Название: Unter der Sonne geboren - 2. Teil
Автор: Walter Brendel
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783966511872
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So wenig wie die Grande Mademoiselle trauerte auch Ludwig um Gaston. Er bedauerte nicht, dass sein Onkel nicht mehr da war. Seine Gegenwart hatte Ludwig immer daran erinnert, dass es eine Zeit gegeben hatte, in der eine andere Generation regierte. Ludwig dachte an die Sagen der Antike, Lektüre seiner Kindheit.
Auch die Götter von einst hatten ihre Vorgänger vom Thron gestürzt, so wie er nun bereit war, den eigenen Vater dem Vergessen preiszugeben und sich nach und nach dem Diktat der Älteren zu entziehen. Ludwig XIV., König von Frankreich: Man vergab ihm seine Kälte ein wenig, als man merkte, dass er sich auf „eine Hochzeit freute.
Anfang Mai brach der Hof in Richtung Süden auf, um an der französisch-spanischen Grenze mit König Philipp IV. zusammen zutreffen und mit seinem kostbarsten Gut, der Infantin Maria Theresia. Ganz Frankreich war beglückt über dieses erfreuliche Ende eines langen Krieges. Doch auch das spanische Volk war erleichtert und überhäufte die Infantin mit Segenswünschen. Während der ganzen Reise von Madrid her gab es herzbewegende Abschiedsszenen, wusste man doch, dass die junge Braut ihr Land für immer verließ. Wenn alles seinen er erwünschten Verlauf nahm, würde Maria Theresia als Königin von Frankreich ihre neue Heimat nie mehr verlassen dürfen. Käme sie dennoch zurück, würde dies bedeuten, dass ihre Ehe aus Irgendeinem tragischen Grund annulliert worden war - eine ungeheure Schande und eine Katastrophe für alle Beteiligten. Doch davon konnte an diesen bittersüßen Frühlingsta-gen keine Rede sein. Zwei Länder waren bereit, aufeinander zuzugehen, und sandten als Zeichen dafür zwei junge Menschen, die mit ihrem eigenen Bund den Friedensschluss verkörpern sollten.
Vor dem gemeinsamen Eheleben standen jedoch Tradition und Protokoll. Eine Infantin von Spanien durfte ihr Land nicht verlassen. Ein König von Frankreich das seine ebenso wenig. So musste zuallererst aus der Infantin eine Französin werden, und dies auf spanischem Boden. Eine Heirat durch Prokuration löste dieses rechtliche Problem. Sie sollte in Fuenterabbia stattfinden, wo Don Luis de Haro den Bräutigam vertreten würde.
Beide Hochzeitsgesellschaften waren inzwischen an der Grenze angelangt. Die Spanier nahmen Quartier in San Sebastian, die Franzosen in Saint-Jean-de-Luz. Ludwig, in Unkenntnis des spanischen Protokolls, versuchte, mit seiner Braut Kontakt aufzunehmen, indem er ihr einen Boten mit einem Brief schickte. Nach großem Hin und Her gelang es dem Boten, zu Maria Theresia vorgelassen zu werden. Man führte ihn in einen Saal voller Menschen. Längst schon hatte er gemerkt, wie unpassend sein Auftrag war.
Trotzdem gelang es ihm, bis zur Infantin vorzudringen. Ehrerbietig verbeugte er sich und wollte ihr das Schreiben überreichen. Sie aber blickte ihn nur entsetzt an. Es war ihm unbegreiflich, in welchem Maße sie sein Ansinnen erschreckte.
„Ich darf ohne Erlaubnis meines Vaters keine Briefe erhalten!“, erklärte sie mit zitternder Stimme. „Doch übermitteln Sie bitte der Königin meine Grüße!“ Der Bote ließ enttäuscht die Hand mit dem verschmähten Brief sinken. Noch einmal verbeugte er sich tief. Da flüsterte ihm Maria Theresia atemlos zu: „Was ich der Königin sage, kann auch für den König gelten.“
Der Bote atmete auf. Beschwingt begab er sich zurück nach Saint-Jean-de-Luz. Auch Ludwig freute sich über die Nachricht. Anna aber jubelte. „Sie liebt Sie, mein Sohn! Es besteht kein Zweifel: Sie liebt Sie!“
Am nächsten Tag, dem 3. Juni 1660, fand die Heirat durch Prokuration in einer einfachen Kirche in Fuenterabbia statt. Der große Velazquez hatte als Hofmaler des Königs das schmucklose Gebäude mit Wandteppichen, Blumen und zahllosen Kerzen veredelt. Die gesamte spanische Hofgesellschaft war anwesend sowie auch ein großer Teil der Franzosen. Ludwig und Anna als königliche Majestäten waren hinter der Grenze im eigenen Land geblieben.
Schon auf dem Vorplatz der Kirche schienen zwei Welten Unvereinbar aufeinanderzuprallen. Die Franzosen prunkten mit Ihren auffallendsten Gewändern, selbst die Herren in vielen bunten Farben. Überall sah man Borten, Federn und Bänder, und Edelsteine blitzten in der Sonne. Die Spanier hingegen schienen zeigen zu wollen, wie sehr sie das übermütige Gehabe und all die schreienden Farben verachteten. Stumm, bleich und bewegungslos wie Statuen warteten sie in der heißen Frühsommersonne auf den Einlass, schwarz gekleidet sie alle, Damen wie Herren, und als sich die Tore öffneten, schienen die Damen mit ihren weiten Röcken in die Kirche hineinzusegeln wie schweigsame Schiffe in einen schattigen Hafen.
Als König Philipp IV. mit seiner Tochter das Gotteshaus betrat, hielten alle den Atem an. Dies also, dachten die Franzosen, war der verfluchte Spanier, den sie jahrelang zur Hölle gewünscht hatten! Dieser hochgewachsene Mann, dünn und farblos wie eine Treibhauspflanze! Als Kriegshetzer und Blutsäufer hatte man ihn verunglimpft.
Erst in den letzten Wochen, auf der Reise nach Süden, hatte man erfahren, dass er Komödien schrieb und die umfangreichen Werke des italienischen Historikers Guichardin ins Spanische übersetzt hatte. Man hatte gehört, dass er eine ausführliche Korrespondenz mit der seherisch begabten Nonne Muria d'Agreda unterhielt und dass ihm nichts eine größere Freude bereitete, als seine Hauptstadt Madrid zu verschönern.
Philipp von Spanien, der einstige Feind. Wie blass er war, als er seine Tochter an der linken Hand zum Altar führte! Im Unterschied zu seinem Gefolge war er in Grau und Silber gekleidet. Auf seinem Hut funkelte ein riesiger Diamant, der „Spiegel von Portugal“. Darüber schimmerte die größte Perle der Welt, die „Pelegrina“. Ein wahrer König!, dachten die Franzosen anerkennend, und so empfanden es wohl auch die Spanier.
Auch die Braut strahlte hohe Würde aus. Sie sei schüchtern und ungeschickt, hatten die Franzosen während der Reise getuschelt. Ihrem Vater gegenüber benehme sie sich mit einer Unterwürfigkeit, die sich eine Französin nicht einmal vorstellen könne. Dass sie pummelig sei, könne jeder sehen. Doch man wisse auch, woher dieser Makel stamme: Wie verrückt sei Maria Theresia nach Naschwerk und Marmelade! Ihr ganzes Verhalten sei einer Prinzessin unwürdig. Ihre Schoßtiere behandle sie wie Kleinkinder, und zu ihrer Unterhaltung umgebe sie sich mit Zwerginnen und Hofnarren. Was aber das Schlimmste sei: Nicht einmal Tanzen habe sie gelernt!
Fast zwanghaft fiel bei solchen Gesprächen der Name Marie Mancini. Wie sollte der König nach dieser sprühenden, geistvollen jungen Frau mit einer Gemahlin leben, die keine eigenen Entschlüsse fasste und nicht einmal als Gesprächspartnerin infrage kam?
Dennoch: Heute, in der Kirche, an ihrem Hochzeitstag, entsprach Maria Theresia in keiner Weise den Klatschgeschichten, die man über sie verbreitete. An der schützenden Hand ihres Vaters bewegte sie sich anmutig und würdevoll. Es schien ihr nicht darauf anzukommen, zu gefallen. Sprachlos bemerkte die Grande Mademoiselle mit ihren zwanzig Reihen Perlen um den Hals, dass die Braut -Tochter eines großen Königs! - ein einfaches weißes Wollkleid trug. Nur ein paar Edelsteine zierten das enge Mieder, doch sonst sah man an der Infantin keinerlei Schmuck.
Die Katholische Majestät führte seine Tochter zum Altar, wo ein Samtkissen für sie bereitlag. Im Schein der Kerzen kniete Maria Theresia nieder, während ihr Vater zur Seite trat. Die Zeremonie begann. Als der Augenblick gekommen war, wo die Braut ihre Zustimmung zur Heirat kundtun sollte, erhob sich Maria Theresia und verbeugte sich tief vor ihrem Vater. „Si“, antwortete sie leise. Trotzdem hörten es alle, so still war es in der Kirche.´
Auch Don Luis de Haro, der den Bräutigam vertrat, sprach sein Ja. Damit war es vollbracht. Maria Theresia, Infantin von Spanien, war nun die Gemahlin des französischen Königs. Mit Tränen in den Augen wandte sie sich ihrem Vater zu, der sie zärtlich umarmte - für die Franzosen eine Selbstverständlichkeit, doch für die Spanier ein Wunder. Noch nie hatte jemand den König so ergriffen gesehen.
Der folgende Tag brachte für Königin Anna eine Begegnung, nach der sie sich gesehnt hatte, seit sie vor fünfundvierzig СКАЧАТЬ