Название: Besonderes Verwaltungsrecht
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Издательство: Bookwire
Серия: C.F. Müller Lehr- und Handbuch
isbn: 9783811472341
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Die Gemeindeordnungen sehen aber als Schutz der Gemeinde und des Gemeinderates vor eigenmächtigen Handlungen des Bürgermeisters die Schriftform für Erklärungen vor, durch welche die Gemeinde verpflichtet werden soll[477]. Zudem muss der Bürgermeister derartige Erklärungen eigenhändig unterzeichnen[478]. Verpflichtungserklärungen sind privat- und verwaltungsrechtliche Willenserklärungen, durch die eine rechtliche Verpflichtung der Gemeinde zu einer Leistung oder zu einem Handeln begründet wird[479]. Dabei genügt es nicht, dass die Verpflichtung nur eine nichtbezweckte Nebenfolge der Erklärung ist, sondern diese muss gerade eine Verpflichtung zum Ziel haben. Die Gemeindeordnungen schweigen zu den rechtlichen Folgen eines Verstoßes gegen das Schriftformerfordernis[480]. Die rechtlichen Konsequenzen richten sich deshalb nach der in Rede stehenden Handlungsform[481]: Während ein Verwaltungsakt regelmäßig nur rechtswidrig ist, ist eine Zusicherung bei fehlender Schriftform gemäß § 38 Abs. 1 S. 1 VwVfG nichtig; die Wirksamkeit eines öffentlich-rechtlichen Vertrages scheitert an § 59 Abs. 1 VwVfG i.V.m. § 125 BGB. Schwieriger gestalten sich die Fehlerfolgen bei privatrechtlichen Verpflichtungsverträgen. Bei diesen kann zur Begründung der Nichtigkeit nicht auf § 125 BGB zurückgegriffen werden, weil die Bundesländer infolge von Art. 55 EGBGB keine Gesetzgebungskompetenz zur Normierung privatrechtlicher Formvorschriften haben[482]. Das Schriftformerfordernis gemeindlicher Verpflichtungserklärungen wird daher nicht als Formerfordernis im Sinne von § 125 BGB, sondern als Beschränkung der Vertretungsmacht des Bürgermeisters verstanden[483]. Da eine Genehmigung der Formfehler nicht in Betracht kommt, kann ein wirksamer Vertrag nur durch Neuabschluss zustande kommen[484]. Der Bürgermeister haftet nach überwiegender Ansicht trotz des vertretungsrechtlichen Verständnisses bei einem Verstoß gegen die gemeindlichen Vorschriften nicht als falsus procurator nach § 179 BGB[485]. Der Bundesgerichtshof begründet dies damit, dass die in § 179 BGB normierte Vertrauenshaftung sich im Kern auf das Vertrauen bezieht, dass der Vertreter für den Vertretenen bindend handeln kann, nicht aber darauf, dass der Vertreter die in den Gemeindeordnungen angeordneten Förmlichkeiten zutreffend beachtet[486]. In Betracht kommt in solchen Fällen aber eine Haftung des Bürgermeisters aus § 839 BGB[487].
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Vorbehaltlich abweichender Regelung vertritt der Bürgermeister die Gemeinde in Gesellschafterversammlungen, Aufsichts- und Verwaltungsräten und vergleichbaren Gremien von Unternehmen, Anstalten und Verbänden, an denen die Kommune beteiligt oder in denen sie Mitglied ist.
c) Kommunalverfassungsrechtliche Unwucht
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Durch die faktische Macht des Bürgermeisters, die aus der Leitung, Organisation und Beaufsichtigung des Geschäftsgangs der gesamten Verwaltung entspringt, und durch ihre rechtliche Absicherung, einerseits in Gestalt der Kompetenzen im Willensbildungsprozess des Gemeinderates und andererseits in Form der Vollzugskompetenz, verschieben sich die Gewichte in der Gemeinde schon naturgemäß zugunsten der Bürgermeisterverwaltung. Ein Übriges leistet die Direktwahl des Bürgermeisters, die vordergründig zwar die demokratische Legitimation des Verwaltungsträgers Gemeinde stärkt. Sie ist angesichts des kommunalpolitischen Kräfteverhältnisses und der kommunalverfassungsrechtlichen Systematik aber wenig zielführend. In der Sache führt die doppelte Volkswahl zu erheblichen Reibungsverlusten, weil jeweils unmittelbar volksgewählte Mandats- und Amtsträger die Rollenverteilung von Grundentscheidung und Verwaltungsführung nicht durchhalten können. Sowohl unter den Wirkungsbedingungen des Neuen Steuerungsmodells als auch der (formellen) Privatisierung kommunaler Aufgabenerfüllung ist die Ausgestaltung des Bürgermeisteramtes ausschließlich im Sinne eines Hauptverwaltungsbeamten, d.h. ohne eigene politische Funktion, und als einheitlicher Ansprechpartner des Gemeinderates in allen Verwaltungsangelegenheiten selbstverwaltungsadäquat. Nur dann bleibt überhaupt eine organscharfe Grenzziehung zwischen Globalsteuerung und operativem Geschäft möglich, so dass für gemeindeinterne Zielvereinbarungen auch Vertragspartner zur Verfügung stehen. Außerdem kann nur dann die politische Dimension von der Ausführungsebene getrennt werden, so dass die Kommunalverwaltung, repräsentiert vom Bürgermeister, mit parlamentsähnlichen Instrumenten von der Vertretungskörperschaft gelenkt und kontrolliert werden kann.
3. Kommunalverfassungsstreit
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Als Kommunalverfassungsstreit bezeichnet man verwaltungsgerichtliche Streitigkeiten zwischen Organen („Interorganstreit“) oder Organteilen („Intraorganstreit“) einer Kommune[488]. Beim Kommunalverfassungsstreit handelt es sich um eine Sammelbezeichnung und nicht um ein eigenständiges Rechtsinstitut oder um eine Klageart sui generis[489]. Der Kommunalverfassungsstreit ist der wichtigste Anwendungsfall des verwaltungsrechtlichen Innenrechtsstreits, also des Streits um die Binnenbeziehungen von rechtsfähigen Organisationen der öffentlichen Verwaltung[490]. Weitere Beispiele für verwaltungsrechtliche Innenrechtsstreitigkeiten sich der hochschul-[491] und der rundfunkverfassungsrechtliche[492] Innenrechtsstreit. Es war lange Zeit ungeklärt, ob Innenrechtsbeziehungen innerhalb einer öffentlich-rechtlichen Institution zum Gegenstand eines Verwaltungsprozesses gemacht werden können. Dies wurde von Anhängern der sog. Impermeabilitätstheorie verneint, wonach der Staat ein für das Recht undurchdringliches (impermeables) Gebilde darstellt, dessen Organe nicht Adressaten von Rechtssätzen sein können[493]. Inzwischen ist anerkannt, dass auch innerhalb einer juristischen Person des öffentlichen Rechts rechtliche Beziehungen zwischen ihren Funktionseinheiten bestehen und Gegenstand eines Verwaltungsrechtsstreits sein können[494]. Die Impermeabilitätstheorie hat ihre Bedeutung in der Rechtswissenschaft dementsprechend verloren und wird heute nicht mehr vertreten. Dementsprechend ist der Kommunalverfassungsstreit den Regeln des Verwaltungsprozessrechts überantwortet und unterworfen[495].
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Der Klagegegner richtet sich nicht nach § 78 VwGO. Unmittelbar gilt die Vorschrift nur für die Anfechtungs- und Verpflichtungsklage, doch auch das darin verkörperte allgemeine Rechtsträgerprinzip hilft nicht weiter, weil es nicht um die Rechte und Pflichten der Rechtsperson Gemeinde, sondern um die Rechte und Pflichten von deren Organen bzw. Organteilen geht. Passiv prozessführungsbefugt ist daher der materielle Streitgegner, d.h. das jeweils verklagte Organ bzw. der jeweils verklagte Organteil selbst[496].
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Die Beteiligungsfähigkeit im Verwaltungsprozess ergibt sich nicht aus § 61 Nr. 1 VwGO, weil Kläger und Beklagter nicht die hinter dem Organ stehenden Personen mit ihrer individuellen Rechtsstellung, sondern die Organe oder Organteile selbst in ihrer organschaftlichen Stellung sind[497]. Es muss auf § 61 Nr. 2 VwGO („Vereinigungen, soweit ihnen ein Recht zustehen kann“) zurückgegriffen werden, um die Beteiligungsfähigkeit zu begründen, wobei zumeist von einer analogen Anwendung ausgegangen wird, da ein Organ bzw. Organteil nicht ohne weiteres unter den Begriff „Vereinigung“ subsumiert werden kann[498]. Die Prozessfähigkeit ergibt sich dann folgerichtig aus § 62 Abs. 3 VwGO, wonach für Vereinigungen die gesetzlichen Vertreter oder Vorstände handeln.
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