Название: Ein feines Haus
Автор: Emile Zola
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Die Rougon-Macquart
isbn: 9783754188521
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Für einen Augenblick hörte sie auf, an dem Kaninchenknochen herumzulutschen, und erwiderte ungeduldig:
»Na und? Verdier hat mir versprochen, ihr den Laufpaß zu geben. Sie ist eine dumme Pute.«
»Hortense, es ist verkehrt von dir, so zu sprechen ... Wenn dieser Bursche nun eines Tages auch dir den Laufpaß gibt, um zu der zurückzukehren, von der er sich deinetwegen getrennt hat?«
»Das ist ja meine Sache«, wiederholte das junge Mädchen in ihrer kurz angebundenen Art.
Berthe hörte zu, sie war in diese Geschichte eingeweiht, deren mögliche Wendungen sie täglich mit ihrer Schwester erörterte. Im übrigen stand sie wie ihr Vater auf der Seite der armen Frau, die nach fünfzehn Jahren gemeinschaftlichen Lebens auf die Straße gesetzt werden sollte.
Aber Frau Josserand griff ein.
»Hört bloß auf! Diese elenden Geschöpfe landen schließlich doch immer wieder in der Gosse. Allerdings wird Verdier ja doch nie die Kraft aufbringen, sich von ihr zu trennen ... Er hält dich zum Narren, meine Liebe. Ich an deiner Stelle würde keine Sekunde auf ihn warten, ich würde mich bemühen, einen anderen zu finden.«
Hortenses Stimme wurde noch schriller, während zwei fahle Flecken auf ihre Wangen traten.
»Mama, du weißt ja, wie ich bin ... Ich will ihn haben, und ich werde ihn kriegen. Niemals werde ich einen anderen heiraten, und wenn ich hundert Jahre auf ihn warten müßte.«
Die Mutter zuckte die Achseln.
»Und du schimpfst andere dumme Puten!«
Aber das junge Mädchen hatte sich bebend erhoben.
»Ach was, fall nicht über mich her!« schrie sie. »Ich bin mit meinem Kaninchen fertig, ich gehe lieber schlafen ... Da es dir ja nicht gelingt, uns unter die Haube zu bringen, mußt du uns eben gestatten, daß wir es so machen, wie es uns beliebt.« Und sie zog sich zurück, sie schlug heftig die Tür hinter sich zu.
Frau Josserand hatte sich majestätisch zu ihrem Gatten umgewandt. Sie gab folgende tiefsinnige Bemerkung von sich:
»Da siehst du, mein Lieber, wie du deine Töchter erzogen hast!«
Herr Josserand erhob keinen Einspruch; er war damit beschäftigt, sich einen Fingernagel mit Tintentüpfelchen zu besprenkeln, bis er weiterschreiben konnte.
Berthe, die ihr Brot aufgegessen hatte, tunkte einen Finger in das Glas, um ihren Fruchtsaft aufzulutschen. Ihr war behaglich zumute, der Rücken brannte ihr, und sie beeilte sich nicht, denn sie verspürte wenig Verlangen, in ihr Zimmer zu gehen und dort die zänkische Laune ihrer Schwester ertragen zu müssen.
»Aha, das ist der Lohn!« fuhr Frau Josserand fort und nahm ihre Wanderung durch das Eßzimmer wieder auf. »Zwanzig Jahre lang plackt man sich für diese Damen ab, man bringt sich an den Bettelstab, um vornehme Frauen aus ihnen zu machen, und sie bereiten einem nicht einmal die Genugtuung, sich nun so unter die Haube bringen zu lassen, wie es einem schmeckt ... Wenn man ihnen noch etwas verweigert hätte! Aber ich habe nie einen Centime für mich behalten, habe an meinen Toiletten abgeknapst, habe sie so gekleidet, als ob wir fünfzigtausend Francs Jahreszinsen zur Verfügung hätten ... Nein, das ist doch wirklich zu dumm! Wenn diese Frauenzimmer da eine sorgfältige Erziehung genossen haben, was man gerade so an Religion braucht und vom Benehmen reicher Töchter wissen muß, dann lassen sie einen im Stich und sprechen davon, Rechtsanwälte zu heiraten, Abenteurer, die einen ausschweifenden Lebenswandel führen!« Sie blieb vor Berthe stehen, drohte ihr mit dem Finger und sagte: »Wenn du etwa auch wie deine Schwester einschlägst, dann kriegst du es mit mir zu tun.« Dann begann sie wieder umherzustapfen, redete dabei mit sich selber, sprang von einem Gedanken auf den anderen über, widersprach sich mit der Bestimmtheit einer Frau, die immer recht hat. »Ich habe getan, was ich tun mußte, und müßte es noch einmal getan werden, so würde ich es noch einmal tun ... Im Leben ziehen immer nur die den kürzeren, die am schüchternsten sind. Geld ist Geld: wenn man keins hat, dann legt man sich am besten gleich schlafen. Wenn ich zwanzig Sous hatte, habe ich immer gesagt, ich hätte vierzig; denn darin liegt die ganze Weisheit, es ist besser, Neid zu erregen als Mitleid ... Man kann noch soviel Bildung genossen haben, wenn man nicht gut gekleidet ist, verachten einen die Leute. Das ist zwar nicht gerecht, aber es ist so ... Lieber würde ich schmutzige Unterröcke tragen als ein Kattunkleid. Eßt Kartoffeln, aber bringt ein Hühnchen auf den Tisch, wenn ihr Gäste zum Abendessen habt ... Und wer das Gegenteil behauptet, ist ein Dummkopf!« Sie starrte ihren Mann an, dem diese letzten Bemerkungen galten.
Erschöpft, einer neuen Schlacht ausweichend, war dieser feige genug, zu erklären:
»Das ist schon wahr, heutzutage zählt nur das Geld.«
»Da hörst duʼs«, versetzte Frau Josserand, wieder auf ihre Tochter zurückkommend. »Gehe deinen geraden Weg und versuche uns Freude zu bereiten ... Wieso hast du diese Partie schon wieder verpatzt?«
Berthe begriff, daß nun sie an der Reihe war.
»Ich weiß nicht, Mama«, murmelte sie.
»Ein stellvertretender Bürovorsteher«, fuhr die Mutter fort, »keine dreißig Jahre alt, eine prächtige Zukunft. Der bringt einem alle Monate sein Geld an; der ist zuverlässig, was Besseres gibtʼs nicht ... Hast du wieder mal irgendeine Dummheit gemacht wie bei den anderen?«
»Nein, Mama, das versichere ich dir ... Er wird sich erkundigt haben, er wird erfahren haben, daß ich keinen Sou besitze.«
Aber Frau Josserand erhob laut Einspruch.
»Und die Mitgift, die dein Onkel dir geben will? Alle Welt kennt sie, diese Mitgift ... Nein, da steckt etwas anderes dahinter, er hat zu plötzlich abgebrochen ... Während des Tanzes seid ihr in den kleinen Salon hinübergegangen.«
Berthe geriet in Verwirrung.
»Ja, Mama ... Und als wir allein waren, hat er häßliche Dinge gewollt, er hat mich geküßt und mich dabei so hier gepackt. Da habe ich Angst gekriegt und habe ihn gegen ein Möbelstück gestoßen ...«
Ihre Mutter, die wieder in Wut geraten war, unterbrach sie:
»Gegen ein Möbelstück gestoßen, ach, du Unglückselige! Gegen ein Möbelstück gestoßen ...!«
»Aber, Mama, er hielt mich ...«
»Na und? Er hielt dich, was ist denn schon groß dabei? Steckt solche Gänse doch in ein Pensionat! Sag mal, was hast du eigentlich gelernt?«
Eine Woge von Blut hatte Schultern und Wangen des jungen Mädchens überflutet. Berthe war verwirrt wie eine geschändete Jungfrau, und Tränen traten ihr in die Augen.
»Es ist nicht meine Schuld, er sah so bösartig aus ... Ich weiß doch nicht, was man tun muß.«
»Was man tun muß? Sie fragt, was man tun muß! He, habe ich dir nicht hundertmal gesagt, wie lächerlich dein scheues Getue ist? Du bist dazu bestimmt, in der Gesellschaft zu leben. Wenn ein Mann brutal ist, dann kommt es daher, daß er dich liebt, und es gibt immer Mittel und Wege, ihn auf nette Art und Weise zurechtzuweisen ... Wegen eines Kusses hinter einer Tür! Wahrhaftig, mußt du uns, deinen Eltern, das denn eigentlich erzählen? Und du stößt die Leute gegen ein Möbelstück, und du verpatzt Partien!« Sie setzte eine schulmeisterliche Miene auf und fuhr fort: »Es hat keinen Zweck, ich gebe die Hoffnung auf, du СКАЧАТЬ