den Geier mit; so sicher scheinen sie zu sein, ihm einen guten Schmaus zu bereiten.«

      Wirklich schwebte in diesem Augenblicke ein großer Raubvogel hoch in der Luft über dem Städtchen und dem Heere.

      »Dergleichen Tiere sollen feine Witterung haben,« erwiderte Addrich. »Die Züricher dünsten ohne Zweifel in ihrer Angst schon Leichengeruch aus.« Als er dieses mit tückischem Lächeln sprach, richtete er die Augen in die Höhe und erblickte den Raubvogel hoch über den eidgenössischen Bannern. Da fielen die heiteren Falten seines Gesichtes plötzlich finster und starr zusammen, denn es kam ihm unwillkürlich einer von den Versen in den Sinn, den die kranke Eleonore, im Wahnsinn ihrer Träume, einst um Mitternacht gesungen hatte:

      Am Himmel schweben Fahnen,

       Am Himmel, blau und weiß;

       Sie schweben lange Bahnen

       Herab zur grünen Reuß.

       Aar schüttelt breite Schwingen

       Vom Felsenhorst, der Aar.

       Er kreist in großen Ringen.

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