Am Rande. Eine Bemerkung. Anna Lohg
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Название: Am Rande. Eine Bemerkung

Автор: Anna Lohg

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

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isbn: 9783742722935

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СКАЧАТЬ sei, überlebe ich solche Einstellungsgespräche erst gar nicht. Nur wenn sich partout auf die Schnelle niemand sonst für die paar Tage Arbeit findet, bin ich eben das kleinste Übel und darf in Aushilfe machen. Allerliebst kriege ich noch mit auf den Weg, ich sei undankbar.

      Undankbar über ein paar Tage in einem schlecht bezahlten Job als Aushilfe, für den ich mir ein Röckchen anziehen soll, um mir sodann unbedingt mein natürlich gewachsenes Beinkleid zu rasieren. Das scheint so normal, dass es niemandem auffällt, wie irre es eigentlich ist. Ganz abwegig wird es in grüngelb gestreifter Pluderhose mit bunten Girlanden behangen, um sich irgendeiner ungeheuer wichtigen und total niedlichen Corporate Identity zu fügen, damit das Betriebsklima nicht gestört werde, welches zweifellos sowieso schon gestört ist, wegen der total niedlichen Corporate Identity. Alles in allem ist das nicht sonderlich weit weg von Reifröcken und gepuderten Perücken. Allerdings würde ich mir unter Umständen für eine überbezahlte Festanstellung sogar die Nasenhaare zupfen, mich rasieren, frisieren, die Socken bügeln, die Schuhe polieren und mir eine Krawatte umbinden. Aber Knechte laufen grundsätzlich keine Gefahr, wegen hoher Bonuszahlungen um den Penis beneidet zu werden. Zumeist würde mir die gleichberechtigte Bezahlung oft genug schon ausreichen.

      Aber Gleichberechtigung gibt es nur im Delirium, es bleibt der Wunsch einer Minderheit, während die Mehrheit denkt, diese sei längst verwirklicht. Zumindest habe ich das gedacht, bis ich da mit diesem Kollegen am Regal stehe. Da hantieren wir nebeneinander, Männchen und Weibchen, und machen beide die gleiche simple Arbeit. Zwei Aushilfen bei der Inventur in einem Lagerhaus, aber er kriegt mehr als ich, das sollte ich so nebenbei erfahren. Den Hals wollte ich mir gar nicht voll stopfen, das ist bei dem Lohn sowieso illusorisch, nee, ich wollte bloß wissen, was genau der Vorteil des Männlichen sei. Im Büro stelle ich meine Frage an die Lagerleitung, so ein schmieriger Typ, der mir unwillkürlich wie ein Wiederholungstäter vorkommt. Artig erkläre ich ihm, dass ich nicht mehr Geld wolle, nur Wissen. Denn Wissen sei die Macht, es beim nächsten Mal anders zu machen.

      "Beim Einstellungsgespräch haben sie sich nicht gut verkauft.", offenbart mir dieser schmierige Quell des Wissens. Leider ist Wissenserwerb selten eine furchtbar einfache Sache, geht es doch meist darum, die verworrenen gedanklichen Elaborate von anderen zu verstehen. Und ich verstand überhaupt nicht, weshalb ich mich als Aushilfe hätte besser verkaufen sollen. "Frauen verkaufen sich immer unter Wert.", fährt er fort. "Sie sollten es machen wie ein Mann. Dick auftragen, vollmundig behaupten, sie könnten etwas sehr gut, auch wenn es nicht wahr ist. So machen es Männer, deswegen verdienen sie mehr als Frauen, weil sie mehr können." Tsss.

      Was auch immer der Lohn mit dem konkreten Geschlechtsteil zu tun hat, Gleichberechtigung ist definitiv etwas anderes, als mich wie ein Mann zu verhalten, um als Frau nicht benachteiligt zu werden. Und wiederum Männer quacksalbern bis sich die Balken biegen und jeder glaubt es sei die Wahrheit? Wie wenn da einer steht und röhrt: "Ich weiß wo es lang geht, ich kenne mich aus, ich kann das alles, ich bin ein Experte auf dem Gebiet!" Je größer das Hirschgeweih, desto glaubhafter das Gebrüll, das muss in der Evolution irgendeinen Vorteil verschafft haben, nur mir nicht. Gemeinhin wird gerne behauptet, der Hirsch würde mit der Kuh belohnt. Ja, und die Kuh? Wird die Kuh etwa mit einem röhrenden Hirsch beglückt? Also mir als Kuh wäre weniger Geweih und mehr Lohn lieber.

      

      "Seien sie nicht so naiv.", lautet die häufigste Antwort, wenn ich irgendwas von gleichem Lohn fasele, ich würde gewisse Realitäten verkennen. Ja, aber gewiss tue ich das. Und mit Vorliebe verkenne ich Realitäten, die sich so ein gewisser Dr. Voigt ausdenkt. Dieser Dr. Voigt war der erste einer langen Reihe, vermutlich Klone, die ich seitdem alle so nenne. Das besondere Merkmal dieser Figuren: es sind Arschlöcher, die alle anderen zu Dummköpfen erklären. So ein Dr. Voigt ist meist Abteilungsleiter, hat studiert und promoviert und ist dann mit Wucht raus aus der unfreien Wissenschaft und rein in die freie Wirtschaft, sich zu verwirklichen oder so. Denn er, Dr. Voigt, hat das Zeug dazu, schließlich hat er, Dr. Voigt, studiert und promoviert, der weiß wo die Glocken hängen, deswegen heißt er auch Dr. Voigt und nicht Herr Voigt, da besteht der Herr Dr. Voigt auch drauf, manchmal auch Frau Dr. Voigt. Die schieben dies Ding, diesen Titel, vor sich her, wie eine Auszeichnung zum was Besseres sein. Der Dr. Voigt merkt dabei gar nicht wie lächerlich er ist, wenn er sich nicht gerade herablassend gibt.

      Für gewöhnlich nimmt so ein Dr. Voigt eine Aushilfe wie mich gar nicht wahr, ja, da steht der drüber, im Sinne des Wortes müsste er sich also bücken. Zu seiner Entschuldigung sei vermerkt, dass Aushilfen, ob im Hasenkostüm oder in einer Hose, an und für sich kaum wahrgenommen werden. Unwichtiges Beiwerk, so in etwa wie eine Fensterscheibe, die fällt auch erst auf, wenn sie nicht da ist. Zwar muss irgendjemand mit den scheiß Aushilfen sprechen, damit die nicht völlig wirr durch die Gegend dödeln und Unfug anrichten, aber Dr. Voigt tut das sicher nicht, denn das wäre außerordentlich unter seinem Niveau. Aushilfen sind nämlich das Letzte, für wenn gar nichts anderes mehr geht und jeder weiß, dass die arbeitsscheu sind und nichts, aber auch wirklich gar nichts kapieren. Eine ganze blöde Sache, und weil das so ist, erzähle ich tunlichst niemandem was von meinem Abitur, gewissermaßen quacksalber ich bis sich die Balken biegen, damit ich wenigstens dem Anschein nach die Voraussetzungen erfülle. Zumal so ein Dr. Voigt neben sich keine anderen Dr. Götzen duldet, schon mal gar nicht eine Frau, denn wenn die das auch können, kann das kein großes Ding sein.

      Mittlerweile lege ich sehr viel Wert darauf, für so einen Dr. Voigt durchsichtig zu bleiben, um keinesfalls von so einem angesprochen zu werden, denn Aushilfen gegenüber kennt der nur eine mögliche Ansprache: den Anschieß. Puterrotes Gesicht, die Adern am Kopf geschwollen, kurz vorm Ausbruch der Beulenpest, dann ist es soweit, dann braucht so ein Dr. Voigt umgehend eine Aushilfe, nämlich um dort seine Schuld abzuladen, wahlweise seine brackige Laune. Da kann ich mir ein Ei drauf pellen.

      "Welcher Idiot hat dieses Ei auf meinen Schreibtisch gelegt?" Es ist egal was, irgendwas, eine beliebige Nichtigkeit und so einen Dr. Voigt brüllt durch den Laden. Wenn er mich sieht, hat er seinen Lieblingsidioten gefunden. "Habe ich ihnen nicht bereits tausendmal gesagt, dass dieses Ei hier nichts zu suchen hat?" Hysterie müsste nochmal neu erfunden werden.

      "Nun regen sie sich nicht so auf, das ist nicht gut für ihren Organismus.", das ruscht mir so raus. Dass ich das Wort Organismus überhaupt aussprechen kann, irritiert Dr. Voigt. Schnell will ich das Ei von seinem Schreibtisch nehmen, denn der Handgriff bereitet so einem Dr. Voigt viel Mühe, obendrein denkt er, es würden Opportunitätskosten anfallen. Nein, nein, das meint der nicht im Spaß. Opportunitätskosten sind ihm eine herrliche Erfindung der modernen Betriebswirtschaftslehre, nach denen er als gut bezahlter Mitarbeiter Kosten verursachen würde, wenn er das Ei von seinem Schreibtisch nähme, weil er für die Dauer des Handgriffes seine ungeheure Produktivität vernachlässigen täte. Entsprechend müsste wegen dem hysterischen Anfall von so einem Dr. Voigt gleichsam das Bruttoinlandsprodukt Schaden nehmen. Betriebswirtschaftlich gesehen gilt: die Aushilfen tragen die Eier und so ein Dr. Voigt die Leistung. Dr. Voigt ist der Leistungsträger, ich der Eierträger, das ist in der ökonomischen Lehre so festgelegt, vermutlich hat sich das ein anderer Dr. Voigt ausgedacht. Nunmehr steht das also überall geschrieben und so ein armer Dr. Voigt sei nur ein Getriebener, der sich religiös an die weisen Satzungen hält. Das sei ja nicht sein Wille, der da geschehe, wenn er theoretisch mehr wert wäre als ich und er mir deswegen ganz praktisch in den Arsch tritt. Es sei nachgerade seine natürliche Pflicht, dass er die Führung für mich übernehme, er sei schließlich höher gestellt. Na ja, auch die Kapuzineräffchen haben sich eine stramme Hackordnung gegeben.

      "Wer sind sie, mir über meinen Organismus Ratschläge zu erteilen?", blökt er mich an. Ja, wer bin ich eigentlich? Bilde ich mir irgendwas ein? Vorerst schone ich meinen Organismus und diskutiere nichts aus, denn das wäre wirklich naiv. Naiv zu glauben, mit so einem wie Dr. Voigt könnte ich verhandeln, gar vernünftig reden, weil seine Vernunft keinesfalls allgemein gültig gemeint ist, die gilt nur für ihn allein. Was auch immer ich mir einbilden mag, er glaubt, mindestens ein Gott habe die Welt, die Geschichte und mich um ihn herum СКАЧАТЬ