Название: Ein feines Haus
Автор: Emile Zola
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Die Rougon-Macquart
isbn: 9783754188521
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»Werden sie mich nun endlich schlafen lassen!« sagte er laut und legte sich ungestüm wieder auf den Rücken. »Die erste, die will ... Welche, ist mir egal! Und von mir aus auch alle auf einmal, wenn ihnen das Spaß macht! Schlafen wir, morgen ist auch noch ein Tag.«
Zweites Kapitel
Als Frau Josserand mit ihren Töchtern, die vor ihr her gingen, die Abendgesellschaft bei Frau Dambreville verließ, die im vierten Stock eines Hauses in der Rue de Rivoli an der Ecke der Rue de lʼOratoire wohnte, warf sie in dem jähen Ausbruch eines seit zwei Stunden mühsam unterdrückten Zorns heftig die Haustür zu. Wieder einmal hatte Berthe, ihre jüngere Tochter, vorhin eine Partie verpaßt.
»Na, was macht ihr denn da?« sagte sie aufbrausend zu den jungen Mädchen, die unter den Arkaden stehengeblieben waren und vorüberfahrenden Droschken nachblickten. »So geht doch! – Glaubt ja nicht, daß wir einen Wagen nehmen! Damit noch zwei Francs ausgegeben werden, nicht wahr?«
Und als Hortense, die ältere, murmelte: »Das kann ja nett werden bei diesem Schmutz. Das überstehen meine Schuhe nicht«, entgegnete die Mutter, nun völlig wütend: »Vorwärts! Wenn ihr keine Schuhe mehr habt, dann bleibt ihr eben im Bett, ganz einfach. Es kommt ja sowieso nichts dabei heraus, wenn man euch ausführt!«
Berthe und Hortense, die den Kopf hängenließen, bogen in die Rue de lʼOratoire ein. Sie rafften ihre langen Röcke so hoch wie möglich über ihre Krinolinen, zogen die Schultern ein und bibberten unter ihren dünnen Ballumhängen. Frau Josserand ging hinterher, eingehüllt in einen alten Pelz, Fehwammen, schäbig wie Katzenfelle. Alle drei waren ohne Hut und hatten einen Spitzenschal um das Haar geschlungen, weshalb sich die letzten Passanten nach ihnen umdrehten, weil sie überrascht waren, sie in diesem Aufzug eine hinter der anderen mit krummem Buckel und auf die Pfützen gehefteten Augen an den Häusern entlangflitzen zu sehen. Und die Erbitterung der Mutter nahm noch zu, als sie an so viele ähnliche Heimwege in den letzten drei Wintern dachte, an das mühselige Gehen in den sich verheddernden Toiletten, an den schwarzen Straßendreck und an das höhnische Grinsen der Gassenlümmel, die sich noch spät in der Nacht herumtrieben. Nein, sie hatte es entschieden satt, ihre Töchter an alle vier Ecken von Paris mitzuschleppen, ohne sich den Luxus einer Droschke gönnen zu dürfen, aus Furcht, am nächsten Tag ein Gericht beim Abendessen streichen zu müssen!
»Und so was stiftet Ehen!« sagte sie ganz laut, auf Frau Dambreville zurückkommend, lediglich, um ihrem Herzen Luft zu machen, ohne sich etwa an ihre Töchter zu wenden, die in die Rue Saint-Honoré eingebogen waren. »Hübsch sind sie, ihre Ehen! Ein Haufen Zimtzicken, die wer weiß woher zu ihr kommen! Ach, wenn man nicht dazu gezwungen wäre! – Genau wie ihr neuester Erfolg, diese Jungverheiratete Frau, die sie herausgestellt hat, um uns zu zeigen, daß es nicht immer schiefgeht: ein schönes Beispiel! Ein unglückseliges Kind, das nach einem Fehltritt wieder ein halbes Jahr lang ins Kloster gesteckt werden mußte, um es wieder rein zu waschen!«
Die jungen Mädchen überquerten gerade den Place du Palais-Royal, da prasselte plötzlich ein Platzregen nieder. Nun gab es eine wilde Flucht. Sie blieben stehen, rutschten aus, patschten umher, blickten erneut nach den leer vorüberrollenden Droschken.
»Vorwärts!« schrie die Mutter unbarmherzig. »Jetzt ist es zu nahe, das lohnt keine vierzig Sous ... Euer Bruder Léon hat sich ja auch geweigert mitzukommen, aus Furcht, wir könnten ihn bezahlen lassen! Um so besser, wenn er seine Angelegenheiten bei dieser Dame erledigt! Aber anständig ist das gerade nicht, das dürfen wir wohl sagen. Eine Frau, die über die Fünfzig hinaus ist und die nur junge Leute empfängt! Ein ehemaliges nichtsnutziges Frauenzimmer, das eine hochstehende Persönlichkeit mit Dambreville, diesem Schwachkopf, verheiratet und den zum Bürochef ernannt hat!«
Hortense und Berthe trabten im Regen hintereinander her und schienen nicht zu hören. Wenn ihre Mutter sich auf diese Weise Luft machte, mit allem rausplatzte und die übertriebene Strenge der guten Erziehung vergaß, mit der sie sie umgab, war es ausgemacht, daß sie taub wurden. Doch als sie sich in die düstere und menschenleere Rue de lʼEchelle wandten, empörte sich Berthe.
»Ach, du meine Güte«, sagte sie. »Jetzt geht mein Absatz ab ... Ich kann nicht mehr weiter!«
Frau Josserand wurde böse.
»Wollt ihr wohl gehen! – Beklage ich mich denn? Kommt es mir denn zu, bei solchem Wetter zu dieser Stunde auf der Straße zu sein? – Wenn ihr wenigstens noch so einen Vater hättet, wie andere Väter sind! Aber nein, der Herr bleibt zu Hause und läßt sichʼs wohl sein. Immer bin ich dran, euch in Gesellschaft zu begleiten, nie würde er die Fron auf sich nehmen. Aber ich sage euch ein für allemal, daß mir das bis obenhin steht. Soll euer Vater euch ausführen, wenn er will; ich will des Teufels sein, wenn ich euch in Zukunft noch mal in Häuser führe, wo man mich ärgert! – Ein Mann, der mich über seine Fähigkeiten getäuscht hat und dem ich eine Annehmlichkeit geradezu herausziehen muß! Ach, Herrgott! So einen würde ich nicht heiraten, wenn ich mich noch mal entscheiden könnte!«
Die jungen Mädchen pflegten nicht mehr zu widersprechen.
Dieses unerschöpfliche Kapitel der zerschlagenen Hoffnungen ihrer Mutter kannten sie. Den Spitzenschal gegen das Gesicht geklatscht, gingen sie mit durchgeweichten Schuhen schnell die Rue Sainte- Anne entlang. Aber an ihrem Haustor in der Rue de Choiseul stand Frau Josserand eine letzte Demütigung bevor: die Kutsche der heimkehrenden Duveyriers bespritzte sie mit Straßendreck.
Obgleich Mutter und Töchter kreuzlahm und wütend waren, hatten sie ihre liebenswürdige Miene wieder aufgesetzt, als sie auf der Treppe an Octave vorbeigehen mußten. Aber nachdem sich die Tür hinter ihnen geschlossen hatte, schossen sie wie wild durch die dunkle Wohnung, so daß sie sich an den Möbeln stießen, und stürzten ins Eßzimmer, wo Herr Josserand beim spärlichen Schimmer einer kleinen Lampe schrieb.
»Wieder nichts!« schrie Frau Josserand und sank auf einen Stuhl hin. Und mit roher Gebärde riß sie den Spitzenschal herunter, der ihren Kopf verhüllte, warf sie ihren Pelz auf die Stuhllehne zurück und kam in einem feuerroten, mit schwarzem Atlas besetzten, sehr tief ausgeschnittenen Kleid zum Vorschein, wirkte gewaltig mit ihren Schultern, die noch immer schön waren und den glänzenden Schenkeln einer Stute glichen. Ihr vierschrötiges Gesicht mit den Hängebacken und der zu starken Nase drückte die tragische Wut einer Königin aus, die an sich hält, um nicht in die Worte eines Fischweibs zu verfallen.
»Aha!« machte Herr Josserand lediglich, ganz verdattert über dieses Hereinstürmen. Von Besorgnis erfaßt, zuckte er mit den Lidern. Seine Frau erdrückte ihn schier, wenn sie diesen Riesenbusen zur Schau stellte, den er wie einen Erdrutsch auf seinem Nacken zu spüren glaubte. Er hatte einen alten, zerschlissenen Überrock an, den er zu Hause abtrug, sein Gesicht war von fünfunddreißig Bürojahren gleichsam aufgeweicht und verblichen, und er sah seine Frau einen Augenblick mit den glanzlosen Blicken seiner geschwollenen blauen Augen an. Nachdem er dann die Locken seines angegrauten Haares hinter die Ohren zurückgestrichen hatte, versuchte er sich ganz verlegen und kein Wort herausbringend wieder an seine Arbeit zu machen.
»Aber begreifst du denn nicht?« schmetterte ihm Frau Josserand mit schriller Stimme entgegen. »Ich sage dir, daß wieder mal eine Partie im Eimer ist, und das ist nun die vierte!«
»Ja, ja, ich weiß, die vierte«, murmelte er. »Das ist verdrießlich, recht verdrießlich ...« Und um der schreckenerregenden Nacktheit seiner Frau zu entgehen, wandte er sich mit einem freundlichen Lächeln zu seinen Töchtern um.
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