Название: Am Rande. Eine Bemerkung
Автор: Anna Lohg
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783742722935
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Das war der Schrecken, der sich deutlich auf Deinem Gesicht abgezeichnet hatte, als sei Dir eine feste Überzeugung entglitten. In dem Moment dürfte Dir ebenso die soziologische Tragweite Deiner Entscheidung bewusst geworden sein, als hättest Du es gesehen, wie sich die gesellschaftlichen Kreise schließen und wie sie gleichsam ausgrenzend wirken. Zumindest habe ich es so gedeutet, als Du mich fragtest, ob ich auch einen Cognac möchte. Der sollte wohl den bitteren Beigeschmack übertünchen. Doch wohin mit all den schönen sozialen Wissenschaften, wenn diese junge Frau, selbstsicher, aufgeschlossen und wunderbar ungetrübt, Dich einfach nur an Deine Tochter erinnert hat? Beide fast gleich alt, beide aus gutem Haus, beide gut erzogen und Du wärest zu dem geworden, der Du nie sein wolltest. Prosit, es möge nützen.
Wie gesagt, ich wusste schon lange vor dem Cognac, dass ich die Stelle, die Du mir angeboten hattest, nie antreten würde. Nicht, dass mir das einerlei gewesen wäre, lediglich klar. Denn manche Figuren ziehen notgedrungen die Arschkarte, wenn eben solche im Spiel sind. Und weil es davon immer mehr gibt, ist es gar nicht mehr ungewöhnlich quasi am Arsch zu sein, inzwischen verschiebt sich der Durchschnitt dahin. Von daher kann ich mich ganz lässig zu den durchschnittlichen Verlierern zählen, was vor ein paar Jahrzehnten noch die Spießbürger waren, friedfertig, selbstvergessen und prall im Mittelmaß. Noch jene halbwegs zufriedenen Bürger, die von einer selbsternannten Avantgarde gerne als bieder tituliert wurden, um selbige sodann zum banausigen Publikum zu erklären, welches unbedingt belehrt werden muss, als gelte es die Zufriedenheit auszutrieben, weil die bloß langweilig wäre. Doch Spießbürger kann sich heute niemand mehr leisten, weswegen es auch keine Avantgarde mehr gibt, da selbige sich ohne Publikum langweilt. Zum Glück gibt es dafür jetzt ganz viele arme Leute, an denen es sich bei einem Galadiner für die Wohltätigkeit erfreuen lässt. Etwa beim fünften Teller angekommen, spätestens beim Dessert, lässt es sich dann genüsslich und durchaus sehr verständig über den Hunger auf der Welt parlieren.
Soweit also alles keine Rede wert, meine Güte, hättest Du mir diese vermaledeite Absage wie auch immer zukommen lassen, mir wäre wenigstens die Freude geblieben, darüber, dass Du an mich gedacht hast, wie an mich geglaubt. Die Stelle dann doch nicht zu bekommen, hätte ich als ganz normalen Misserfolg in Zeiten statistischer Verschiebungen abtun können. Statt dessen hast Du mir Zeit zum grübeln spendiert, grübeln über den Grund der ausbleibenden Absage, über diese Stummheit, die mich vielleicht frustrieren würde, könnte ich sie denn begreifen. Dass Du keine Absagen verteilst, wäre leicht zu erklären, wenn Du eine empfindsame Seele wärest, aber Du doch nicht, denn jene, die sich nach oben beißen, sind selten zartbesaitet. Auf Dein Schweigen ist mir also kein guter Reim eingefallen, wiewohl das Hirn so lange reimt bis Alles einen scheinbaren Sinn ergibt. Bis an die Grenze des Wahns wird fleißig gereimt, um auch das Unerklärliche zu erklären, deswegen gibt es Gott, der letzte Beweger als Beruhigung gegen ratlose Verwunderung.
Und mir blieben nach übermäßigem Reim nur die fehlenden Manieren übrig, als einzige Erklärung für Dein beharrliches Schweigen, scheine ich Dir wohl peinlich geworden zu sein. Zumal mir fehlende Manieren schon beachtlich oft vorgehalten worden sind, bloß weil ich nicht darauf achte, mit welcher Hand ich das Messer halte. Ehrlich, sollte ich Dich damit enttäuscht haben, dann tut es mir leid, auch mir kommt es manchmal so vor, als wäre ich mitten in einem Schönheitswettbewerb aufgewacht und mir ginge völlig der Ehrgeiz ab, mich als Karamelbonbon zu begreifen. Wirklich, das tut mir leid, aber Manieren? Meintest Du wirklich Manieren? Genau die seifige Oberfläche, auf der getrost jemand verhungern darf, dabei aber gefälligst das Besteck richtig halten soll. Sittenwächter einer Zivilisation in der wir uns um jeden Preis Konkurrenz machen, dabei aber tunlichst auf blasierte Attitüden achten sollen, um möglichst irgendeinen vorgeblich humanen Anschein zu wahren. Und ich Trottel dachte, es ginge darum, die Keulen einträchtig miteinander zu teilen. Aber es ist und bleibt ein aberwitziges Missverständnis zu glauben, Zivilisation meine einen verständigen Umgang zur friedfertigen Erhaltung der Gattung. Mit Zivilisation ist offensichtlich nichts anderes als der feine Unterschied zu den Barbaren gemeint, zu jenen, die ihre Teller auslecken, weil sie Hunger haben. Es ist nur ein weiteres Wort, um sich, ach so fein, zu unterscheiden, aus dem üppigen Vorrat der Unterscheidungen wie Klasse, Religion, Nationalität, Rasse, Geschlecht, Aussehen, Statur, inzwischen auch ganz selbstverständlich als Leistung vermessen. Beharrlich halten wir an der Idee der feinen Auslese fest, sortieren wie die Besessenen, ständig auf der Suche nach dem besseren Menschen, den es so gewiss nie geben wird.
Na ja, ich denke, solange noch alle naselang die feinen Unterschiede gemacht werden, kriegen wir das mit der friedlichen Zivilisation sowieso nicht hin, bis dahin bleibt es wohl bei dieser ausgefeilten Party zur Kür des größten Affen. Kann aber auch sein, dass ich bei irgendeiner Gelegenheit vom Pfad in die Zivilisation abgekommen bin.
Eine Bemerkung.
Irgendwo in der Eifel, da liegt ein Ort vergessen zwischen Hügeln, da bin ich geboren. Hinter Wäldern, als sei es ein dichter Vorhang. Und dieser Ort ist, wie jeder andere, durchaus erwähnenswert.
Einst, Jahrhunderte ist es her, da zogen ein paar römische Legionäre durch jene verlassene Gegend, auf ihrem strammen Marsch ein Imperium zu gründen. Auf dem Weg dahin pflasterten sie Pfade, fleißig, diszipliniert und pflichtbewusst, eben typisch italienisch. Ach ja, und ungeheuer selbstlos, liessen sie sich doch dazu herab, den Barbaren hinter den Wäldern die gelobte Zivilisation zu bringen. Allerdings war die Gegend schon damals so dermaßen verlassen, dass sie schnell durchzogen, die hatten sich entweder verlaufen oder fanden es nicht lohnend, die drei anwesenden Waldschrate zu imperialisieren, meint zu zivilisieren, werden die Barbaren heutzutage ja demokratisiert. Wenigstens haben die römischen Legionäre gepflasterte Pfade hinterlassen, auf denen das Unheil dann bequem seinen Lauf nehmen konnte, als nur wenige Jahrhunderte später auf den mittlerweile ausgetrampelten Pfaden ein paar Idioten lang latschten. Plötzlich, so muss es gewesen sein, blieben sie stehen. An dieser Stelle fließt ein Bach, als hätte er eine enge Schlucht in die Landschaft gerissen, ist er von je gleich großen Hügeln umgeben.
"Schatz, ich kann nicht mehr."
"Mensch, Kunigunde, ich hab dir gesagt, du sollst dir andere Schuhe anziehen." Kuno wird verständnislos den Kopf geschüttelt haben, über Kunigunde im Besonderen und Frauen im Allgemeinen. Ihm die Sache mit den gleichen Rechten für Frauen und Männer zu erklären, würde ein hartes Stück Arbeit werden und noch weitere Jahrhunderte in Anspruch nehmen. So ganz hat er es immer noch nicht verstanden, sie übrigens auch nicht. Vorerst jedoch schaute sich Kuno um, nach der langen Wanderung durch das schmale Tal, schien der Jammer sobald kein Ende zu nehmen. Es dürfte ihm folglich entgangen sein, dass nur einen Hügel weiter, quasi um die Ecke, das Tal auf eine Anhöhe führt, die einen Blick in die hügelige Weite gestattet.
"Gut.", wird er gesagt haben. "Dann bleiben wir hier und bauen eine Burg." Und gründen ein immerwährendes Reich, denn für weniger baut niemand eine Burg, schließlich hatte den Römern in dieser Gegend für ein Imperium ein gepflasterter Pfad gereicht. Wahrscheinlich aber wollte Kuno mit der Reichsgründung bloß Kunigunde beeindrucken, mit aufgeblähter Brust, getrecktem Hals und erhobener Nase wird er ihr gesagt haben, für eine Burg sei dies ein unheimlich geostrategisch günstiger Fleck.
Im Nachhinein mag das völlig bescheuert erscheinen, auf einem Hügel umgeben von Hügeln, in einem gottverlassenen Niemandsland ein Reich zu gründen. Aber es herrschten technisch noch äußerst rudimentäre Verhältnisse, СКАЧАТЬ