Название: Besonderes Verwaltungsrecht
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Издательство: Bookwire
Серия: C.F. Müller Lehr- und Handbuch
isbn: 9783811472341
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Die Mitglieder des Gemeinderates werden direkt von den Bürgern bestimmt. Das Wahlrecht ist typischerweise in separaten Kommunalwahlgesetzen normiert. Die Anzahl der Gemeindevertreter hängt von der Einwohnerzahl der Kommune ab und ist in den Ländern ebenso unterschiedlich geregelt wie die Frage, ob der Bürgermeister der Gemeindevertretung als geborenes Mitglied angehört und darin zudem – oder nur (Saarland) – den Vorsitz innehat.
aa) Rechtsstellung
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Die Gemeindevertreter stehen in einem kommunalrechtlichen Mandatsverhältnis eigener Art[337], welches ehrenamtliche Züge trägt[338], sie aber nicht zu Ehrenbeamten macht[339]. Gleichwohl üben sie ein öffentliches Amtes aus und sind damit Beamte im haftungsrechtlichen Sinne nach § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG[340]. Aus historischen, systematischen und teleologischen Gründen sind kommunale Mandatsträger in der Ausübung ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit eigener Art jedoch nicht als Amtsträger im strafrechtlichen Sinne von § 11 Abs. 1 Nr. 2 b) StGB zu verstehen[341].
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Dieser besondere ehrenamtliche Status entspricht dem Selbstverständnis kommunaler Aufgabenerfüllung, da Bürger aktiviert werden sollen, die ihren Hauptberuf oder eine andere Tätigkeit weiterhin ausüben[342]. Auch wenn mit dem Gemeinde- bzw. Stadtrat ein verfassungsrechtlich verbürgtes Beschlussorgan in Rede steht, trifft die Bezeichnung als sog. „Kommunalparlament“ nicht zu, weil es sich um ein Organ der Selbstverwaltung handelt[343]. Obwohl die Mitglieder demokratisch gewählt werden, sind die Aufgaben des Repräsentativorgans diejenigen des kommunalen Verwaltungsträgers. Das kommunalrechtliche Mandat beinhaltet folglich keine parlamentarische Immunität und Indemnität[344]. Die Gemeindevertreter haben jedoch kein imperatives, sondern ein freies Mandat[345]. Das bedeutet, dass sie in ihrer Tätigkeit nur nach ihrer freien, durch das öffentliche Wohl bestimmten Überzeugung handeln[346]. Sie sind an Verpflichtungen und Aufträge nicht gebunden[347]. Mit dem freien Mandat ist ein Fraktionszwang unvereinbar[348]. Parteiaustritt, Parteiausschluss und Fraktionswechsel führen nicht zu einem Verlust des Mandats[349].
bb) Rechte
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Das Mandat der Gemeindevertreter berechtigt zu Teilnahme, Rede, Information, Antragstellung und Abstimmung und wird von „Annexrechten“ (Kündigungsschutz, Aufwandsentschädigung) flankiert und abgesichert[350]. Das Antragsrecht umfasst sowohl Sach- als auch Geschäftsordnungsanträge und schließt auch das Recht ein, den Antrag zu erläutern[351]. Das Rede- und Abstimmungsrecht vervollständigen das mit dem Antragsrecht verbundene Begehren, wenngleich diese Rechte sich auch auf nicht selbst eingebrachte Anträge erstrecken. Bei der Abstimmung handelt es sich um den zentralen Akt der Ausübung von Herrschaftsgewalt, zu der der einzelne Gemeindevertreter berufen und durch die Wahl demokratisch legitimiert ist[352]. Der Gemeindevertreter kann sein Mandat nur ordnungsgemäß ausüben, wenn er sich ausreichend über die zur Entscheidung anstehenden Vorhaben informieren kann. Dem kommunalen Mandatsträger stehen deshalb Auskunfts- und Akteneinsichtsrechte zu[353]. Damit die Mandatsausübung „ungestört“ erfolgen kann, untersagen die Kommunalgesetze Benachteiligungen am Arbeitsplatz – etwa in Form einer Entlassung oder Kündigung – im Zusammenhang mit der Bewerbung, Annahme oder Ausübung des kommunalen Mandats[354]. Darüber hinaus haben die Gemeindevertreter ein Recht auf Verdienstausfall, Auslagenersatz und Aufwandsentschädigung[355].
cc) Pflichten
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Den Rechten steht eine Vielzahl von Pflichten gegenüber. Damit „versuchen die Gemeindeordnungen, das für die Selbstverwaltung erwünschte, aber auch prekäre Element eines Entscheidens in geringer Distanz zum Sachvorgang rechtsstaatlich auszubalancieren“[356]. Die Gemeindevertreter müssen ihr Amt uneigennützig und verantwortungsbewusst ausführen[357]. Weitergehende Pflichten der Gemeindevertreter sind insbesondere die Verschwiegenheitspflicht, die Bindung an die Befangenheitsvorschriften und die Treuepflicht[358].
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Die Gemeindevertreter sind über alle Angelegenheiten zur Verschwiegenheit verpflichtet, deren Geheimhaltung gesetzlich vorgeschrieben, besonders angeordnet oder ihrer Natur nach erforderlich ist[359]. Sie dürfen die Kenntnis von geheim zuhaltenden Angelegenheiten nicht unbefugt verwerten[360]. Zu beachten ist, dass die Verschwiegenheitsverpflichtung auch nach Beendigung der ehrenamtlichen Tätigkeit fortbesteht[361]. Sie dient der Erhaltung und der Störungsfreiheit einer öffentlichen, hier kommunalen Verwaltung[362].
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Zweck der Befangenheitsvorschriften[363] ist es, allzu intensive Interessenverflechtungen zu vermeiden und eine ordnungsgemäße Verwaltungsführung zu gewährleisten. Die Schwierigkeit liegt darin, die Grenzlinie tatbestandlich zu bestimmen. Der Gemeindevertreter darf nach den einschlägigen Vorschriften weder beratend noch entscheidend mitwirken, wenn die Entscheidung einer Angelegenheit ihm selbst, seinen Familienangehörigen oder einer von ihm kraft Gesetzes oder kraft Vollmacht vertretenen natürlichen oder juristischen Person einen unmittelbaren Vorteil oder Nachteil bringen kann[364]. Der Begriff des Vor- oder Nachteils ist weit auszulegen, da entsprechend dem Zweck der Vorschrift schon der böse Schein einer Interessenverflechtung verhindert werden soll[365]. Zu verlangen ist danach ein individuelles Sonderinteresse des Gemeindevertreters bzw. einer gesetzlich als ihm nahestehenden Person am Verhandlungsgegenstand[366]. Es reicht bereits die bloße Möglichkeit eines Vor- oder Nachteils aus, weil die Kommunalgesetze nur verlangen, dass die Mitwirkung zu einem Vor- oder Nachteil führen kann. Einschränkend stellen die Gemeindeordnungen darauf ab, dass der Vor- oder Nachteil „unmittelbar“ sein muss. Der nordrhein-westfälische Gesetzgeber hat dieses Erfordernis legal definiert, wonach ein Vor- oder Nachteil unmittelbar ist, wenn die Entscheidung eine natürliche oder juristische Person direkt berührt[367]. Nach der niedersächsischen Gemeindeordnung (§ 26 Abs. 1 S. 3) gilt nur derjenige Vor- oder Nachteil als unmittelbar, der sich aus der Entscheidung ergibt, ohne dass weitere Ereignisse eintreten oder Maßnahmen getroffen werden müssen. Die Befangenheitsvorschriften gelten nicht, wenn die Entscheidung nur die gemeinsamen Interessen einer Berufs- oder Bevölkerungsgruppe berührt und bei Wahlen zu einer ehrenamtlichen Tätigkeit[368]. Teilweise gilt das Mitwirkungsverbot nicht für die Beratung und Entscheidung über Rechtsnormen[369], womit dann auch die gesamte Bauleitplanung vom Anwendungsbereich ausgenommen wird.
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Rechtsfolge des Mitwirkungsverbotes ist, dass der Gemeindevertreter seine Befangenheit mitzuteilen und den Sitzungsraum zu verlassen hat[370]. Im Streitfall entscheidet die Gemeindevertretung[371]. Nimmt ein eigentlich ausgeschlossenes Gemeinderatsmitglied dennoch an der Sitzung teil, erklären manche Gemeindeordnungen den Beschluss unabhängig vom Stimmenverhältnis für rechtswidrig[372], andere nur dann, wenn der Verstoß für das Abstimmungsergebnis entscheidend war[373]. Kommt eine Satzung unter Verstoß gegen die Befangenheitsvorschriften zustande, kann dieser Verfahrensmangel über die Heilungsvorschrift für Satzungen unbeachtlich werden, wenn er nicht rechtzeitig, d.h. regelmäßig innerhalb eines Jahres, gerügt wird[374]. Im Übrigen statuieren die Befangenheitsvorschriften häufig allgemeine Fehlerfolgenregelungen[375].
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Wird ein tatsächlich nicht Befangener ausgeschlossen, führt dieser Verfahrensfehler bei schlichten Ratsbeschlüssen nach allgemeinen Grundsätzen zur Rechtswidrigkeit und damit im Regelfall zur Unwirksamkeit des Ratsbeschlusses[376]. Nach dem Telos der Befangenheitsvorschriften gilt dies grundsätzlich unabhängig von der Kausalität der Mitwirkung des Ausgeschlossenen für das Zustandekommen des Beschlusses, zumal der Betroffene im Rahmen der Beratung die Entscheidung weiterer Ratsmitglieder beeinflussen kann[377].
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