Zulassung zur Abschaffung - Die heillose Kultur - Band 2. Dr. Phil. Monika Eichenauer
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СКАЧАТЬ mussten in den vergangenen Jahren lernen, dass ihre „normale Tätigkeit“ als Mensch, sich nämlich jeden Tag aufs Neue zu motivieren, dasjenige jeden Tag zu tun, was sie tun, immer größeren Umfang annahm und zusätzlich den Unsicherheitsfaktor, ob ihr Leben so noch zu bewältigen sei, wie es bisher ging, zu bewältigen hatten. Sie verloren und verlieren ihr Gleichgewicht.

      Im Januar 2008 werden Zahlen von 1,4 Millionen missbrauchten und geschlagenen Kindern in einem Zeitungsartikel über ein Buch von Christine Birkhoff, die eigene Erfahrungen in „Ein falscher Traum von Liebe“ (Bastei-Lübbe 2007) verarbeitet, vom Bundesfamilienministerium aus dem Jahr 2000 mitgeteilt. (Ruhr-Nachrichten: Hinsehen? Wohin? 2.1.2008). Diese nun acht Jahre alten Zahlen dürften angewachsen sein: Wer soll diesen Menschen fachkompetent helfen, sie behandeln? Hinzuzusetzen ist: Wird eines dieser 1,4 Millionen missbrauchten Kindern behandelt, wird in der Regel mindestens ein Elternteil ebenfalls eine Psychotherapie machen müssen – und wenn es hoch kommt, alle Familienmitglieder, also auch die Geschwister. Dies als ein Beispiel in diesem Einschub, dass die Medizin mit ihrer herkömmlichen Sichtweise diesbezüglich nicht für Aufklärung sorgen konnte – und auch nicht regelhaft reagierte, wenn Kinder mit nicht eindeutigen Verletzungen ins Krankenhaus gebracht wurden.

      Aber auch andere Berufsgruppen tragen dazu bei, dass Kinderschänder auf freien Fuß kommen: „Justiz-Pannen: Akten weg.“ (Ruhr-Nachrichten, 24. Juli 2009) Es heißt in dem Artikel, dass bei der Justiz in Mönchengladbach Akten von Kinderschändern verschwunden und ihre Fälle jahrelang verschleppt worden sind. Von derartigen Fällen wird inzwischen des Öfteren berichtet. Im Falle eines solchen Berufsverständnisses ist von einer Weg-Seh-Kultur zu sprechen.

      Die Empfehlung der Bundeskanzlerin zur Hinseh-Kultur wirft darüber hinaus Fragen auf: Auf blaue Flecken oder tiefer, zu den Ursachen sehen? Zum Beispiel eben grundsätzlich auch auf das Medizin-Verständnis und im Gegenzug auf die Fachkompetenz von Psychologischen Psychotherapeuten, die Welt und Mensch etwas, um nicht sagen, entschieden anders sehen und begreifen: Medizin müsste inhaltlich etwas sein, das den Menschen in einem Land hilft, mit Krisen, Problemen und Krankheiten fertig werden zu können – dann könnte von einer hoch stehenden oder zivilisierten Kultur gesprochen werden. Aber in Deutschland gibt es fast niemanden mehr, der sich selbstständig und frei, mit einem Gefühl, sich in Kultur und Mensch auszukennen, bewegen kann. Für jeden Schritt muss ein Rechtsanwalt gefragt werden, die Steuerberaterin angerufen und der Arzt oder der Psychologische Psychotherapeut konsultiert und bezahlt werden. Menschen werden ständig durch die Polizei oder städtische Angestellte bezüglich Parken und zu schnellem Fahren kontrolliert und zur Kasse gebeten. Menschen werden zur Unselbstständigkeit und zum Nichtwissen und zu „Heile dich nicht selbst“ erzogen. Menschen werden in jeder Hinsicht bewusst in die Abhängigkeit gebracht, ob durch politische Gesetze und Verordnungen, ob durch die Art und Weise der Zwangsläufigkeit, wie Menschen ihr Leben zu leben und zu fristen haben, wie sie sich als Arbeitnehmer zu verkaufen haben und sich dann in ihrem Leid an Mediziner zu wenden haben, die sich selbst durch eine völlig indiskutable Berufspraxis verdrehen, sprich, anpassen müssen und Hippokrates getrost in der Ecke stehen lassen können.

      Die alte medizinische Sichtweise ist bis heute so erhalten geblieben: Diese Ärzte sprechen kaum mit ihren Patienten, und Patienten haben den Diagnosen der Ärzte zu lauschen und zu tun, was sie an Behandlung vorschlagen. Wenn Patienten etwas dazu sagen möchten, hat der Arzt generell keine Zeit. Sagt der Patient trotzdem etwas, gilt er als unbequem und aufmüpfig, und der Arzt wird unwirsch. Tut der Patient nicht, was der Arzt sagt und verordnet, gefährdet er damit den vermeintlichen medizinischen Heilungserfolg. Tun dem Patienten also bestimmte Behandlungen und Medikamente nicht gut, ist letztlich der Patient trotzdem selbst schuld. Obwohl er brav geschwiegen hatte, und der Arzt habe ja auch gar nicht absehen können, dass seine Behandlung nicht zum Erfolg führen würde, schließlich habe es bestimmte Parameter gegeben, die bei dieser Krankheit untypisch seien – oder es war schlicht ein ungewöhnlicher Behandlungsverlauf. Die enttäuschten Patienten wandten und wenden sich irgendwann schweigend von diesen Ärzten ab und konsultier(t)en einen anderen, in der Hoffnung, dass sich der Gott in Weiß doch noch als unfehlbar in der Behandlung erweisen möge. Das nennt man dann Ärzteshopping: Der Patient geht von einem Arzt zum anderen. Davon halten die ärztlichen Standesorganisationen gar nichts, da eine solche Patientenreaktion darauf hinweist, dass in der Behandlung etwas schief gelaufen ist. Auch den in Praxen und Kliniken tätigen Ärzten sind denkende und vor allen Dingen handelnde Patienten nicht geheuer. Aber auch die Krankenkassen haben etwas gegen Ärzteshopping, weil es die Kosten für Behandlungen ausdehnt. Schließlich müssen sie zahlen, was diese Ärzte nicht leisten konnten oder, was sie sich salopp formuliert „leisteten, nicht zu leisten.“

      Bevor Patienten generell den Gedanken entwickeln konnten, dass Ärzte ihnen nicht halfen, gesund zu werden, wurde den Patienten selbst generell die Schuld für fehlende Heilungserfolge zugeschoben: Fehlende Complains, d. h. fehlende Bereitschaft den Anweisungen des Arztes zu folgen, wurde als Grund für fehlende Heilungserfolge interpretiert und die Patienten verpflichtet, sich Überweisungen von einem Arzt zu einem anderen Arzt ausstellen zu lassen. Die Patienten, nicht die Ärzte, wurden und werden hinsichtlich ihrer Arztbesuche kontrolliert und zusätzlich finanziell durch Eigenleistungen beträchtlich belastet. Jetzt werden die Ärzte zusätzlich zu den Patienten kontrolliert, was aber die Versorgung nicht verbessert. Es bleibt bei der Sprachlosigkeit zwischen Ärzten und Patienten – heute schlimmer denn je, weil nicht einschätzbar ist, warum der Arzt ein Gespräch mit Patienten führt: Zum Beispiel, um IGeL-Leistungen an den Patienten zu bringen, die privat zu bezahlen sind. Die genauen Hintergründe werden in Band 3 ausführlich dargelegt. Neue Strukturen im Gesundheitswesen führen dazu, Patienten in Vorsorgeuntersuchungen reihenweise in Massenabfertigungssituationen in Medizinische Versorgungszentren (MVZ) zu beordern. Offiziell heißt es, Prävention dämpfe Behandlungs- und Folgekosten für (zu) spät entdeckte Krankheiten – dagegen wären fehlerhafte Befunde und Diagnosestellungen zu setzen.

      Was bei Untersuchungen und Diagnosestellungen mittels ärztlicher Kunst an Verschlimmbesserungen passieren kann, erfahre ich aus Berichten von Patienten und Bekannten, und diese machen mich sprachlos. Da wären zum Beispiel Knochen- und Rückmarkspunktionen, Biopsien oder auch Operationen bei Krebserkrankungen, welche die Gefahr der Streuung der Krebsherde ignorieren. Wissen denn nur Nicht-Mediziner oder Nicht-Ärzte von diesen Zusammenhängen? Nach der Punktion für die Biopsie wird dann gesagt, die Streuung sei vorher schon da gewesen. Das konnte man also vor dem Eingriff trotz bildgebender Verfahren nicht wissen? Dafür musste man erst operieren oder Gewebe entnehmen? Der Gesundheitszustand der betreffenden Patienten verschlechterte sich rapide.

      Ärzte und Patienten haben in den letzten Jahren unterschiedliche Interessen entwickelt: Die Patienten wollen geheilt werden. Sie wollen sprechen und gehört werden – aber sie finden im medizinischen Bereich nur sehr selten jemanden, der wirklich im Sinne des Patienten zuhört. Der Arzt hingegen will „seine“ Patienten behalten, denn sie sind seine existentielle Lebensgrundlage und Objekt seiner medizinischen Kunst. Fürs Reden werden sie nicht bezahlt – zumindest im Rahmen des Kassenarztwesens, und falls doch, dann sehr gering. Und bei alledem wollen die Krankenkassen die Kosten herunterschrauben, denn die Kosten im Gesundheitswesen sprengen alle Grenzen, und die Menschen bleiben krank. Die Gründe für Kostenexplosionen im Gesundheitswesen sind generell in Konkurrenzhaltungen der Ärzte untereinander und gegenüber anderen Berufsgruppen innerhalb und außerhalb des KVen-System, in der gesellschaftlichen Alleinstellung der Medizin und zusätzlich im Abrechnungssystem zu suchen (Vgl. Blüchel, 2003): Es ging ihnen nicht in erster Linie um Heilung der Patienten, sondern um finanzielle Einnahmen. Nun gibt es im gegenwärtigen Gesundheitssystem die paradoxe Situation, dass Ärzte lernen sollen, mit ihren Patienten zu sprechen. Gleichzeitig sind Ärzte jedoch aufgrund der ökonomisierten Leitlinien und dem vorgegebenen „Patientensoll“ mit der Tatsache konfrontiert, ständig unter Zeitdruck zu stehen und wenig Honorar für ihre Arbeit zu erhalten...

      Die „Seele“ des Patienten wurde in einem anderen Fachbereich, der sich ebenfalls naturwissenschaftlich orientierte, СКАЧАТЬ