Название: Ein feines Haus
Автор: Emile Zola
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Die Rougon-Macquart
isbn: 9783754188521
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»Das ist Madame Valérie, die Frau von Herrn Théophile Vabre, dem jüngeren Sohn des Hausbesitzers, Sie wissen ja, die Leute aus dem ersten Stock«, erklärte Campardon, als er einige Schritte weitergegangen war. »Oh, eine ganz reizende Dame! – Sie ist in diesem Laden geboren, eines der am besten gehenden Kurzwarengeschäfte im Viertel, das ihre Eltern, Herr und Frau Louhette, immer noch führen, damit sie was zu tun haben. Ganz hübsch haben sie da verdient, das kann ich Ihnen versichern!«
Aber Octave hatte kein Verständnis für einen derartigen Handel in diesen Löchern des alten Paris, wo ehemals ein Ballen Stoff an Stelle eines Ladenschilds genügte. Er schwor, um nichts in der Welt würde er einwilligen, auf dem Grunde einer solchen Gruft zu leben. Da müsse man sich ja schön was wegholen!
Plaudernd waren sie die Treppe hinaufgestiegen. Sie wurden bereits erwartet. Frau Campardon hatte ein graues Seidenkleid angezogen, hatte sich kokett frisiert und war sehr gepflegt in ihrer ganzen Erscheinung. Mit der Rührung eines guten Ehemannes küßte Campardon sie auf den Hals.
»Guten Abend, mein Kätzchen ... Guten Abend, mein Puttchen ...«
Und man ging ins Eßzimmer hinüber. Das Abendessen verlief reizend. Frau Campardon plauderte zunächst über die Deleuzes und die Hédouins: eine vom ganzen Viertel geachtete Familie, deren Mitglieder sehr bekannt seien: ein Vetter sei Papierwarenhändler in der Rue Gaillon, ein Onkel Regenschirmhändler in der Passage Choiseul, mehrere Neffen und Nichten seien, überall in der Umgegend verstreut, selbständige Geschäftsleute. Dann nahm das Gespräch eine andere Wendung, man befaßte sich mit Angèle, die steif auf ihrem Stuhl saß und mit eckigen Bewegungen aß. Ihre Mutter erzog sie zu Hause, das sei sicherer; und da sie nichts weiter darüber sagen wollte, blinzelte sie mit den Augen, um anzudeuten, daß die jungen Damen häßliche Dinge in den Pensionaten lernten. Soeben hatte das junge Mädchen heimlich ihren Teller schön ausbalanciert auf das Messer gestellt. Da Lisa, die servierte, ihn beinahe zerbrochen hätte, rief sie: »Daran sind Sie schuld, Mademoiselle!«
Ein gewaltsam zurückgehaltenes irres Gelächter glitt über Angèles Gesicht.
Frau Campardon hatte sich damit begnügt, den Kopf zu schütteln; und als Lisa hinausgegangen war, um den Nachtisch zu holen, sang sie eine Lobeshymne auf Lisa: sie sei sehr klug, sehr rührig, ein Pariser Mädchen, das sich stets zu drehen und zu wenden wisse. Victoire, die Köchin, die wegen ihres hohen Alters nicht mehr sehr reinlich sei, hätte man entbehren können; aber sie sei schon dabeigewesen, als Herr Campardon im Hause seines Vaters zur Welt kam, sie sei wie ein alter baufälliger Familienbesitz, den alle achteten. Dann, als die Zofe mit Bratäpfeln wieder hereinkam, fuhr Frau Campardon fort, indem sie Octave ins Ohr flüsterte: »Tadelloses Betragen. Ich habe noch nichts entdeckt ... Ein einziger Ausgangstag im Monat, damit sie ihre alte Tante besuchen kann, die sehr weit entfernt wohnt.«
Octave betrachtete Lisa. Als er sie so sah, nervös, mit flacher Brust, blau unterlaufenen Augenlidern, kam ihm der Gedanke, daß sie bei ihrer alten Tante verdammt flottmachen müsse. Im übrigen pflichtete er der Mutter nachdrücklich bei, die fortfuhr, ihm ihre Ansichten über Erziehung zu unterbreiten: ein junges Mädchen stelle eine so schwere Verantwortung dar, selbst den Hauch der Straße müsse man von ihr fernhalten.
Und währenddessen kniff Angèle Lisa jedesmal, wenn diese sich neben ihrem Stuhl herabbeugte, um einen Teller zu wechseln, in einem rasenden Verlangen nach Vertraulichkeiten in die Schenkel, ohne daß eine von beiden, die ganz ernst blieben, auch nur mit den Lidern gezuckt hätte.
»Man muß tugendhaft gegen sich selbst sein«, sagte der Architekt gelehrt, als Schlußfolgerung auf Gedanken, die er nicht äußerte. »Mir ist die Meinung der Leute schnuppe, ich bin Künstler!«
Nach Tisch blieb man bis Mitternacht im Salon. Zur Feier von Octaves Ankunft schlug man also über die Stränge. Frau Campardon machte einen sehr müden Eindruck; auf einem Kanapee zurückgelehnt, ließ sie sich nach und nach gehen.
»Hast du Schmerzen, mein Kätzchen?« fragte sie ihr Mann.
»Nein«, erwiderte sie mit gedämpfter Stimme. »Es ist immer dasselbe.« Sie schaute ihn an, dann sagte sie leise: »Hast du sie bei Hédouins gesehen?«
»Ja ... Sie hat sich nach deinem Befinden erkundigt.«
Tränen stiegen Rose in die Augen.
»Ihr geht es ja auch gut!«
»Na, na«, sagte der Architekt und drückte ihr leise Küsse aufs Haar, wobei er vergaß, daß sie nicht allein waren. »Du wirst dir noch schaden ... Weißt du denn nicht, daß ich dich trotz alledem liebe, mein armes Puttchen?«
Octave, der taktvoll zum Fenster gegangen war, als wolle er auf die Straße sehen, kam zurück und durchforschte Frau Campardons Gesicht, denn seine Neugier war wieder erwacht, und er fragte sich, ob sie Bescheid wisse.
Aber sie hatte wieder ihr liebenswürdiges und wehleidiges Gesicht aufgesetzt, sie kuschelte sich tief in das Kanapee hinein, wie eine Frau, die sich ihr eigenes Vergnügen verschafft und sich notgedrungen mit dem ihr zukommenden Anteil an Liebkosungen abfindet.
Schließlich wünschte Octave ihnen eine gute Nacht. Mit seinem Leuchter in der Hand stand er noch auf dem Treppenabsatz, als er das Rascheln von Seidenkleidern hörte, die die Stufen streiften. Aus Höflichkeit trat er beiseite. Offensichtlich waren es die Damen aus dem vierten Stock, Frau Josserand und ihre beiden Töchter, die von einer Abendgesellschaft zurückkehrten. Als sie vorübergingen, faßte ihn die Mutter, eine beleibte und stolze Frau, scharf ins Auge, während sich die ältere Tochter mit frostiger Miene abwandte und die jüngere ihn im hellen Licht der Kerze unbesonnen anlachte. Sie war reizend, diese Kleine mit ihrem unregelmäßigen, aber ansprechenden Gesicht, dem hellen Teint, dem kastanienbraunen, von blonden Reflexen vergoldeten Haar; und sie hatte eine kecke Anmut an sich, den ungezwungenen Gang einer Jungverheirateten Frau, die in einer mit Schleifen und Spitzen überladenen Toilette, wie heiratsfähige Mädchen sie sonst nicht zu tragen pflegen, von einem Ball heimkehrt. Die Schleppen verschwanden längs des Geländers, eine Tür ging zu. Octave ergötzte sich noch immer an der Fröhlichkeit ihrer Augen.
Langsam ging nun auch er nach oben. Eine einzige Gaslampe brannte, die Treppe schlief in drückender Wärme ein. Sie kam ihm jetzt andächtiger vor mit ihren keuschen Türen, ihren kostbaren Mahagonitüren, die vor ehrbaren Alkoven verschlossen waren. Kein Seufzer drang hindurch, es herrschte das Schweigen wohlerzogener Menschen, die ihren Atem anhalten. Allerdings war ein leises Geräusch zu hören; er beugte sich vor und gewahrte Herrn Gourd in Pantoffeln und Käppchen, der die letzte Gaslampe auslöschte. Da stürzte alles gleichsam in einen Abgrund, das Haus sank in die Feierlichkeit der Finsternis zurück, als löse es sich völlig auf in der Vornehmheit und der Sittsamkeit seines Schlummers.
Octave jedoch fiel es sehr schwer einzuschlafen. Er warf sich fieberhaft hin und her, sein Gehirn war mit den neuen Gesichtern beschäftigt, die er gesehen hatte. Warum zum Teufel zeigten sich die Campardons so liebenswürdig? Träumten sie etwa davon, ihm später ihre Tochter zur Frau zu geben? Vielleicht nahm ihn der Ehemann auch nur deshalb in Kost, damit er seine Frau beschäftigte und aufheiterte? Und diese arme Dame, was für eine wunderliche Krankheit mochte sie wohl haben? Dann verwirrten sich seine Gedanken noch mehr, er sah Schatten vorüberhuschen: die kleine Frau Pichon, seine Nachbarin, mit ihren hellen und ausdruckslosen Blicken; die schöne Frau Hédouin, untadelig und ernst in ihrem schwarzen Kleid; und Frau Valéries glühende Augen; und Fräulein Josserands fröhliches Lachen. Wie das alles in wenigen Stunden auf dem Pariser Pflaster emporschoß! Schon immer hatte er davon geträumt, von Damen, die ihn an die Hand СКАЧАТЬ