Название: Am Rande. Eine Bemerkung
Автор: Anna Lohg
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783742722935
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Konkurrenz wird zum ultimativen Prinzip erhoben, angelehnt an Moschusochsen, die sich gegenseitig die Köpfe rammen, so lange bis einer übrig bleibt, der dann vorbildlich produktiv kopuliert. Daher werden jene reich belohnt, welche die meisten Schädel zertrümmert haben. Eine Umwelt, wie geschaffen für Psychopathen, die sind am besten angepasst, an diese Halluzination die den Skrupel nicht duldet. Und so lässt manch eine Umwelt eine Anpassung fragwürdig erscheinen.
"Stehen sie zu ihrer Verantwortung.", er lächelt, ich zurück. "Sie können nicht ewig vom Staat leben."
Schlußendlich ist es ein gängiges Heldenepos, in dem das klassische Gegensatzpaar um die Vormacht ringt: ein unbescholten fleißiger Markt wider einen gierig saugenden Staat. Mythologisch, sprich so steht es irgendwo geschrieben, sollte der Staat dazu dienen, den archaischen Krieg des Jeder gegen Jeden zu unterbinden, derweil mit dem Markt eben jener Krieg zum Prinzip erhoben wird. Das Ganze wird abgehandelt, als handele es sich um die Rivalität zweier Fabelwesen, die wirklich existieren, als würden Staat und Markt ihr ganz eigenes Leben führen und die hilflosen Menschen beherrschen, deren Hirngespinste sie sind. Ähnlich wie Götter, ausgedacht als Orientierung, um die Welt in ein Unten und ein Oben zu zerlegen. Eine Welt, die immer komplexer wird, weil sie mit so vielen eigenmächtigen Fabelwesen bevölkert ist, die der Orientierung dienen sollen.
"Mein Gott.", seufzt er.
Dermaleinst standen sich Kirche und Staat wie zwei Drachen gegenüber, scheint das Denken einen Gegensatz als Anker zu brauchen, Gut gegen Böse, Schwarz gegen Weiß, wäre ansonsten die ganze Geschichte grau. Aber seit Gott tot ist, ungefähr bei einem Erdbeben in Lisboa gestorben, ist die Kirche geschwächt, für das Wesen Staat kein ebenbürtiger Widersacher mehr. Diese Lücke, welche die quasi gottlose Kirche hinterlassen hat, wird nunmehr mustergültig durch den Markt gefüllt. Auch diesem feuerspeienden Fabelwesen stehen eine handvoll Propheten samt Jünger zu Diensten, die mit Inbrunst ihre Lehre hinaus tragen und zum wahren Marktglauben bekehren wollen. Sie predigen von ihrem Gott dem Wachstum, verbreiten ihre Gebote über Wettbewerb und Leistung; sie stoßen Prophezeiungen über den nächsten Konjunkturzyklus aus; sie verkünden ihre Heilsbotschaft der individuellen Selbstverwirklichung in der paradiesischen Warenwelt; sie behandeln Widersprüche im Weltbild als Wunder; sie begreifen Krisen als eine Prüfung des Marktes; sie befürchten, dass eine Abweichung von der wahren Lehre in die Depression führe; sie versprechen Seligkeit durch Profit und Erlösung durch Rendite; sie verstehen Kritik als Blasphemie. Die Tempel sind zweifellos brechend voll, in denen möglichst besinnungslos dem Konsum gefrönt wird. Und wie bei jedem Glauben gilt: der Grad der Verblendung wird mit dem Gehalt an Wahrheit gleich gesetzt.
"Sie haben doch studiert.", schüttelt er den Kopf.
So bleibt wohl selbst die Bildung fragwürdig, wenn mit ihr die Knechtschaft nicht abgeschafft wurde.
Es war noch der Traum der Aufklärung, dass die allgemeine Schulbildung den Menschen an sich von seinen Fesseln befreien werde. Lesen, Schreiben, Rechnen würde unweigerlich die Vernunft erwecken, welche dann das Menschengeschlecht erhelle und zur Vollendung geleite. Das ist inzwischen kalter Kaffee, wahlweise echter Käse, denn bedingungslose Bildung für alle gilt heutzutage als soziale Romantik, gleichsam damit erscheint die Aufklärung als sentimentale Verklärung. Dies verdankt sich allerdings nicht der Einsicht, dass die Vernunft absolut überbewertet wird und die Vollendung des Menschen bloß den besten aller Affen zeitigen würde. Gleichwohl wurden die Ideale der Aufklärung sowieso nie wirklich ausprobiert, vielmehr verdaut, um die Vernunft sodann als ökonomische Rationalität wieder auszuscheiden. Nunmehr, quasi im Zeitalter der Posterhellung, wird einfach fröhlich Alles auf eine mögliche Ausbeute abgeklopft, selbst Utopien müssen profitabel sein, weswegen es keine mehr gibt. Daher erscheint die Gesellschaft endlich vollkommen, wenn mit dem Glück der Wenigen die Glückseligkeit aller vollbracht sei und mit Papst und demokratischem Kommerz nichts mehr zu wünschen übrig bliebe.
Wohlstand und Bildung für alle gelten somit als historisch überwunden, Forderungen nach Gleichheit, Gemeinwohl, Solidarität wirken mittlerweile kleinkariert. Nach dem Diktat der Rentabilität führen solcherlei Gelüste zu schwindenden Mitteln, mithin schnurstracks in die Misere. Das gute Leben kann es schlicht nicht für alle geben, weil es sich nicht rechnet, basta, siehe ein Jeder zu, wo er bleibt. Nur Leistung und Effizienz im Wettbewerb würden sich lohnen und das, koste es, was es wolle. In diesem Sinne wird voll auf die Innovationen zukünftiger Generationen vertraut, welche gestärkt und gestählt fraglos technische Wunder vollbringen werden und müssen, wie das Klima kontrollieren, Radioaktivität entschärfen, verseuchte Böden entgiften, Trinkwasser recyceln, Luft erneuern, Rohstoffe herstellen, ganz neue Arten im Labor produzieren, reinste Natur im Plastik entdecken und vieles andere mehr, nur an der wunderbaren Gesellschaft, die wir ihnen hinterlassen, werden sie rein gar nichts mehr verbessern brauchen.
Und so gesehen kann ich mir eben ein Ei pellen, weil nämlich mein Kopf mit Bildungsschrott zugemüllt ist. Befleißigte Betrachtungen über die Gesellschaft sind längst zum wertlosen Zeug erklärt, soziologische Untersuchungen, historische Analysen, philosophische Beratungen braucht heute niemand mehr. Außer noch als Exzellenz poliert, da könnte ich mich als bezahlte Soziologin im schwarzen Rollkragen in einen beigen Sessel setzen und auf Nachfrage ernsthaft antworten: "Ich bin eine Intellektuelle." Yeah, boa, ey. "Als Vertreterin des Sektionalismus nach Claude Debutant, sage ich Ihnen, die Gesellschaft leidet massiv unter Ihrer Friktionalität." Dann wüsste ich sehr genau, was ich damit meine, könnte es nur nicht so gut erklären. Neulich mal, als das Telefon klingelte, da stand ich ganz kurz davor, in die Nähe dieser Exzellenzhaftigkeit zu geraten. Schneller als ich für möglich hielt, hätte ich mich dafür poliert, damit alle anderen matt auf der Strecke bleiben, und wenn nötig irgendwas von Friktionalität gefaselt. Aber alles in allem war es nur ein versehntlicher Moment der Unaufmerksamkeit.
Da ruft doch tatsächlich mein ehemaliger Professor an, Jahre nach meiner letzten Prüfung und bietet mir einen Job an. All diese Jahre hatte er mit befristeten Stellen an der Universität zugebracht und auf eine Anstellung als ordentlicher Professor gehofft, doch mit Verweis auf stets leere Kassen werden selbst gute Lehrer nicht gebraucht. Immerhin sei er durch Beziehungen kürzlich an einem kleinen soziologischen Institut untergekommen, sagt er mir am Telefon. Jetzt hätte er Fördergelder eingetrieben und könne damit ein paar Stellen schaffen, die er nun mit seinen besten Schülern besetzen wolle. Die Besten sind wohlgemerkt immer jene, die sich mit einem Professor oder sonst wem zumindest meistens einverstanden zeigen, eben eine erlesene Runde von Gleichgesinnten.
"Das klingt nach Vetternwirtschaft.", meine ich.
"Netzwerk.", nennt er das.
Ob ich Interesse an seinem Angebot hätte, fragt er, als wolle er einen Witz machen, aber er weiß ja nicht, dass ich mich von einem miniaturisiertem Job zum nächsten hangle. Nachdem er aus mir einen Doktor der Sozialwissenschaften gemacht hat, denkt er zwangsläufig, aus mir wäre etwas anderes geworden, als eine empörte Aushilfe. Trau mich gar nicht, ihm das zu sagen, keine Ahnung, vermutlich ist es mir peinlich. Bemüht ungerührt erkläre ich ihm, ich würde so dies und das machen, nichts wichtiges eigentlich, klar hätte ich Zeit für ein ganz zwangloses Mittagessen. Es sollte ein ganz lockeres Vorstellungsgespräch werden, zwischen Pizza und Pasta oder was das Budget sonst hergibt, mit seinen Kollegen vom Institut, bei denen er einen schweren Stand hätte. Ein Plausch über den Ernst der Zukunft in verkrampfter Entspannung, nichts wichtiges eigentlich, kein Problem, eine einfache Sache, eine Formalität.
Nach dem Telefonat irrte ich eine Weile im Höhenflug. Völlig abgehoben, vermeinte ich, wieder wer zu sein oder endgültig wer zu werden, auf jeden Fall irgendwie irgendwer ging ich auch aufrechter. Mein СКАЧАТЬ