Название: Ein feines Haus
Автор: Emile Zola
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Die Rougon-Macquart
isbn: 9783754188521
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»Wenn du uns bloß alle drei ansehen wolltest!« schrie Frau Josserand. »Und laß um Gottes willen deine Schreiberei sein, die geht mir auf die Nerven!«
»Aber, meine Beste«, sagte er friedfertig, »ich mache doch Streifbänder.«
»Ach ja, deine Streifbänder zu drei Francs das Tausend! – Wenn du hoffst, etwa deine Töchter mit diesen drei Francs unter die Haube zu bringen!«
Der vom spärlichen Schimmer der kleinen Lampe beleuchtete Tisch war in der Tat mit breiten Bogen grauen Papiers übersät, mit bedruckten Streifbändern, die Herr Josserand für einen großen Verlag, der mehrere periodisch erscheinende Zeitschriften herausgab, ausfüllte. Da sein Gehalt als Kassierer keineswegs ausreichte, verbrachte er ganze Nächte mit dieser undankbaren Arbeit, sich verbergend, von Scham erfaßt bei dem Gedanken, man könnte die Geldverlegenheit der Familie entdecken.
»Drei Francs sind drei Francs«, erwiderte er mit seiner schleppenden und müden Stimme. »Diese drei Francs da erlauben euch, zusätzlich Bänder für eure Kleider zu kaufen und euren Gästen beim Dienstagsempfang Kuchen anzubieten.«
Ihm tat dieser Satz sofort leid, denn er fühlte, daß er Frau Josserand mitten ins Herz, in die empfindliche Wunde ihres Stolzes traf. Eine Woge von Blut färbte ihre Schultern purpurrot, sie schien nahe daran, in rächende Worte auszubrechen; dann stammelte sie, mühsam nach Würde ringend, lediglich: »O mein Gott! O mein Gott!« Und sie blickte auf ihre Töchter, sie zerschmetterte ihren Mann herrisch mit einem Zucken ihrer gewaltigen Schultern, als wolle sie sagen: He! Hört ihr, was er sagt? So ein Blödling!
Die Töchter schüttelten den Kopf.
Da der Vater sich geschlagen sah, legte er widerstrebend seine Feder hin und faltete die Zeitung »Le Temps9« auseinander, die er jeden Abend aus dem Büro mitbrachte.
»Schläft Saturnin?« fragte Frau Josserand schroff; sie sprach von ihrem jüngsten Sohn.
»Schon lange«, erwiderte ihr Mann. »Adèle habe ich auch weggeschickt ... Und Léon, habt ihr ihn bei Dambrevilles gesehen?«
»Mein Gott noch mal! Er schläft ja dort!« brachte sie in einem grollerfüllten Schrei hervor, den sie nicht unterdrücken konnte.
Vor Überraschung war der Vater so naiv hinzuzufügen: »Ach, glaubst du?«
Hortense und Berthe waren taub geworden. Über ihre Lippen huschte jedoch ein leises Lächeln, und sie taten so, als beschäftigten sie sich mit ihren Schuhen, die in einem jämmerlichen Zustand waren.
Um abzulenken, suchte Frau Josserand einen anderen Streit mit ihrem Mann: sie bat ihn, er solle seine Zeitung jeden Morgen wieder mitnehmen und sie nicht einen ganzen Tag lang in der Wohnung herumliegen lassen wie zum Beispiel gestern; ausgerechnet eine Nummer, in der etwas über einen abscheulichen Prozeß gestanden habe, was seine Töchter hätten lesen können. Daran erkenne sie genau seinen geringen sittlichen Wert.
»Na, gehen wir schlafen?« fragte Hortense. »Ich, ich habe Hunger.«
»Oh, und ich erst!« sagte Berthe. »Ich komme fast um vor Hunger.«
»Wie! Hunger habt ihr?« schrie Frau Josserand außer sich. »Habt ihr denn dort keine Brioches10 gegessen? Sind das dumme Gänse! Aber man ißt doch, wenn man eingeladen ist! Ich habe jedenfalls gegessen.«
Die Töchter wehrten sich. Sie hätten Hunger, sie seien krank vor Hunger. Und schließlich begleitete die Mutter sie in die Küche, um nachzusehen, ob nicht etwas übriggeblieben war. Sogleich machte sich der Vater verstohlen wieder an seine Streifbänder. Er wußte genau, daß der Luxus des Haushalts ohne seine Streifbänder dahin wäre; und deshalb harrte er trotz der Geringschätzung und der ungerechten Zänkereien eigensinnig bis zum Tagesanbruch bei dieser heimlichen Arbeit aus, glücklich wie ein rechtschaffener Mensch, wenn er sich einbildete, ein Endchen Spitze mehr könnte über eine reiche Partie entscheiden. Da man ja bereits am Essen abknapste, ohne deshalb die Toiletten und die Dienstagsempfänge bestreiten zu können, schickte er sich darein, in Lumpen gekleidet wie ein Märtyrer zu schuften, während Mutter und Töchter mit Blumen im Haar die Salons abklapperten.
»Aber hier stinktʼs ja wie die Pest!« schrie Frau Josserand, als sie in die Küche trat. »Es ist doch nicht zu sagen, daß ich Adèle, diese Schlampe, nicht dazu kriegen kann, daß sie das Fenster halb offen läßt! Sie behauptet, der Raum wäre am Morgen eiskalt.«
Sie war zum Fenster gegangen und hatte es geöffnet, und von dem engen Dienstbotenhof stieg eine eisige Feuchtigkeit empor, ein schaler, muffiger Kellergeruch. Die Kerze, die Berthe angezündet hatte, ließ riesige Schatten nackter Schultern über die gegenüberliegende Wand tanzen.
»Und wie die Küche wieder aussieht!« fuhr Frau Josserand fort, die überall herumschnüffelte, ihre Nase in alle unsauberen Ecken steckte. »Ihren Tisch hat sie seit vierzehn Tagen nicht abgewischt ... Da stehen ja noch Teller von vorgestern. Wahrhaftig, das ist ja ekelhaft! Und ihr Ausguß, seht doch mal! Riecht mir doch mal an ihrem Ausguß!« Ihr Zorn peitschte sich hoch. Mit ihren von Reispuder weiß gefärbten und mit Goldreifen überladenen Armen stieß sie das Geschirr umher; sie schleifte ihr feuerrotes Kleid mitten durch die Flecken, blieb an Küchengeräten hängen, die unter die Tische geworfen worden waren, brachte zwischen den Küchenabfällen ihren mühselig erworbenen Luxus in Gefahr. Schließlich ließ der Anblick eines schartigen Messers sie losplatzen: »Morgen früh schmeiße ich sie raus!«
»Da hast du aber was erreicht«, sagte Hortense ruhig. »Nicht eine behalten wir. Das ist die erste, die ein Vierteljahr geblieben ist ... Sobald sie ein bißchen sauber sind und eine Mehlschwitze machen können, hauen sie ab.«
Frau Josserand kniff die Lippen zusammen. In der Tat konnte es allein die gerade erst aus ihrer Bretagne frisch eingetroffene, dumme und verlauste Adèle in diesem dünkelhaften Elend von Spießbürgern aushalten, die ihre Unwissenheit und Schmutzigkeit ausnutzten, um sie schlecht zu beköstigen. Zwanzigmal schon hatten sie davon gesprochen, sie zu entlassen, wenn sie auf dem Brot einen Kamm fanden oder ein Fleischgericht so abscheulich war, daß sie Leibschneiden bekamen; dann aber fanden sie sich angesichts der Schwierigkeit, sie zu ersetzen, immer wieder damit ab, denn selbst die Diebinnen weigerten sich, bei ihnen in Dienst zu treten, in dieser Bruchbude, wo die Stücken Zucker abgezählt wurden.
»Ich sehe aber auch gar nichts!« murmelte Berthe, die einen Schrank durchwühlte.
Die Bretter zeigten die trübsinnige Leere und den falschen Luxus von Familien, bei denen man die schlechteste Sorte Fleisch kauft, um Blumen auf den Tisch stellen zu können. Dort standen nur völlig kahle Porzellanteller mit Goldrand herum, ein Tischbesen, von dessen Griff die Versilberung abging, Fläschchen, in denen öl und Essig eingetrocknet waren; und nicht eine vergessene Rinde, nicht ein Krümchen von den abgeräumten Speisen, kein Stück Obst, keine Süßigkeit, kein Käserest. Man merkte, daß Adèles nie gestillter Hunger die seltenen von der Herrschaft übriggelassenen Saucenreste so gründlich auswischte, daß sie die Vergoldung von den Schüsseln mit abkratzte.
»Aber sie hat ja das ganze Kaninchen aufgegessen!« schrie Frau Josserand.
»Allerdings«, sagte СКАЧАТЬ