Название: Mythos, Pathos und Ethos
Автор: Thomas Häring
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783738030754
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Bernd und sein Außenminister trafen ein letztes Mal im Kanzleramt aufeinander. "Hallo Ansgar, alte Mischerhaut, na, das Wahlergebnis gut überstanden?" erkundigte sich Schräder gönnerhaft. "Ich glaube schon. Erst einmal Glückwunsch zu Deiner furiosen Aufholjagd, schade, daß es nicht ganz gereicht hat, aber jetzt kommt es wenigstens nicht mehr auf diese Nachwahl in Dresden an, weshalb ich endlich Urlaub machen kann. Ich wollte mich nur noch von Dir verabschieden, weil ich mich jetzt aus der Politik zurückziehen werde", erklärte der Grüne. "Ach, tatsächlich, na ja, irgendwie kann ich das schon nachvollziehen, wieder in die Opposition gehen macht ja auch keinen Sinn, wenn man sieben Jahre lang Minister gewesen ist." "Absolut. Und was wird aus Dir?" "Keine Ahnung. Meine Sozialdemokraten sind ja so was von stolz auf mich und dermaßen begeistert von unserem Wahlergebnis, daß die mich auf der Stelle zu ihrem König krönen würden, wenn sie nur könnten." "Das freut mich, aber perspektivisch betrachtet wird es ja wohl doch eine Große Koalition werden." "Das wissen wir doch alle, aber wir werden für die SPD so viel rausholen, wie nur irgend möglich." "Das kann ich mir gut vorstellen. Na dann, viel Erfolg und alles Gute." "Dir auch, alter Freund."
Weniger freundschaftlich ging es im Hause Sträuber zu. Egmont wütete und giftete in einer Tour, er lief die ganze Zeit unruhig im Haus herum, bis er einmal fast versehentlich mit seiner Frau zusammengestoßen wäre, weshalb ihn jene fragte: "Was ist los mit Dir?" "Ach, die blöde Gerkel hat alles vermasselt. Da verliert die genau die gut drei Prozent, die ich vor drei Jahren dazu gewonnen hatte und dann wird die für so ein miserables Wahlergebnis wahrscheinlich auch noch mit der Kanzlerinnenschaft belohnt. Das Leben ist einfach nicht fair." "Aber freu Dich doch, daß Deine Union endlich wieder an der Regierung ist." "Na toll, zusammen mit den Sozen, etwas Schlimmeres gibt es eigentlich gar nicht, außer natürlich mit den Linken. Und was soll ich jetzt machen?" "Wie wäre es denn mit den Tisch decken?" "Sehr witzig, Kathrin, wirklich sehr witzig. Nachdem die CSU nicht mal 50 Prozent in Bayern erreicht hat, kann ich in den Koalitionsverhandlungen auch nicht auftrumpfen. Diese blöden Diebe von der FDP! Haben überhaupt keine Inhalte und Konzepte, aber fleißig Stimmen klauen, das können sie, diese neoliberalen Schleimscheißer!" "Und ich dachte immer, die von der FDP wären Eure Freunde." "Das hatte ich bislang auch geglaubt gehabt, aber mittlerweile bin ich mir da nicht mehr so sicher. Was mache ich nur? Was mache ich nur?" "Du machst noch Löcher in den Teppich, wenn Du hier dauernd so herumläufst wie ein Huhn, dem sie den Kopf abgeschlagen haben." "Genau so fühle ich mich aber auch. Geh, Kathrin, laß mich allein, ich muß nachdenken." "Sagst Du heute denn gar nicht "Muschi" zu mir?" "Nein danke, mir ist heute nicht nach Gerkeleien, äh, Ferkeleien. Ein andermal wieder." Sie ging ihrer Wege und er grübelte stundenlang weiter im Kreis herum.
21./22./23.09.2005: Die beiden großen Volksparteien hatten nicht lange gezögert, sondern sogleich vollendete Tatsachen geschaffen. Sowohl Gerkel als als auch Mützewirsing wurden jeweils als Fraktionsvorsitzende in ihren Ämtern bestätigt, um keinen Zweifel aufkommen zu lassen, wer Herr, beziehungsweise Frau, im eigenen Hause war. Das war durchaus bemerkenswert, schließlich stand ja noch die Nachwahl in Dresden an. Natürlich war die Stimmung bei der SPD wesentlich besser als bei der Union, doch unabhängig davon war jene die stärkste Partei geworden. Genau das aber zweifelten die Sozialdemokraten auf einmal an, indem sie darauf verwiesen, daß es sich bei CDU und CSU um zwei verschiedene Parteien handele, die sich zwar im Bundestag zu einer Fraktion zusammenschlössen, was ihnen ein Gesetz aus dem Jahre 1969 ermöglichte, aber demzufolge würde die SPD die stärkste Fraktion im Bundestag stellen. Jenes Manöver war natürlich leicht durchschaubar, zielte es doch in allererster Linie darauf, sowohl den Posten des Bundeskanzlers als auch den des Bundestagspräsidenten für sich beanspruchen zu können. Auf den Trick fiel verständlicherweise niemand herein und so ruderten die SPDler, die sich kurzzeitig als schlechte Verlierer sowie "Asozialdemokraten" präsentiert hatten, schnell wieder zurück. Es hatte sich bei der ganzen Geschichte noch einmal um jene Art von Muskelspielen gehandelt gehabt, mit denen Bundeskanzler Schräder bereits am Wahlabend unangenehm aufgefallen war. Jedoch gab es auch in der SPD Stimmen der Vernunft, wie etwa die des Regierenden Bürgermeisters von Berlin, Lowereit, der sich eine Große Koalition, ohne Schräder und unter Gerkel, durchaus vorstellen konnte. Schließlich ging aus dem Wahlergebnis zweifelsfrei hervor, daß CDU/CSU mehr Stimmen bekommen hatten als die SPD und schön langsam hielt jene Realität auch in den Köpfen der Beteiligten Einzug, auch wenn es vielen nicht recht paßte.
Die FDP befand sich in einer denkwürdigen, ziemlich beschissenen Lage. Man hatte zwar ein tolles Ergebnis erzielt gehabt, doch dafür konnte man sich auch nichts kaufen, weil es für Schwarz-Gelb bekanntlich nicht reichte. Bei etlichen Liberalen reichte es wenigstens noch für Schwarzgeld, das war zwar nur ein schwacher Trost, aber immerhin. Guildo Festerbelle erwies sich einmal mehr als der unsympathische Autist, der sich die Welt so bastelte, wie sie ihm gefiel. Das Wahlergebnis ebenso ignorierend wie etliche Sozialdemokraten, wollte er eine Art Koalitionspapier von FDP und Union vorlegen, in der Hoffnung, die Grünen würden dem zustimmen und daraufhin das Dreier- (beziehungsweise Vierer-) Bündnis (kam ganz darauf an, ob man die CSU als eigenständige Partei betrachtete oder nicht) mit der Union und den neoliberalen Wirtschaftsarschkriechern wagen. Außerdem griff Guildo nach dem Fraktionsvorsitz, den bislang noch Wilfried Leerhardt innehatte. Das war so eine Sache, denn jener sollte dem FDP-Parteichef erst zufallen, wenn der Wilfried Außenminister geworden wäre, also ein Tauschgeschäft sozusagen, das ja nach jenem Wahlergebnis nicht zustande kommen konnte. Leerhardt wollte sich nicht "wie ein Hund vom Hof jagen lassen" und betonte, das Wahlergebnis hätte "die FDP nicht allein Festerbelle zu verdanken". Das war unstrittig, doch der machtbewußte Dauerdrängler kannte kein Pardon und pochte weiter auf die Abmachung vor der Wahl, obwohl er seinen Teil von jener überhaupt nicht einhalten konnte. Immer schön autistisch bleiben.
Bei den Grünen ging es auch drunter und drüber, es galt die Fraktionsvorsitzenden zu bestimmen und da Mischer abgedankt hatte, fühlten sich auf einmal alle möglichen Leute dazu berufen, die Partei im Parlament anzuführen. Dazu gehörten selbstverständlich auch die beiden bisherigen Bundesminister Knast und Frittin, doch es gab da auch noch andere Bewerberinnen sowie Bewerber. Bei den Gleichberechtigungsfanatikern von den Grünen ging es selbstverständlich nicht nur darum, daß sowohl eine Frau als auch ein Mann an der Spitze der Fraktion standen, sondern es mußte auch deren politische Ausrichtung stimmen. Das sollte heißen, daß es nur einen Realo und eine Fundi, oder eine Reala und einen Fundi als Gespann geben konnte, alles Andere wäre für die Parteimitglieder unzumutbar gewesen, denn Ausgewogenheit war das A und O, sonst konnte man den Laden gleich zusperren und das hatte man mit acht Prozent Wählerstimmen nun wirklich nicht nötig, ganz im Gegenteil, kraftvolle Oppositionsarbeit war zu erwarten.
"Konfusion in der CSU", hieß es in der SZ und das selbstverständlich nicht ohne Grund. Die CSU-Landesgruppe war von 58 auf 46 Abgeordnete geschrumpft und würde fortan als kleinste Partei im Parlament fungieren. Das bedeutete immerhin, daß die CSU-Abgeordneten ihre kraftmeierische Arroganz, insbesondere gegenüber den CDU-Abgeordneten, ablegen würden, aber wohl fühlten sich die Bajuwaren nicht wirklich. Die Aussicht auf eine bevorstehende Große Koalition mit der SPD machte ihnen durchaus zu schaffen, denn in jener Konstellation würde die CSU nicht wirklich gebraucht werden und konnte sich deshalb auch nicht so viel erlauben. Dazu kam die immer gleiche, nervende und langweilende Frage nach der Zukunft von Parteichef Sträuber. Geht er? Bleibt er? Manche CSUler hätten ihren Egmont wohl am liebsten auf den Mond geschossen, im festen Glauben, von dort würde er bestimmt nicht mehr zurückkehren, aber das war dann irgendwie doch nicht möglich. Nun ja, so harrte man also gedrückter Stimmung der Dinge, die da noch kommen würden und hoffte insgeheim auf bessere Zeiten.
Ach ja und da war dann natürlich auch noch die Schuldfrage. Immer schön brav mit dem Stinkefinger auf die Anderen zeigen, so gehörte sich das. Sträuber machte deutlich, daß einzig und allein Kanzlerkandidatin Gerkel СКАЧАТЬ