Название: Besonderes Verwaltungsrecht
Автор: Группа авторов
Издательство: Bookwire
Серия: C.F. Müller Lehr- und Handbuch
isbn: 9783811472341
isbn:
Zehntes Kapitel Kommunalrecht › § 64 Kommunalverfassung › C. Die Binnenorganisation der Gemeinden
C. Die Binnenorganisation der Gemeinden
109
Das Gemeindeverfassungsrecht enthält Regelungen über Strukturen, Organe, Zuständigkeiten und Verfahren, eben die Binnenorganisation der Gemeinde. Der Begriff „Gemeindeverfassungsrecht“ ist dabei missverständlich, weil sich die Regelungen in den jeweiligen Kommunalgesetzen bzw. Gemeindeordnungen und nicht etwa im Grundgesetz oder den Landesverfassungen finden lassen. In der Sache handelt es sich um Verwaltungsorganisationsrecht, dass die Verfasstheit der Verwaltungsträger „Gemeinde“ regelt.
I. Gemeindeverfassungssysteme
110
An Gemeinsamkeiten lässt sich in allen Ländern mit Blick auf Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG die Existenz eines Repräsentativorgans nachweisen. Diese Verfassungsbestimmung schreibt vor, dass das Volk in den Gemeinden eine Vertretung haben muss, die aus allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen hervorgeht. Diese Vertretung wird in den Ländern unterschiedlich bezeichnet (Rat, Gemeinderat, Gemeindevertretung). Nachfolgend wird zur Vereinfachung der Darstellung einheitlich der Begriff „Gemeinderat“ verwendet[321]. Der Gemeinderat stellt das zentrale Beschlussorgan und eines der zwei Hauptorgane der Gemeinden dar. Daneben findet sich ein Hauptverwaltungsorgan, das in den meisten Ländern monokratisch (Bürgermeister) und in Hessen kollegial (Gemeindevorstand) verfasst ist[322]. Unterschiede zwischen den Ländern resultieren daraus, dass es mangels verfassungsrechtlicher Vorgaben dem Landesgesetzgeber überlassen ist, ob und inwieweit er neben dem Gemeinderat ein weiteres Organ (Bürgermeister) schafft. Neben verschiedenartigen historischen Entwicklungslinien waren der jeweilige Rechtsstatus und das Rechtsverhältnis zwischen den Organen deshalb in der Vergangenheit in den Ländern sehr unterschiedlich geregelt[323]. So ließen sich über Jahrzehnte vier Typen von Gemeindeverfassungen ausmachen: Die Magistratsverfassung, die Bürgermeisterverfassung, die Süddeutsche Ratsverfassung und die Norddeutsche Ratsverfassung[324].
111
Die Magistratsverfassung sieht neben dem von den Bürgern gewählten Gemeinderat den Magistrat als verwaltungsleitendes Organ vor, welcher als Kollegialorgan aus dem Bürgermeister als Vorsitzendem und einer bestimmten Zahl von hauptamtlichen und ehrenamtlichen Beigeordneten besteht, die allesamt vom Gemeinderat gewählt werden.
112
Nach der Bürgermeisterverfassung steht dem bürgergewählten Gemeinderat der von ihm gewählte Bürgermeister gegenüber, der zugleich der Gemeindevertretung vorsteht und die Verwaltung leitet.
113
Kennzeichen der norddeutschen Ratsverfassung ist, dass es neben dem bürgergewählten Gemeinderat und dem vom Gemeinderat gewählten Bürgermeister als Vorsitzenden des Gemeinderates noch den ebenfalls vom Gemeinderat gewählten Gemeindedirektor gibt, dem die Verwaltungsgeschäfte obliegen. Es entstand so eine „Doppelspitze“.
114
Die Süddeutsche Ratsverfassung unterscheidet sich von allen anderen Gemeindeverfassungstypen durch die unmittelbare Volkswahl des Bürgermeisters, welcher nicht nur die Gemeindeverwaltung leitet, sondern zugleich Vorsitzender des Gemeinderates ist. Die vergleichsweise stärkere Stellung bezieht der Bürgermeister hier daraus, dass er ebenso wie der Gemeinderat direkt bürgerschaftlich legitimiert ist.
115
In den 90er Jahren des 20. Jahrhundert haben sich die Systemunterschiede zwischen den Ländern weitgehend aufgelöst, weil heute alle Gemeindeordnungen – mit Modifikationen in Hessen[325] – neben dem direkt gewählten Gemeinderat einen ebenso durch direkte Wahl legitimierten Bürgermeister etablieren[326]. Damit hat sich die süddeutsche Ratsverfassung, d.h. die monokratische Leitung der Gemeindeverwaltung durch den volksgewählten Bürgermeister, bundesweit durchgesetzt[327]. Beflügelt wurde diese Entwicklung im Wettbewerb der Gemeindeverfassungssysteme durch das Hinzutreten der neuen Bundesländer und durch Reformen in den alten Ländern, welche das Ziel verfolgten, die Bürgerbeteiligung zu stärken und – als eine Element dieses Politikziels – die demokratische Legitimation des Bürgermeisters zu verbessern[328]. Die fast 200jährige, bis 1990 andauernde kommunalverfassungsrechtliche Vielfalt in Deutschland wurde damit innerhalb weniger Jahre bereinigt[329]. Die Unterschiede zwischen den Gemeindeverfassungssystemen liegen heute daher nicht mehr im gewählten System, sondern in zahlreichen Einzelheiten[330].
116
Symptomatisch für verschiedene Ausgestaltungen einer ähnlichen dualistischen Grundstruktur durch die Gemeindeverfassungen ist das Verhältnis des Bürgermeisters zum Gemeinderat: Während die Mehrzahl der Bundesländer die Organe dadurch verklammert, dass der Bürgermeister Mitglied des Gemeinderates ist (Brandenburg, Niedersachsen, Sachsen-Anhalt) und ggf. von Amts wegen den Vorsitz führt (Baden-Württemberg, Bayern, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Sachsen, Thüringen, Saarland), weisen andere Verfassungen die Tendenz zur Funktionentrennung auf (Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein)[331]. Divergenzen zeigen sich darüber hinaus vor allem bei der Amtszeit des Bürgermeisters[332] und bei dessen Abwahl während der Amtsperiode, die außer in Bayern und Baden-Württemberg in allen Bundesländern möglich ist.
II. Organe der Gemeinde
117
Während der Gemeinderat das zentrale Beschlussorgan bildet, ist der Bürgermeister das Hauptverwaltungsorgan. Der kollegialen bzw. monokratischen Organstruktur – mit Abweichungen in Hessen – korrespondieren jeweils strukturadäquate Zuständigkeiten, die verfahrensmäßig einander zugeordnet werden müssen. So entsteht ein verzahnter Willensbildungs- und Entscheidungsprozess in der kommunalen Körperschaft, der länderweise unterschiedlich ausgestaltet ist.
1. Gemeinderat
118
Der Gemeinderat ist die Vertretung der Bürger und das (politische) Hauptorgan der Gemeinde[333]. Er stellt die von Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG vorgesehene Volksvertretung dar. Die Grundgesetzbestimmung gibt zugleich vor, dass diese aus allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen hervorgegangen ist. Das Nähere bestimmt sich nach den Kommunalwahlgesetzen der Länder[334], daneben enthalten teilweise die Gemeindeordnungen selbst wahlrechtliche Bestimmungen. Art. 28 Abs. 1 S. 4 GG besagt, dass in Gemeinden an die Stelle einer gewählten Körperschaft die Gemeindeversammlung treten kann. Dazu müssen sich alle wahlberechtigten Bürger der Gemeinde versammeln[335]. Die Gemeindeversammlung hat aber im Zuge der in den Ländern durchgeführten kommunalen Gebietsreformen ihre Bedeutung verloren. Diese wird im einfachen Gesetzesrecht – soweit ersichtlich – nur noch in Schleswig-Holstein СКАЧАТЬ