Название: Ein feines Haus
Автор: Emile Zola
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Die Rougon-Macquart
isbn: 9783754188521
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»Aha!« machte Octave lediglich.
»Jawohl, und er hat die Witwe eines kleinen Gerichtsvollziehers aus Mort-la-Ville geheiratet. Da draußen besitzen sie sogar ein Haus. Aber sie warten, bis sie über dreitausend Francs Jahreszinsen verfügen, um sich dorthin zurückziehen zu können ... Oh, sehr anständige Conciergeleute!«
Hausflur und Treppe waren von schreiendem Luxus. Unten trug eine weibliche Figur, eine Art Neapolitanerin, die über und über vergoldet war, eine Amphora4 auf dem Kopf, aus der drei mit Mattglasglocken versehene Gasarme herausragten. Die weißen, rosa eingefaßten Stuckmarmorplatten stiegen in dem runden Treppenhaus regelmäßig empor; das mit Mahagoniholz belegte gußeiserne Treppengeländer wirkte wie Altsilber, das mit goldenem Blättergewirr verziert war. Die Stufen bedeckte ein von kupfernen Stangen festgehaltener roter Läufer. Was Octave aber beim Eintreten besonders beeindruckte, war eine Treibhauswärme, ein lauer Atem, den ihm ein Heizungsloch gleich einem Mund ins Gesicht blies.
»Nanu!« sagte er. »Die Treppe ist geheizt?«
»Aber natürlich«, erwiderte Campardon. »Das lassen sich heutzutage alle Hausbesitzer etwas kosten, die was auf sich halten ... Das ist ein sehr feines Haus, ein sehr feines ...« Er wandte sich um, als durchforsche er die Mauern des Hauses mit dem Kennerblick eines Architekten. »Sie werden ja sehen, mein Lieber, es ist ein durch und durch feines Haus ... Und ausschließlich von feinen Leuten bewohnt!«
Während sie nun langsam hinaufstiegen, nannte er die Namen der Mieter. In jedem Stockwerk waren zwei Wohnungen, die eine lag zur Straße, die andere zum Hof zu, und ihre polierten Mahagonitüren lagen einander gegenüber. Zunächst sagte er kurz ein paar Worte über Herrn Auguste Vabre: das war der älteste Sohn des Hausbesitzers; im Frühjahr hatte er das Seiden Warengeschäft im Erdgeschoß übernommen, und er bewohnte auch den ganzen Zwischenstock. Im ersten Stock hatte sodann der andere Sohn des Hausbesitzers, Herr Théophile Vabre, mit seiner Gattin die Hofwohnung inne, und die Vorderwohnung hatte der Hausbesitzer selbst, ein ehemaliger Notar aus Versailles, der übrigens bei seinem Schwiegersohn, Herrn Duveyrier, dem Appellationsgerichtsrat, wohnte.
»Ein toller Bursche, und noch keine fünfundvierzig Jahre alt«, sagte Campardon und blieb einen Augenblick stehen. »Ganz nett, was?« Er stieg zwei Stufen höher, drehte sich jäh um und setzte hinzu: »Wasser und Gas in allen Stockwerken.«
Auf jedem Treppenabsatz befand sich ein hohes Fenster, durch dessen von einer Mäanderleiste eingefaßte Scheiben helles Tageslicht auf die Treppe fiel, und unter jedem Fenster stand eine schmale Samtbank. Der Architekt machte darauf aufmerksam, daß sich betagte Leute hier ausruhen könnten.
Als er dann über den zweiten Stock hinausging, ohne die Mieter zu nennen, wies Octave auf die Tür der großen Wohnung und fragte: »Und da?«
»Ach, da«, sagte Campardon, »Leute, die man nicht zu sehen bekommt, die niemand kennt ... Auf die könnte das Haus gern verzichten. Kurzum, Flecke sind überall zu finden ...« Er blies voller Geringschätzung leise vor sich hin. »Der Herr macht Bücher, glaube ich.«
Aber im dritten Stock zeigte er wieder sein zufriedenes Lachen. Die Hofwohnung war geteilt worden: dort wohnten Frau Juzeur, eine recht unglückliche kleine Frau, und ein sehr vornehmer Herr, der ein Zimmer gemietet hatte, wo er sich einmal wöchentlich geschäftehalber aufhielt. Während Campardon noch diese Erläuterungen gab, schloß er die Tür der anderen Wohnung auf.
»Hier sind wir bei mir«, erklärte er. »Warten Sie, ich muß Ihren Schlüssel holen ... Wir werden zuerst in Ihr Zimmer hinaufgehen, und nachher können Sie meine Frau begrüßen.«
Während der zwei Minuten, die Octave allein blieb, fühlte er, wie ihn das ernste Schweigen des Treppenhauses durchdrang. Er beugte sich in der lauen Luft, die aus dem Hausflur kam, über das Geländer; er hob den Kopf und horchte, ob nicht irgendein Geräusch von oben herabdrang. Es herrschte die Totenstille eines sorgfältig abgeschlossenen bürgerlichen Salons, in den nicht ein Hauch von außen hineingelangte. Hinter den schönen Türen aus glänzendem Mahagoniholz lagen gleichsam Abgründe der Ehrbarkeit.
»Sie werden vortreffliche Nachbarn haben«, sagte Campardon, der mit dem Schlüssel in der Hand wieder zum Vorschein kam. »In der Vorderwohnung die Josserands, eine ganze Familie, der Vater Kassierer in der Kristallwarenfabrik Saint-Joseph, zwei heiratsfähige Töchter; und neben Ihnen ein kleines Angestelltenehepaar, die Pichons, Leute, die nicht gerade im Geld schwimmen, aber eine ausgezeichnete Erziehung genossen haben ... Es muß doch alles vermietet werden, nicht wahr, selbst in einem Haus wie diesem.«
Nach dem dritten Stock hörte der rote Läufer auf, und an seine Stelle trat einfache graue Leinwand. Octave fühlte sich in seiner Eigenliebe dadurch leicht gekränkt. Ganz allmählich hatte ihn die Treppe mit Ehrfurcht erfüllt; er war ganz erregt, daß er in einem so feinen Haus – wie der Architekt sich ausgedrückt hatte – wohnen sollte. Als er hinter diesem in den Gang einbog, der zu seinem Zimmer führte, gewahrte er durch eine halboffene Tür eine junge Frau, die vor einer Wiege stand. Bei dem Geräusch hob sie den Kopf. Sie war blond und hatte helle, ausdruckslose Augen; und er nahm nur diesen sehr klaren Blick mit, denn die junge Frau errötete mit einemmal und stieß schamhaft, als werde sie bei etwas überrascht, die Tür zu.
Campardon hatte sich umgewandt, um zu wiederholen:
»Wasser und Gas in allen Stockwerken, mein Lieber.« Dann deutete er auf eine Tür, die zum Dienstbotenaufgang führte. Oben lagen die Mädchenkammern. Und hinten im Gang stehenbleibend, sagte er: »Hier sind wir endlich bei Ihnen.«
Das quadratische, ziemlich große Zimmer hatte eine graue, blaugeblümte Tapete und war sehr einfach möbliert. Neben dem Alkoven war ein winziger Waschraum ausgespart, gerade groß genug, damit man sich die Hände waschen konnte. Octave ging schnurstracks zum Fenster, durch das grünliches Licht hereinfiel. Traurig und sauber versank der Hof mit seinem regelmäßigen Pflaster und seiner Wasserleitung, deren kupferner Hahn glänzte. Und noch immer kein einziges Lebewesen, kein einziges Geräusch; nichts als die gleichförmigen Fenster, ohne ein Vogelbauer, ohne einen Blumentopf, diese Fenster, die die Eintönigkeit ihrer weißen Gardinen zur Schau stellten. Um die große kahle Mauer des Hauses zur Linken, die das Viereck des Hofes abschloß, zu verdecken, hatte man auch sie mit Fenstern versehen, mit aufgemalten falschen Fenstern, deren Läden ewig geschlossen waren und hinter denen das eingemauerte Leben der Nachbarwohnungen weiterzugehen schien.
»Aber ich werde ja ausgezeichnet wohnen!« rief Octave entzückt.
»Nicht wahr?« sagte Campardon. »Ich habe ja auch alles so besorgt, als wäre es für mich; und im übrigen habe ich die Weisungen befolgt, die in Ihren Briefen standen ... Das Mobiliar gefällt Ihnen also? Es ist alles da, was ein junger Mann braucht. Später können Sie weitersehen.« Und als Octave ihm dankend die Hände drückte und sich entschuldigte, daß er ihm diese ganzen Scherereien verursacht habe, fuhr der Architekt mit ernster Miene fort: »Nur, mein Bester, keinen Krach hier, vor allem keine Frau! – Mein Ehrenwort, wenn Sie eine Frau mitbrächten, so würde das einen Aufruhr geben.«
»Seien Sie unbesorgt!« murmelte der junge Mann ein wenig beunruhigt.
»Nein, ich muß Ihnen das sagen, ich selbst würde nämlich Ungelegenheiten bekommen ... Sie haben das Haus ja gesehen. Alles gute Bürger, und dazu von einer Sittenstrenge! Sie haben sich, unter uns gesagt, sogar ein bißchen zu sehr. Niemals ein lautes Wort, niemals mehr Geräusche, als Sie soeben gehört haben ... Oje, da würde Herr Gourd bestimmt Herrn Vabre holen, und wir beide wären schön dran! Um meiner Ruhe willen bitte ich Sie, mein Lieber: halten Sie das Haus in Ehren!«
Octave, der von so viel Ehrbarkeit angesteckt wurde, schwor, es in Ehren zu halten.
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