Название: Am Rande. Eine Bemerkung
Автор: Anna Lohg
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783742722935
isbn:
Aber, was soll ich sagen? Eine Absage habe ich bislang nicht bekommen, sehr geehrter Herr Professor, lieber Max. Wie lange ist das jetzt her? Du hast Dich nicht mehr gemeldet und das wundert mich, gelinde ausgedrückt. Sicher, auch ich hätte längst anrufen können, wir hätten höflich ein paar Worte gewechselt und die Sache damit aus der Welt geschafft. Wie zwei Erwachsene hätten wir diese Absage ausgeräumt. So steht das Unausgesprochene noch immer im Raum, mir merkwürdig im Weg, während Dir die Angelegenheit vermutlich zwischen Stapeln an zu bearbeitenden Papieren verloren gegangen ist. Irgendwo zwischen den Zeilen bin ich Dir entfallen.
Es war nett von Dir, mag auch nett nicht das richtige Wort sein, mich diese Ewigkeit nach meiner Prüfung anzurufen, um mir eine Stelle anzubieten, es wenigstens zu versuchen. Dein Anruf versetzte mich eine kurze Weile in Hochstimmung, diese Aussicht auf eine Stelle hinter Büchern, das ist mir immer noch das friedlichste Versteck der Welt. An der Universität konnte ich dieses Getöse vom erklärten Krieg um das beste Produkt noch weitestgehend überhören, zumindest glauben, es hätte nichts mit mir zu tun. Das war mehr als naiv, denn auch im Elfenbeinturm geht es darum, sich selbst als Marke zu begreifen und Forschung als Marketingstrategie mit patentierbarer Erkenntnis. Das Überleben der Gattung scheint von frisierten Quartalsbilanzen abhängig, weswegen Innovation zum Erfordernis wird und nur jene Fragen erlaubt sind, die einen beträchtlichen Gewinn versprechen. So war es vermutlich auch nicht die Neugier, welche den ersten Menschen vom Baum gelockt hat, sondern seine Gier.
Bei diesem tierischen Spiel wollte ich nicht mitmachen, dafür war ich mir viel zu schön, drauf geschissen, auf den Abschluss, all die bunten Titel, mir ist es nämlich scheißegal, wer das größte Geweih hat. Mich interessieren andere Sachen, also verließ ich eilig die Universität, wunder wer weiß, was ich glaubte zu finden. Aber in all meiner schönen Pracht und eiteln Verweigerung musste auch ich von irgendwas leben, so habe ich mich kleinlaut ein ums andere Mal beworben, um irgendeinen verlorenen Posten im akademischen Mittelbau, schließlich habe ich sonst nichts gelernt. Natürlich sollte ich nichts finden, nicht mal eine Stelle zum Papiere sortieren, bleibt ohne Vermarktung oder Beziehungen selbst ein Gewinnspiel aussichtreicher. Und auch im Wettbewerb kann nur gewinnen, wer überhaupt mitspielt. So zogen sie gemächlich an mir vorbei, meine vermeintlichen Chancen, als hätte ich nie welche gehabt. Nebenbei bin ich älter geworden und mit mir meine Studien, wie die abgelaufene Milch im Kühlschrank, mag die jetzt länger halten. Es ist ein Prozess des beschleunigten Verfalls, überholt von der nächsten stets schnelleren Generation. Meine Abschlüsse gibt es heute gar nicht mehr, die sind so schrottig wie ein funktionstüchtiges Telefon, welches vom nächsten Modell eingeholt wurde. Mein Klingelton will heute keiner mehr hören, der ist viel zu schrill geworden, wie Du hörst.
Das war der Stand, als Du angerufen hast: nach meiner letzten Prüfung sollte ich tunlichst den Doktor verschweigen, um wenigstens irgendwo als Aushilfe ein paar Kröten zu verdienen. Sogar in langen Schlangen habe ich angestanden und um Geld vom Staat gebettelt, und wer dort ansteht gilt ja gemeinhin als Schmarotzer. Was soll ich dazu sagen: anderen geht es noch schlechter? Selbst schuld? Schuldig, gierig Bildung konsumiert zu haben und jetzt als lebende Vergeudung dieser Ressource umher zu wandeln? Da wird der Einfall des Humankapitals als beachtlicher Fortschritt gefeiert, obschon sich damit das Leben als Geldverschwendung begreifen lässt und Menschen einfach unrentabel werden können, denn immerhin taugt sonstiger Bioabfall wenigstens als Dünger.
Dein unerwarteter Anruf kam dazwischen wie ein Lichtblick, als gäbe es eine Perspektive. Einzig Perspektiven ermöglichen Hoffnung und die gibt niemand gerne auf, so wenig wie Deine Kollegen ihr Institut aufgeben würden. Da saßen wir also recht locker an diesem Tisch und ich sollte dringlich gefallen, aber damit fange ich erst gar nicht an, soviel Angst habe ich davor, nicht zu gefallen, dass ich mich erst gar nicht darum bemühe. Vielleicht hätte ich mit einer bestechenden intellektuellen Brillanz überzeugen können, nur, wo hätte ich die auf die Schnelle hernehmen sollen? An mir ist partout nichts Besonders, eben wie die meisten, schnöder Durchschnitt. Für Deine Kollegen war es leicht, aber Du konntest diese Absage bislang noch nicht einmal aussprechen. Ehrlich, Absagen können mich nicht mehr erschüttern, die perlen inzwischen an mir ab, dermaßen habe ich mich daran gewöhnt. Im Grunde erwarte ich nichts anderes mehr, mag dies genauso traurig klingen, wie es ist. So ist die noch ausstehende Absage nicht der Grund meines Schreibens, mich beschäftigt eine andere Kleinigkeit.
Es ist ein kurzer Satz, der in meinem Kopf nachklingt. Mag sein, weil Du die Absage bislang nicht ausgesprochen hast, wäre sonst vielleicht auch dieser Satz an mir abgeperlt, über kurz oder lang hätte ich ihn wahrscheinlich vergessen. Doch nun haftet er, wie eine klebrige Angelegenheit.
"Du hast keine Manieren.", hast Du mir gesagt. Ich hätte keine Manieren! Erinnerst Du Dich? Du hast es gesagt, als würdest Du es plötzlich erkennen und als würde Dich Deine Erkenntnis überraschen.
Wir standen uns gegenüber, in Deiner Küche. Das war am Tag meiner Ankunft, kurz nach diesem zwanglosen Mittagessen mit Deinen Kollegen. Du hattest mich in Deine Wohnung begleitet, in welcher ich freundlich übernachten durfte. Danach warst Du noch einmal zurück gegangen ins Institut, denn an diesem Tag würde es noch ein Vorstellungsgespräch geben, das hatten Deine Kollegen vereinbart. Eine junge Frau, frisch von der Universität, würde kommen. Nach Ihrer Bewerbungsmappe war sie Deinen Kollegen als geeignete Kandidatin erschienen, unbefangen, fast möchte ich sagen unbefleckt, eben kein Günstling wie ich. Eine junge Frau vermutlich voller Tatendrang, doch vor allen Dingen wäre sie nach allen Seiten offen, denn sie würde ihre Vorlieben erst noch ausprägen. Das wäre eine faire Wahl, hatte ich mir gedacht, als ich in Deiner Wohnung auf Dich wartete. Du hingegen warst ein wenig genervt fort gegangen, denn Du hattest Deine Wahl doch eigentlich schon getroffen. Das bevorstehende Gespräch schien Dir eine Zeitverschwendung.
Nach ein paar Stunden, in denen ich ausgiebig Deine beeindruckende Sammlung an Büchern bestaunt hatte, warst Du zurück gekommen. Und dann standen wir da, in Deiner Küche. Du an die Küchenzeile gelehnt, ich an den Türrahmen. Während Du durstig ein Glas Wasser hinunter spültest, solltest Du mich betrachten, fast so, als hättest Du es nie zuvor getan. Von oben schautest Du an mir herab: diese Frisur, die keine war, nachlässig mit einem Gummi gehalten bildeten meine Haar oben auf dem Kopf eine Art Pinsel. Dann dieses fein gerippte Hemd, vielleicht ein Unterhemd, wirst Du Dich gefragt haben, und ja, ein Unterhemd. Dann diese Hose, längst aus der Form und viel zu groß. Ja tatsächlich, ich ziehe Jungshosen an, die sind mir zwar zu groß, dafür haben sie Taschen in die mehr hinein passt als nur ein Lippenstift, den ich nicht einmal benutze. Auf diesem allseits gepriesenen freien Markt, der für Geld keine Wünsche offen ließe, finden sich für Mädchen fast ausschließlich Hosen mit einem Witz von Taschen und die obendrein knapp über der Schamhaargrenze einfach aufhören Hose zu sein, wird auf diesem gelobten Markt am СКАЧАТЬ