Am Rande. Eine Bemerkung. Anna Lohg
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Название: Am Rande. Eine Bemerkung

Автор: Anna Lohg

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

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isbn: 9783742722935

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СКАЧАТЬ jeder simplen Schwangerschaft ein durchtechnisiertes Unterfangen geworden ist. Das Sanatorium mussten sie also schließen, doch statt sich artig hinzusetzen und ein für allemal auszustreben, eröffneten die Nonnen frohgemut ein Altenheim. Der Schulmedizin sei Dank, läuft der Laden bis heute ganz prima. Somit steht am Ortseingang von Zweiburgen ein ausgesprochen flexibler, global aufgestellter Konzern, mildtätiger Dienstleister auf dem wachsenden Markt der finalen Pflege, finanziert aus diversen Kanälen und unschlagbar wettbewerbsfähig durch bemerkenswert niedrige Löhne für ein unterwürfiges Personal, ergeben in Dankbarkeit ihrem Herrn dienen zu dürfen. Dieses krass erfolgreiche Konzept, hier im Wald schon lange erprobt, wurde mittlerweile weltweit zum Standard erhoben.

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      Nach dieser bewegenden Geschichte müsste hinter diesem letzten Hügel eigentlich eine glitzernde Metropole voll der blinkenden Werbetafeln mit frohen Botschaften aufwarten, doch auf die letzte Kurve folgt bloß ein Dorf. Aus der Jahrhunderte währenden Anstrengung ist nur ein Nest geworden, wenn auch ein Kreishauptnest. Zweiburgen ist die größte Ortschaft im Umkreis von zahllosen Hügeln, eine hügelweite Bedeutung die sofort ins Auge fällt, wegen der Kirche im Dorf. Umgeben von Häuschen, Scheunen, Stallungen steht alles erschlagend dieser Koloss, mit dem versucht wurde, den Himmel zu erreichen, mindestens aber Gott ein Zeichen zu geben. Dieses Ding mitten im Dorf ist bei weitem keine Kirche, es ist eine Kathedrale, als sei darin jeder dazu angehalten, sich selbst zu krönen.

      Diese Kathedrale gleicht einem zu Stein gewordenen Alptraum, wirken hier sogar die Regenrinnen bedrohlich, wenn an deren Enden teuflische Drachen ins Kupfer gestanzt sind, als könnten sie nur pures Gift speien. Im Inneren, für den der sich gruseln möchte, sind Figuren aufgestellt, große und kleine aus Holz, in deren Gesichter Höllenqualen geschnitzt sind. Dieses Theater des Schreckens wird jedoch unmissverständlich von einem peinlich Gequälten beherrscht, ein Gekreuzigter aus Holz, gehalten mit Nägeln aus Metall an Händen und Füßen, hat er ein Stück Stacheldraht auf dem Kopf, der ihm entkräftet auf der Schulter ruht. Mit treffend roter Farbe sind ihm blutende Wunden gemalt. Dort hängt er tot, wenn er nicht sowieso leblos wäre. Wirklich seltsam aber bleibt, dass dieses Gruselkabinett Heil spenden soll.

      Dort, wie sie da so steht auf diesem Hügel, imposant und abweisend, ist die Kathedrale nur über eine steinerne alte Treppe zugänglich, deren Stufen unmittelbar zum Eingang führen. Hier angekommen, kann von der einen Seite des Ungetüms auf die ältesten Häuser im Dorf hinab geschaut werden, auf der anderen Seite, kaum einladend, verläuft ein schmaler, feuchter Gang an einer hohen Mauer aus bemoosten Steinquadern entlang. Am Ende, in die Mauer eingelassen, findet sich eine weitere Treppe, ist ihr Ziel von unten nicht abzusehen, als führe sie geradewegs in den Himmel. Wer an der finsteren Kathedrale vorbei durch diesen dunklen Gang geht, endlich diese Stufen bezwingt, hat den friedlichsten Ort im Kosmos erreicht. Wer hier oben steht, kann das ganze Dorf sehen, wer hier liegt, tut dies auf ewig in Frieden.

      Zwischen den Gräbern, voll der bunten Blumen und brennenden Kerzen, lässt sich ein herrlicher Ausblick geniessen. Von der Kathedrale ist nur der Glockenturm sichtbar, nachgerade malerisch. Zweiburgen wird zum idyllischen Ort, vom Friedhof aus betrachtet. Und von soweit oben wird deutlich: in dieser von bewaldeten Hügeln förmlich eingekesselten Landschaft lässt sich seriös kein Reich gründen, es gibt nämlich gar keinen Platz für den unvermeidlichen Tand mit dem sich der Größenwahn so gerne schmückt. "Ich und mein ausuferndes Ego, wir sind auserkoren, ein famöses Reich zu führen." Wer an solch ermüdenden Allüren leidet, der will keine Prachtallee, die sich Hügelchen hinauf und hinab schleppen muss, weil dadurch die unabdingbar protzigen Bauten gar nicht zur Geltung kämen. Neben die Kathedrale passt kein Schloss, nicht einmal ein Lustgarten, ganz zu schweigen von opulenten Residenzen für die unausweichlichen Hofschranzen, lässt sich hier höchstens ein Reiterdenkmal einquetschen. Immerhin, denn so ein Ding darf in keinem Reich fehlen: immer derselbe Mann auf immer demselben Pferd, immer wieder eingeschmolzen und immer wieder aufgestellt, mal als Ottokar der Muskulöse, mal als Fridolin der Wackere. Der einzige Grund warum es heutzutage sowas nicht mehr gibt, ist, weil ein Winfried der Verbohrte sich nicht mehr auf ein Pferd setzen möchte und ein Denkmal mit Reiter im Auto keinen Sinn ergibt.

      Bis auf Kunigunde, Kuno und die Idioten vom Hügel gegenüber haben vermutlich wegen der eingekesselten Lage all die anderen frei herum laufenden Reichsgründer diese Gegend, glücklicherweise, großräumig gemieden. Im Schatten anderer Orte mit weniger Glück, weil weniger Hügeln, dort wo die Macht mit Pracht entfaltet werden konnte und famöse Reiche ausgerufen wurden, um frohgemut Krieg zu veranstalten, da hätten die Bewohner von Zweiburgen eigentlich vieles möglich machen können. Unbehelligt zwischen Hügeln hinter dichten Wäldern hätte Utopia einen Ort haben können, Muscheln wären zu Bargeld erklärt worden oder man hätte wenigstens die Selbstbestimmung ausprobieren können oder man hätte das Dorf der freien Liebe ausgerufen, das Strafrecht abgeschafft, das Matriarchat gelebt, zumindest die Gleichberechtigung, in Zweiburgen hätte man es mit Humor angehen können. Aber schon meine Ururururgroßmutter fragte andauernd: "Wo kommen wir denn hin, wenn hier jeder macht, was er will?" Und so macht auch in Zweiburgen, jeder was ein anderer will. Versteckt hinter Wäldern zwischen Hügeln ist der gesamte Kladderadatsch todernst gemeint und die ungeheure Kathedrale mittendrin ist dafür das beredtste Zeichen, sie wirft ihren langen Schatten, auf jeden Versuch es mal anders zu machen.

      In der Mitte des Dorfes, quasi dem Zentrum der Macht, finden sich auch in Zweiburgen all die nötigen Utensilien mit denen gemeinhin Staat gemacht wird: so gibt es hier neben dem Bethaus ein Rathaus, angrenzend hat der Wachtmeister seinen Posten bezogen, während das Wirtshaus nebenan als Handelskammer dient, kam später eine Bank dazu, weshalb bald eine Schule her musste, damit auch der allerletzte Tölpel auf einem Kreditvertrag ein Kreuzchen machen konnte, machte erst jetzt das Postamt Sinn und als die Kräutersammlerin zur Giftmischerin erklärt wurde, konnte eine Apotheke Gewinn abwerfen und gleich gegenüber der Herr Doktor eine Praxis eröffnen. Zusammen genommen bildet dies den inneren Kreis des Dorfes und wer hier dazu gehört, zählt zu den besseren Kreisen, die sich selbst als erlauchte Herrschaften verstehen.

      Dahinter, also außerhalb des Zentrums, quasi der Macht, findet sich schnell die Bäckerei von Johann, gleich neben dem Friseursalon schustert Wilhelm und hier gibt es noch diesen gewissen Laden in dem es restlos Alles gibt. Tante Erna hat ihren Laden an der Ecke nah der Schule und was dort nicht auf den Regalen steht, liegt entweder darunter oder dazwischen. Allerdings liegt Tante Erna inzwischen selbst schwer vermodert auf dem höchsten Hügel, wegen einem Herzinfarkt, der sie ereilte, kurz nachdem ein Supermarkt eröffnet wurde, in dem es noch sehr viel mehr von Allem gibt. Die Bäckerei musste wenig später ebenfalls dicht machen, Wilhem, der letzte Schuster ist dann auch bald gestorben, der Friseur braucht mindestens eine neue Brille und die Briefmarken gibt es jetzt auch im Supermarkt, weil doch das Postamt geschlossen wurde. Und dort wo einst das Bankhaus stand, plätschert heute ein niedliches Wasserspiel. Einzig die Apotheke gibt es noch, wegen dem Altenheim, dort ist jetzt auch der letzte Doktor zu finden, ein Spezialist für die Gebrechen der reiferen Jahrgänge. Weit abgelegen ist nur noch eine Metzgerei übrig geblieben, dort schlachtet der Erich einmal im Jahr eine einzige Kuh, aus Liebhaberei. Alois, der Schreiner, macht inzwischen nur noch Särge und besorgt gleichtzeitig die gesamte feierliche Abwicklung. Und so ist auch Zweiburgen befriedet, halten sich hier alle gewissenhaft an die Hausordnung, das seien die Gesetzte des Staates, weswegen der Wachtmeister endgültig seinen Posten räumen konnte.

      Am Rand des Dorfes hausen entsprechend die ganz einfachen Leute, kaum der Rede wert, es sind meist nur Bauern, müssen die inneren Kreise ja irgendwie genährt werden, die besseren Leuten sich von irgendwas abheben können. Und all die Bauern, sozusagen das niedere Volk, verrichtet die schwere und dreckige Arbeit, pflügt Äcker, melkt Ziegen, baut Burgen, hört sich erschöpft die Moritaten über heldenhafte Figuren an, lässt sich über die feinen Sitten belehren, welche ihm nicht zu eigen wären, hätte es doch sonst nicht so viel Dung an den Schuhen. Und somit gilt: je niedriger das Volk desto höher die Kultur. Eine bessere Gesellschaft gibt es in Zweiburgen soweit auch nicht.

      So bleibt am СКАЧАТЬ