Am Rande. Eine Bemerkung. Anna Lohg
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Название: Am Rande. Eine Bemerkung

Автор: Anna Lohg

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

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isbn: 9783742722935

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СКАЧАТЬ mal unter uns, es war Dir doch stets egal, wie ich rum gelaufen bin. Es ist Dir zuvor vermutlich nicht aufgefallen, dass mir meine Hosen schon immer ein wenig zu groß waren. Du hast nie darauf geachtet, was wer anzieht, darauf kam es Dir nicht an. Die anderen Sachen waren Dir wichtig, nicht einmal innere Werte. Du hast auf die soziologischen Überzeugungen gesetzt, der Rest ging Dir am Arsch vorbei, wenn Du darüber hinaus überhaupt etwas bemerkt hast. Fraglos machst auch Du ab und zu Zugeständnisse an die Etikette, zumindest konnte ich das bei meiner letzten Prüfung feststellen. Doch, ja, durchaus eine feierliche Prüfung, wirst Du Dir gedacht haben, also hast Du den Hokuspokus bedient und ein halbwegs ordentliches Jackett angezogen. So wie ich, deswegen war es mir aufgefallen. An diesem Tag hatte auch ich mir gedacht, es sei wohl angemessen, auf die Klamotte zu achten. Irgendwie waren wir an dem Tag gleich angezogen, alte gebeulte Hosen, schmutzige Schuhe, aber immerhin ein ganz passables Jackett. Meines hängt nach all den Jahren noch immer im Schrank, bereit für den nächsten Anlass. Solche Jacken sind das minimalste Zugeständnis an den feierlichen Sonntag, sie hängen Jahre ordentlich auf einem Bügel und bleiben somit gut erhalten, diese Modelle längst vergessener Zeiten sind offenbar noch lange nicht aus der Mode gekommen.

      Aber an dem Tag in Deiner Küche, da solltest Du mich plötzlich mustern. Du stelltest das Glas Wasser ab und erzähltest von dem Vorstellungsgespräch, noch sichtlich beeindruckt. Ja, diese junge Frau, die Dir vorher als Zeitverschwendung erschienen war, hatte Dich offenbar fasziniert. Mag sein, dass mir dies einen Stich verpasste, sowas wie ein Anflug von Eifersucht nicht mehr der Liebling im Korb zu sein. Zwar bin ich von der leidigen Eitelkeit nicht verschont geblieben, aber es ist nicht meine erste Sache, somit hörte ich Dir ungerührt aufmerksam zu. Arg viel musstest Du gar nicht sagen, bloß die paar Worte, das reichte für ein eindrückliches Bild.

      "Aus gutem Haus.", sagtest Du, während Du die junge Frau in Gedanken weiter betrachtetest, um sie sodann mit mir zu vergleichen, wie ich so da stand, im Türrahmen mit einem Pinsel auf dem Kopf. "Sehr gut erzogen."

      Diese grobe Skizze sollte völlig genügen und ich konnte die junge Frau ebenfalls in Gedanken sehen. Ihre Haarfarbe war gleichgültig, die Farbe der Augen oder was sie sonst noch von mir unterschieden hätte. Aus gutem Haus und sehr gut erzogen meinten die Merkmale eines Archetypus, Soziologie im ersten Semester über die feinen Unterschiede. Diesen Klassiker habe ich nie gelesen, nur drin geblättert, ich gebe es zu, dennoch hat das Werk auch mein Augenmerk auf den Habitus der so genannten besseren Gesellschaft gelenkt. Es sind die Kriterien der Auslese, wie Erkennungszeichen mit denen gewährleistet wird, dass alle hübsch auf ihren Plätzen bleiben. Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen.

      Das ist uns beiden vermutlich fein säuberlich durch den soziologisch verseuchten Kopf gegangen, während wir uns dort in Deiner Küche gegenüber standen. Diese junge, wohl erzogene Frau aus gutem Haus spukte durch unsere Gedanken und mit ihr all die feinen Unterschiede zwischen gesellschaftlichen Klassen und den unsichtbaren Barrieren dazwischen. Aber die gäbe es doch heute kaum mehr, im Verschwinden begriffen, vielleicht vor ein paar Jahrzehnten noch, als Bourdieu seine Untersuchung machte, obendrein in Frankreich, bekannt und berüchtigt für seine Eliteschulen. Aber hierzulande, heutzutage gäbe es doch für alle die gleichen Chancen, wenigstens die eine oder andere Aufstiegschance für jene die sich anstrengen, sowas wie Leistungsgerechtigkeit. Die Kriterien der Auslese wären andere, auf den aristokratischen Gestus käme es doch nicht mehr an, nicht hier, nicht jetzt, auf gar keinen Fall in Deiner Küche!

      Doch ich stand Dir genau gegenüber in meiner zu großen Hose, und es war als solltest Du eine Wahl treffen zwischen mir und diesem manierlich Geschöpf. Auf Deinem Gesicht konnte ich deutlich einen Schreck ablesen.

      "Du hast keine Manieren.", stelltest Du plötzlich fest. Tatsächlich war es Dir eine schlichte Feststellung, keinesfalls eine Beleidigung.

      Ausgerechnet Du, vor der Wahl stehend, solltest Dich für die junge Frau entscheiden. Kaum wegen ihren ordentlich gekämmten Haaren hattest Du Dich für sie entschieden, nicht wegen ihrem brillianten Intellekt, noch weniger wegen ihren soziologischen Standpunkten, nein, Du hattest Dich für die junge Frau entschieden wegen ihren Manieren! Das sollte Dich mehr erschüttern als mich, wenigstens in dem Moment. Wir, so dachtest Du bestimmt, wir kannten doch die feinen Unterschiede und wir würden uns davon nicht beeindrucken lassen. Doch im dirketen Vergleich eben dieser feinen Unterschiede solltest Du erweichen, dieser Gestus, der nicht Dein eigener ist, sollte Dich überzeugen.

      Das kann ich sogar verstehen, ohne damit zu meinen, dass ich mich ebenso für die angeblichen Manieren entschieden hätte. Aber so ein Habitus aus gutem Haus kann durchaus ganz eindrücklich ausfallen, letztlich ist er etwas Besonderes, schon weil es vergleichsweise nicht viele dieser guten Häuser gibt und darin nicht um jeden Preis die vermeintlich gute Erziehung gelingt.

      Mir ist klar, dass es bei den Manieren nur vordergründig mit einer zahmen Frisur und einer passenden Hose getan ist. Die Verkleidung ist bloß ein erstes sichtbares Zeichen, allerdings nicht zu unterschätzen. Die Texturen sind wichtig, die Makellosigkeit eines Stoffes, der Glanz der Fäden, die Reinheit eines Webmusters, die Sorgfalt der Nähte, die Spuren des Gebrauches und der tadellose Sitz eines jeden einzelnen Kleidungsstücks. Das sind Äußerlichkeiten die einen Eindruck ergeben, so wie die Haut, ob sie glatt ist, sorgenfrei gefaltet, wenn sie geschont werden konnte, hat sie keine Schwillen, Beulen, grob verheilte Narben. Zähne, Nägel, Haare all das zusammen ergibt einen sichtbaren feinen Unterschied. Aber wäre es das alleine, es ließe sich mehr oder weniger gekonnt nachahmen.

      Die kostbarste Mitgift der vermeintlich guten Häuser ist das Gemüt, und das lässt sich nicht nachäffen, als sei die reichliche Ausstattung in jede Pore eingedrungen. Jede Faser drückt Zuversicht aus, wenn der Zweifel ein unbekannter Gast ist; die Augen strahlen, wenn sie nie eine Niederlage gesehen haben; die Bewegungen fließen, wenn sie keine Bedrohung kennen; die Gedanken können sich wohl ordnen, wenn sie frei von erdrückenden Sorgen sind. Es ist ein Ausdruck der Gewissheiten verheißt, als sei alles machbar, als gäbe es stets ein sicheres Ziel, wirkt genau das mitreißend, es wird verführend dem zu folgen, obschon unbeirrt meist nur Wahnsinnige sind. So ein Habitus aus gutem Haus ist wie ein Versprechen auf wahre Größe, überzeugend, imposant, majestätisch, denn wer in Watte gepackt ist, hat keine Angst davor, auf die Schnauze zu fallen, als ob das jeder könnte. Nur die Spitze der Nahrungskette gewährt eine solch gnadenlose Lässigkeit, erst wenn all Beutetiere restlos ausgerottet sind, gibt es einen ernsten Grund die Contenance zu verlieren.

      Und dazu fielen Dir als erstes Manieren ein. Bei Manieren denke ich sofort an Tischsitten, an Regeln für ein affiges Gehabe, welches seinen Zweck verschleiert. Nach der Soziologie im zweiten Semester erfasste der Zivilisationsprozess auch die Reglementierung bei Tisch, allerdings ging es dabei weniger um ein manierliches Hantieren mit Messer und Gabel, als vielmehr darum, sich nicht im Streit um die größte Keule an Gurgel zu gehen. Danach meint zivilisiert nicht den Umgang mit dem Besteck, sondern das schnöd Friedliche, immerhin wird anderswo ausgesucht kultiviert mit den Fingern gegessen. Doch übrig geblieben sind offenbar nur die Manieren, als das alberne Getue mit welcher Hand das Messer geführt werden soll, dabei sei es gänzlich gleichgültig, wie die Keulen aufgeteilt werden. Der Zivilisationsprozess dürfte damit unweigerlich im Morast stecken bleiben, weil das Hauen und Stechen um das größte Stück Fleisch wieder ansteht, immerhin darf dann seelenruhig bei Tisch gerülpst, gefurzt und gekotzt werden.

      Und Du solltest plötzlich feststellen, dass ich nicht aus gutem Haus sei, mir entsprechend diese Manieren abgingen, als hätte ich am Zivilisationsprozess nicht teilgenommen.

      "Du hast dich auch hochgearbeitet.", sagtest Du anschließend mehr zu Dir selbst. "Wie ich.", hörte ich Dich murmeln. "Aus der Arbeiterklasse."

      Diese kurzen, schwer hörbaren Fragmente reichten aus, um mir vorzustellen, wie Du Dich hochgearbeitet hattest. Du hättest um Deine Rechte gekämpft, Dich durch einzelne Schichten nach oben gebissen, um einen Status zu erlangen. Einen gesellschaftlichen Rang einnehmen, für den es als unsichtbares Abzeichen die scheinbar allgemeine Anerkennung СКАЧАТЬ