Название: Mythos, Pathos und Ethos
Автор: Thomas Häring
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783738030754
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"Nur die dümmsten Kälber wählen ihren Metzger selber", hatte der Über-Bayer den Ossis noch hinterhergeworfen gehabt. Entschuldigen wollte er sich für seine Äußerungen auch nicht und das aus gutem Grund. Nicht umsonst wurde darüber spekuliert, Sträuber betreibe die Ossi-Schelte lediglich, um in Bayern ein starkes Ergebnis zu erreichen, damit er nach der Wahl mit seiner CSU auf mehr Stimmen kam wie die FDP. Denn nur in jenem Fall hätte Sträuber die freie Auswahl eines Ministeriums gehabt. Erst einmal verzettelte er sich jedoch in seinem Kampf gegen die Linkspartei: Zunächst erklärte er sich zu einem Fernseh-Duell mit Oswald Afroträne bereit, doch wenig später ruderte er bereits wieder zurück und wollte nur ein Print-Duell haben. Schade, dabei wäre es höchst spannend gewesen zu erleben, was sich Egmont und Oswald so alles an den Kopf werfen; dabei hätten sie doch Beide genüßlich über den Mann, der jeden von ihnen einst besiegt hatte, Bundeskanzler Schräder, herziehen können und sich darob wahrscheinlich bestens verstanden. Im Osten wollte man Sträuber nach seinen Äußerungen nicht mehr sehen, was jenen nicht sonderlich gestört haben dürfte, schließlich hatte er selbst von den Ossis auch schon lange die Schnauze voll. Andrea Gerkel dagegen mußte natürlich schon in Ostdeutschland auftreten und wurde dort, vor allem dank Sträuber, mit lautstarken Pfiffen empfangen. Das würde sie ihm garantiert niemals vergessen.
Ende August 2005: Ganz anders sah es zwei Wochen später auf dem CDU-Jubelkonvent aus, wo alle Ministerpräsidenten die Parteivorsitzende und Kanzlerkandidatin in den höchsten Tönen lobten und sich selbst natürlich auch angemessen rühmten. Jede Menge Klatschvieh hatte man angekarrt gehabt, die Stimmung war bestens, man freute sich auf den Wahltag, da man einen haushohen Sieg der Union erwartete und so wurde auch Egmont Sträuber freundlich begrüßt und fleißig beklatscht. Man war ja schließlich nicht nachtragend und wollte es sich mit dem CSU-Parteivorsitzenden, der durchaus empfindlich sein konnte, nicht verscherzen, in der Hoffnung, er würde sich zukünftig ruhiger verhalten.
Derweil ging es hinter den Kulissen voll zur Sache, denn die Steuerpläne von Raul Kirchdorf, dem designierten Finanzminister der CDU, sorgten für erhebliche Unruhe in den eigenen Reihen. Der "Professor aus Heidelberg" hatte ein radikales Steuerkonzept entwickelt gehabt, das extrem polarisierte, weshalb die Unions-Politiker versuchten, es hinter den eigenen Steuerplänen zu verstecken oder es als "wünschenswert, aber nicht machbar" zu bezeichnen. An den Wahlständen sorgte jedoch die Tatsache, daß die Union auf einmal zwei Steuerkonzepte vorliegen hatte, für jede Menge Konfusion. Nichtsdestotrotz stärkte Andrea Gerkel ihrem neuen Liebling demonstrativ den Rücken, was blieb ihr auch Anderes übrig?
Anfang September 2005: Sträuber dagegen hatte Schwierigkeiten, denn er fand in jenem Wahlkampf seine Rolle einfach nicht. Schräder hatte ihn mit seiner Neuwahl-Entscheidung am meisten von allen überrumpelt und so suchte der weise Mann aus Oberbayern verzweifelt seinen Platz im Wahlkampfteam der Union, ohne fündig zu werden. Am liebsten wäre er natürlich Bundeskanzler geworden und demzufolge als Kanzlerkandidat angetreten, doch das war mit der CDU dieses Mal definitiv nicht zu machen. Von daher mischte er zwar munter mit, hielt sich jedoch an keine Absprachen und wurde so immer mehr zur losen Kanone der Union, bei der man nie wußte, ob sie auf den politischen Gegner oder die eigenen Leute zielte und feuerte. Was für ein Drama! Aber im Grunde war es Sträuber ohnehin egal, wer unter ihm als Kanzlerin oder Kanzler regierte, schließlich hielt er nach wie vor sich selbst für den Allergrößten. Außerdem zweifelten viele in seiner Partei daran, daß er sich in ein Kabinett einfügen könnte, da er es ja seit zwölf Jahren gewohnt war, selber den Ton anzugeben und das Wort zu erteilen oder die ganze Zeit selbst zu reden.
Kaum zu glauben, aber wahr, Andrea kam auch nach Bavaria. So zum Beispiel zum Wahlparteitag der CSU in München, wo sie jener Partei verbal einige Freundlichkeiten zukommen ließ, weshalb sie nach ihrer Rede von dankbaren Bayern so heftig und ausdauernd beklatscht wurde, daß sich sogar König Egmont dazu genötigt sah, auf die Bühne zu steigen, um ihr zu gratulieren. Selbstverständlich war es für die Union unheimlich wichtig, in Bayern ein ausgezeichnetes Wahlergebnis zu erreichen, denn im Süden Deutschlands holten CDU und CSU bekanntlich immer die meisten Stimmen und da Sträuber 2002 über 58 % der Wählerstimmen hinter sich vereinigen hatte können, wollte man drei Jahre später nicht gar so brutal abfallen, auch wenn natürlich klar war, daß die CSU mit einer Kanzlerkandidatin Andrea Gerkel auf gar keinen Fall in solche Regionen vorstoßen würde können, das wußten alle, die ein wenig Ahnung hatten.
Weitaus interessanter für die meisten CSU-Delegierten war ohnehin die Frage, was ihr geliebter Sträuber nach der Wahl zu tun gedachte. Würde er Bayern verlassen, um in Berlin Deutschland auf Vordermann zu bringen? Oder würde er doch lieber ein starker bayerischer Ministerpräsident und CSU-Vorsitzender bleiben, welcher der Kanzlerin zukünftig von München aus viele gute Ratschläge zukommen ließ? Wenn man die CSU-Basis darauf ansprach und nachfragte, dann wurde sehr schnell deutlich, daß die Mehrheit der Leute sich dafür aussprach, daß Sträuber in München blieb und das war durchaus bemerkenswert. Er genoß also weiterhin allerhöchstes Ansehen im Freistaat und schien von seiner Strahlkraft viel weniger verloren zu haben als befürchtet. Oder glaubten die Befragten etwa, Sträuber würde die CSU in Berlin blamieren und rieten ihm deshalb von einem Wechsel in die Hauptstadt ab?
06.09.2005: Es hatte tatsächlich stattgefunden und nun gab es wieder genug zu schreiben über jenes Kanzler-Duell, das da zwei Tage vorher am Abend über die Bildschirme geflimmert war. Schräder hatte gesiegt, so sah es jedenfalls die Mehrheit der Fernsehzuschauer, wenngleich überall hinzugefügt wurde, daß sich Andrea Gerkel ganz tapfer geschlagen hätte. 90 Minuten lang hatten sich die beiden Kontrahenten "duelliert" und 20 Millionen Fernsehgeräte hatten das Spektakel in die deutschen Wohnzimmer übertragen gehabt. Inhaltlich Neues hatte man dabei nicht erwarten dürfen und dementsprechend auch nicht geliefert bekommen. Andrea Gerkel lächelte sich durch die Sendung, um sympathisch und weniger kalt zu wirken, so wie es drei Jahre zuvor bereits Egmont Sträuber himself praktiziert hatte. Schräder war so telegen und professionell wie immer, der Mann hatte einfach eine Affinität zu Fernsehkameras, da machte ihm niemand etwas vor. In den Umfragen, wen die Leute lieber als Kanzler hätten, lag Schräder schon lange wieder deutlich vor Gerkel, nur bei den Parteien haperte es aus seiner Sicht noch etwas. Schwarz-Gelb lag ganz knapp vor Rot-Grün und der Linken, aber da es noch viele unentschlossene Wähler gab, von denen Schräder durch seinen Fernsehauftritt etliche für sich und seine Partei gewonnen haben dürfte, bestand Anlaß zur Hoffnung. Es wurde viel geredet an jenem Abend und ein Mann stand dabei ganz besonders im Mittelpunkt. Raul Kirchdorf, der neue "Steuer-Mann" der CDU, für den Bundeskanzler Schräder der Union gar СКАЧАТЬ