Название: Ausgewählte Werke von Heinrich Zschokke
Автор: Heinrich Zschokke
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
isbn: 9788027214945
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»Aber ich,« schrie das junge Mädchen kläglich, und warf sich, ihn mit Angst umklammernd, an seine Brust, als er, dankend und Lebewohl rufend, davon wollte, »aber ich – um der himmlischen Barmherzigkeit willen! – muß ich arme Waise im Elende verderben und sterben? Ich stehe allein unter'm Himmel, mich kennt und mich will ja niemand mehr!«
Fabian, voller Mitleiden, nahm einige Silberstücke, gab sie ihr und sprach: »Wähle Deinen Weg nach Aarau; bringe dem frommen Dekan Nüsperli meinen Gruß, die Botschaft unseres ungeheuren Unglücks und die Bitte, sich Deiner anzunehmen. Er wird Dein Helfer sein. Gehe, Kind, gehe mit Gott!«
Er riß sich los, eilte zur Hütte hinaus und die Höhe hinauf, von der er vergangene Nacht in Verzweiflung und Verwirrung seines Gemütes herabgekommen war.
48.
Das Gefecht bei Herzogenbuchsee.
Sein Gang war in's Moos; ihn rief das Mitleiden für Addrich dahin.
Doch Addrich war nirgends zu erblicken. Als Fabian die Umgegend durchstreifte, und den schmalen Pfad vom Moos nach Teufenthal im Tannenhain verfolgte, fand er am Wege Addrich's runden hochgespitzten Hut, daneben das dünne Gras des Rasens eingedrückt, wie von einem Menschen, der dort gelegen hatte. Mit heimlichem Schauder hob der Jüngling den noch vom Regen schweren Hut auf, der ihm anzudeuten schien, daß diese Stätte wohl eine der Stationen des Greises am Kalvarienberge des Leidens gewesen sein möge. Er ließ sich durch eine dunkle Ahnung auf dem Fußwege bis zum Dorfe führen.
Und wirklich vernahm er schon bei der ersten Teufenthaler Hütte, wie Addrich, bei Tagesanbruch, die schlafenden Bewohner derselben mit Pochen und Rufen erschreckt und um das Unglück seines Hauses befragt habe. Schweigend, ja, ohne daß er einen Seufzer ausgestoßen hätte, sei von ihm angehört worden, was man vom Tode seines Kindes, vom Verschwinden seiner Nichte, vom Untergange seines ganzen Hauses zu erzählen wußte. Dann habe er sich schweigend entfernt und, soviel sich in der Dämmerung des Morgens erkennen ließ, die Richtung nach Kulm genommen.
Auch dahin eilte ihm der Jüngling mit großen Schritten nach. Einige Kinder und Weiber, welche still lauschend am Eingange des Kirchhofes standen und das Antlitz gegen die Gräber gerichtet hatten, verhießen schon durch ihre furchtsame Neugierde in den Gesichtern die Nähe des Gesuchten. Fabian erblickte ihn wirklich, sobald er auf den Kirchhof trat. Der Unglückliche lag mit zur Erde gekehrtem Gesichte unbeweglich über den jüngsten der Totenhügel hingestreckt. Fabian, zitternd für das gebrechliche Leben des Greises, umfaßte ihn leise und richtete ihn auf. Addrich öffnete die Augen, einem Schlaftrunkenen gleich, nahm, an das Grab gelehnt, eine sitzende Stellung, sah halb träumend auf den jungen Mann, auf die ganze Umgebung, auf den Erdhügel, der ihn stützte; er beantwortete aber keine von Fabians mit kummervoller Zärtlichkeit wiederholten Fragen.
»Es schläft sich bei den Toten süß,« sagte er endlich wie für sich.
Fabian redete ihn von neuem an. Addrich ließ ihn aber, wie vorhin, vergebens Antwort erwarten, während dessen der Jüngling einige der verblichenen Blumen, die Epiphanias Hand berührt und zu Totenopfern geweiht hatte, sammelte und bewahrte. Endlich führte Fabian den halb erstarrten und entkräfteten Alten mit einiger Gewalt zum Wirtshause, wo er ihn mit einer kräftigen Weinsuppe erquickte, dann entkleiden half und in ein Bett brachte. Addrich hielt einen totenähnlichen Schlaf von beinahe vierundzwanzig Stunden und erwachte erst am folgenden Morgen, gestärkt und mit voller Besonnenheit. Fabian, der ihn voll kindlichen Mitleidens bewachte, hatte indessen die traurige Muße mit Säuberung des verdorbenen Reisegewandes und mit Nachforschungen über die Ereignisse im Moose so gut er konnte verkürzt. Alle Nachrichten bestätigten den schrecklichen Verdacht, daß Hauptmann Gideon Renold Epiphanias Entführung und den Mordbrand veranstaltet habe.
»Ich bin reisefertig,« sagte Addrich. »Für mich ist alles in der Welt abgethan. Ich lebe noch und lebe doch nicht mehr. Es widert mich an, im Grabe Bewußtsein zu behalten. Doch fürchte nichts von mir, Fabian, fürchte nichts. Du bist treu geblieben, darum erfülle ich meine Verheißung und scheide nicht, bis ich Dir Dein Weib gegeben habe. Komm! Gideon ist mit seinem Haufen der Oberländer gezogen. Ich setze ihm die Degenspitze aufs Herz; er soll mir Epiphanias Aufenthalt nennen. Komm, früher ruhen wir nicht; dann soll Feierabend sein. Komm'!«
Sie gingen. Weil man erzählte, daß sich der Schlachthaufen der Oberländer, etwa zweitausend Mann stark, nach der Gegend von Langenthal zurückziehe, an ihrer Spitze Leuenberg mit den anderen Häuptern des Aufstandes, schlugen Addrich und Fabian ebenfalls den Weg dahin ein. Doch machten sie nur eine kleine Tagereise, denn Addrichs Kraft, in dem riesigen, nun unter eigener Last zusammensinkenden Körper, schien gebrochen; selbst sein Geist verändert. Nichts erregte seine Teilnahme mehr. Selbst die Botschaft, daß am Tage vorher Schybi mit den Entlebuchern bei Roor am Reußpaß Gisikon siegreich gegen die Luzerner gefochten, deren Hauptmann Krebsinger gefangen und deren Pulvermagazin, das in einer Scheune war, in die Luft gesprengt habe; daß sich dort Schwyzer, Unterwaldner und Zuger geweigert hätten, gegen die tapferen Landleute die Waffen zu kehren; daß Leuenberg und die Oberländer entschlossen wären, aufs neue den Kampf gegen die Städte aufzunehmen . . . nichts erweckte Addrichs Teilnahme und alte Hoffnung. Er glich einer am Tage wandelnden Leiche. Lust und Schrecken hatten ihre Gewalt über ihn verloren. Er sprach nichts, selbst Fabians freundliche Worte fanden keine Erwiderung.
Den schrecklichsten Beweis seiner Abgestorbenheit aber gab er folgenden Tages. Beide waren durch das Flachland von Langenthal, wo man nur im Hintergrunde niedrige Hügel erblickte, zwischen den lebendigen Hagen der Matten, schweigend an dem Dorfe Herzogenbuchsee vorübergegangen, um nach Wangen zu wandern, denn dahin sollte sich Leuenberg gewendet haben. Als sie aber vor Herzogenbuchsee auf das Feld kamen, erblickten sie dort schon einzelne Schildwachen der Oberländer mit Hellebarden bewaffnet, und in geringer Entfernung vor sich die Scharen des bernischen Heeres mit wehenden Fahnen aufgestellt. Fabian erschrak; Addrich warf einen gleichgültigen Blick auf das Schauspiel und setzte seinen Weg gelassen gegen die feindlichen Schlachthaufen fort. Da riß ihn der Jüngling zurück nach dem Dorfe, wohin gerade eben auch der bernische Feldherr Erlach mit seinem Gefolge vorsprengte, weil ihm die Schildwachen gesagt hatten, es sei dort frei von Rebellen. Aber schon bei den ersten Häusern empfing ein so mörderisches Feuer den General und seine Begleiter, daß sie in stürmischer Eile zu den Ihrigen zurückjagten. Während Fabian seitwärts sprang, schritt Addrich gelassen mitten durch den Kugelregen in das Dorf hinein. Fabian suchte ihn sogleich wieder zu finden, allein das Dorf, in welchem noch kurz vorher die tiefste Stille geherrscht hatte, war so plötzlich mit einigen Tausenden von bewaffneten Oberländern angefüllt, als wären sie durch ein Wunder hierher gezaubert. In geschlossenen Haufen drangen sie hervor, dem Feinde entgegen.
Mit Ungestüm warfen sie sich auf die Vorhut der Berner und trieben sie zurück, während Erlach seine Streitmassen langsam entfaltete. Nach einer Stunde sahen die Oberländer nicht nur vor sich, sondern auch links und rechts über die Wiesen hin, lange blaßgraue Streifen von Pulverdampf, in denen sich Erlachs Schlachtreihen näherten. Da bemächtigten sich die Überflügelten eines nahen Gehölzes und setzten das Gefecht mit Wut fort. Endlich auch hier fast von allen Seiten umzingelt und zusammengedrängt, eilten sie wieder hervor, den Rückzug ins Dorf nehmend. Schritt für Schritt machten sie dem Sieger streitig. Von Hag zu Hag wurde gekämpft, bis das Dorf erreicht war. Verteilt in den Häusern, zerstreut hinter den Hütten und in den Gärten, unterhielten sie verzweiflungsvoll den Kampf, bis Haus für Haus in Rauch und Flammen aufging. Nun getrennt, behauptete sich ein Teil von ihnen noch lange auf dem hoch gelegenen Kirchhofe, hinter der Mauer, die als Brustwehr diente. Ein Teil wandte sich langsam, in voller Ordnung. stets kämpfend, gegen den Wald; andere liefen zerstreut, doch fechtend, abwärts durch die Baumgärten nach den Gebüschen und Wiesen von СКАЧАТЬ