Ausgewählte Werke von Heinrich Zschokke. Heinrich Zschokke
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Название: Ausgewählte Werke von Heinrich Zschokke

Автор: Heinrich Zschokke

Издательство: Bookwire

Жанр: Документальная литература

Серия:

isbn: 9788027214945

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СКАЧАТЬ und durchtobten die Wälder umher, daß sie wie fallende Bergströme brausten. Das Gespräch der nächtlichen Wanderer verstummte endlich, als sie hinter Seon den steilen Weg zur Bampf hinabstiegen, Addrich murmelte im düstern Selbstgespräch zuweilen unverständliche Worte; Fabian war im Geist bei Epiphania. Es schienen ihm sechs Jahre, nicht sechs Wochen, seit er sie nicht gesehen. So oft er der Trauung in der Kirche von Kulm gedachte, durchdrang ihn ein wunderbarer Schauer. Er konnte sich nicht au den Gedanken gewöhnen, daß Epiphania sein ihm anvermähltes Weib geworden. Aber je näher er der Höhe des Berges und der Gegend kam, wo er die schönsten und schrecklichsten Augenblicke seines Lebens gefunden hatte, desto ungestümer und ängstlicher wurde die Sehnsucht des Jünglings. Er vergaß die traurigen Geschichten des Tages; er fühlte die Wildheit des Wetters nicht; seine Seele war bei Epiphania.

      Es herrschte schon eine so große Finsternis, daß Addrich selbst den wohlbekannten Weg einigemale verlor und seinem Begleiter von Zeit zu Zeit zurufen mußte, damit sie nicht von einander getrennt wurden. Blendende Blitzstrahlen, in deren falbem Scheine unter ihren Füßen das weite Thal mit Dörfern, Seeen und Wäldern plötzlich aus der Tiefe der Nacht wie ein Traum auftauchte, vermehrten anscheinend die Dunkelheit. Sturm und Schlagregen fuhren ihnen immer heftiger ins Gesicht, je höher sie zur Bampf gelangten.

      »Ists doch, als wollten die Elemente uns den Weg ins Moos verwehren oder uns zurückjagen,« sagte Addrich.

      Fabian erwiderte: »Mir wird banger um Herz, je näher wir der Heimat kommen. Ich bin nicht abergläubisch, aber was kann nicht alles in so vielen Wochen geschehen sein, während welcher wir in der Ferne umhergezogen sind? Addrich, ich fühle mich schwer beklommen, Himmel und Erde sind wider uns, als wollten sie wehren oder warnen.«

      »Vielleicht ist sie schon zur ewigen Ruhe,« seufzte Addrich.

      »Wie?« schrie Fabian erschrocken und blieb stehen. »Warum sagst Du mir das? Weil der Halmenkranz vor der Kirche zu Kulm auseinanderfiel? Weil Epiphania daraus Böses deutete? Epiphania gestorben? Warum redest Du so abscheuliche Dinge, wenn sie Dir nicht ernst sind?«

      »Komm!« rief Addrichs Stimme in einiger Entfernung.

      »Ich habe Dich verloren, wo gehst Du?« fragte Fabian.

      »Überall den Weg zum Tode!« war die Antwort.

      In diesem Augenblick fuhr ein Blitzstrahl knatternd, sprühend und betäubend vom Himmel in die Tiefe. Alles war ein Feuer, dann plötzlich schwarze Nacht. Die Erde erbebte im Donner, als wäre die ewige Feste des Himmels zusammengebrochen.

      »Hollah!« rief Fabian, »Das traf fast zu nahe.« Er wollte seinen Weg verfolgen, als er seitwärts mit Entsetzen ein ängstliches Stöhnen vernahm. Im ersten Augenblicke glaubte er, Addrich sei erschlagen. Er fühlte, die Haare seines Hauptes sträubten sich im Entsetzen aufwärts. Dies Entsetzen wuchs, als er in dem Stöhnen und Wimmern eine weibliche Stimme zu erkennen glaubte, die ihm wie Epiphanias Stimme klang. Er ging, durch die Gebüsche der Bampf tappend, dem Tone nach. Beim neuen Wetterlicht sah er unter einem alten Ahorn, mit gefalteten Händen betend und weinend, ein Weib sitzen, welches vor der Erscheinung des bewaffneten Jünglings, erschrockener noch als vor dem Blitze selbst, zurückprallte und einen Schrei ausstieß,

      »Ist Dir ein Unglück widerfahren?« fragte Fabian bekümmert.

      »Unglück?« seufzte das Weib. »O, meine Kinder, die armen Würmer! Des Herrgotts Gerichte sind erschrecklich. Nun habe ich den Tag seines Zornes erlebt. Ich will ja Buße thun mein Leben lang, wenn dies Stündlein nicht das letzte der Welt und seine Gnadenpforte nicht ewiglich verschlossen ist.«

      »Fürchte nichts, Weib, das Wetter zieht vorüber,« tröstete sie Fabian.

      »Ja, es zieht vorüber, verheerend, zerstörend, wie der Würgengel, der die Erstgeburt Ägyptens schlug. O meine Kinder, die armen Würmer! Unsere Männer sind bei Mellingen erschlagen; wir haben von den Bergen den Rauch und die Flammen der Dörfer gesehen. Morgen kommen die Feinde. Die Züricher schonen des Kindes im Mutterleibe nicht. Herr, mein Gott, vertilge uns nicht in Deinem Zorn! . . . Die armen Würmer sind unschuldig. Die Alten haben sich gegen die gnädige Obrigkeit empört, und wußten doch, daß alle Obrigkeit ist an Gottes Statt. Die armen Würmer sind unschuldig.«

      So sprach das Weib und weinte laut. Fabian fühlte Mitleiden mit ihr. Er fürchtete nicht ohne Grund, daß die Furcht den Verstand des Weibes zerrüttet habe und sagte: »Weib, komm' mit mir unter ein Obdach!«

      Sie aber fuhr fort: »Wir brauchen eine Obrigkeit, wie das liebe Brot. Wir begehrten ja nur, daß man mit uns armen Leuten umgehe, daß es zu ertragen sei. Aber der Herr Pfarrer drohte mit den Strafgerichten Gottes, und die Männer hätten es besser verstehen sollen, als wir einfältigen Weiber. Nun ist das Unglück da; wer kann der Rache Gottes entfliehen? Er geißelt die sündliche Welt mit den Flammen des Himmels. Er sendet seine Heerscharen mit Schwert und Feuer über uns; Hunger und Pestilenz über unsere Dörfer. Jesus, die Welt geht unter!«

      Es fuhr in diesem Augenblick ein gewaltiger Blitzstrahl über die Höhen der Bampf; der Himmel schien als eine einzige, ungeheure Flamme zur Erde zu sinken. Vom Donner erdröhnte der Berg und wie ein Wolkenbruch fluteten, mit wiederkehrender Finsternis, die Regengüsse nieder. Das Weib heulte laut durch den Sturm. Fabian stand da, wie betäubt.

      »Fabian, was verweilest Du?« sagte der zurückkehrende Addrich, dem das Geheul des Weibes den Weg gezeigt hatte. »Mit wem redest Du hier?«

      »Es ist eine Verlassene,« antwortete der Jüngling, »die wahrscheinlich den Weg verloren hat.«

      »Richte Dich auf, Weib,« rief Addrich, »wir begleiten Dich in eine nahegelegene Hütte.«

      »Wohin, um Gottes Barmherzigkeit willen?« fragte die Frau.

      »Zur Hütte Addrichs im Moos,« erwiderte der Alte.

      »Bewahre mich Gott!« schrie das Weib, »Das Haus des Gottlosen, von der Erde vertilgt, muß eine Stätte des Fluches und des Jammers werden. Meine Augen haben den Gräuel gesehen. Da wird kein Kind mehr geboren; kein Wassertropfen wurde zur Flamme getragen, nicht einmal eine Thräne fiel auf eine der glühenden Kohlen.«

      »Sie redet im Wahnsinn,« sagte der Alte. Wir können die Unglückliche in dieser Nacht der Schrecken nicht allein auf dem Berge lassen. Hilf mir, Fabian, wir führen sie mit uns hinab.«

      »Sprich, Weib, wer bist Du? Wo ist Dein Heimwesen?«

      »Ach, Gott sei's geklagt!« heulte das Weib. »Wer bin ich, wer kann jetzt wissen, wer er ist? Ich bin vielleicht schon eine elende Wittfrau mit drei armen Waisen. Kommt Ihr aus der Mellinger Schlacht? Ich bin die Käthi Gloor von Seon. Habt Ihr nicht den Karli Marti Gloor, Anken-Jogglis, gesehen? Der war mein Mann. Als ich von Aarau heimkehrte, spät abends, sah ich viele Flüchtende. Da habe ich gefragt Mann für Mann, und ich fragte bis in die Nacht. Gott erbarme sich meiner, niemand wußte von ihm. Er war ein guter Mann, und wir lebten zufrieden, wenn auch in Not und Armut. Aber ein gutes Gewissen ist das beste Leben.«

      Ein Widerschein des Blitzes verbreitete plötzlich eine Tageshelle um den Ahorn. Das Weib fuhr mit Entsetzen vom Erdboden auf und schrie entfliehend: »Jesus, mein Heiland, das ist der Addrich selbst! Hebe Dich weg, Du Mensch des Fluches, Du Kind des Verderbens, Du bist gezeichnet, wie Kain. Kehre um, flüchte in die Berge und Wüsten; Dich wird töten, wer Dich findet. Ich sah Dein Haus um Mittag, am Abend die Kohlen. Gott sei Deiner armen Seele gnädig!«

      Sie entfernte sich mit diesen Worten weiter in die Finsternis. Aber durch Wind und Regen hörte man noch lange ihre Stimme unverständlich erschallen, bis sie in größerer Ferne erlosch.

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