Unter der Sonne geboren - 2. Teil. Walter Brendel
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Название: Unter der Sonne geboren - 2. Teil

Автор: Walter Brendel

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

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isbn: 9783966511872

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СКАЧАТЬ es dann sogar noch schlimmer gekommen. Als Königin von Frankreich durfte sie nicht einmal mehr in familiärer Weise über ihn sprechen. Philipp, mit dem sie als Kind gespielt und gelacht hatte, war am französischen Hof für jeden außer ihr ein Monstrum, fast so schlimm wie der Teufel selbst.

      Nun aber würde diese schwere Zeit ein Ende haben. Schon Tage vor dem ersehnten Zusammentreffen hielt die Königin den Atem an, wenn sie an das bevorstehende Wiedersehen dachte. Sie freute sich über alle Maßen und konnte es kaum erwarten.

      Zugleich aber hatte sie Angst davor. Als junges Mädchen hatte Philipp sie zuletzt gesehen. Nun aber war sie eine Frau von bald sechzig Jahren. Natürlich würde er sie erkennen, wenn sie ihm gegenübertrat. Doch würde er sie auch wiedererkennen? Würde er in dem Gesicht einer reifen Frau die kindlichen Züge wiedererkennen, die ihm einst vertraut gewesen waren? Oder würde er bei Ihrem Anblick erschrecken über die Spuren des langen Lebens, das zwischen der letzten Begegnung und dem Wiedersehen lag? Noch nie hatte Anna eine so lange Zeit vor dem Spiegel verbracht wie an jenem Morgen. Jeden Handgriff ihrer Zofe verfolgte sie und griff ein, wenn das immer noch goldblonde Haar im nicht genau so festgesteckt wurde, wie sie es wünschte. Dabei beugte sie sich immer wieder vor, um ihr Gesicht im Spiegel zu betrachten.

      Vor Aufregung hatte sie in der vergangenen Nacht schlecht geschlafen. War ihr der Mangel an Ruhe anzusehen? Und ihre Wangen? Waren sie fest genug? Rosig genug? Bin ich schön?, dachte Anna voller Sorge. Bin ich immer noch schön?

      Mit einem Boot gelangten Anna und ihr Hofstaat auf die Fasaneninsel in der Bidassoa. Vor einem Jahr hatte hier die Friedenskonferenz begonnen. Noch immer war die kleine Insel durch eine gewaltige Palisade in einen spanischen- und einen französischen Bereich geteilt. Während den Verhandlungen waren die beiden Delegationen häufig in Streit geraten. Die Spanier übten sich in Hochmut, die Franzosen in Ironie, beide so lange, bis Degen gezogen wurden und die mühsam aufrechterhaltene Friedensbereitschaft zu zerbrechen drohte. Es war das Verdienst von Mazarin und Don Luis de Haro, dass sich die Wogen immer wieder glätteten und als letzte Konse-quenz nun die königliche Hochzeit gefeiert werden konnte.

      Die Begegnung der Geschwister fand in einem Konferenzsaal statt. Von beiden Seiten hatte man riesige Teppiche entrollt. Der schmale Zwischenraum in der Mitte war die Grenzlinie zwischen Frankreich und Spanien, für beide verbotenes Gebiet. Anna und Philipp hatten jeder im eigenen Königreich zu bleiben.

      Das große Gefolge der katholischen Majestät stellte sich auf der einen Seite auf, die Franzosen auf der anderen. Der Einzige der fehlte, war Ludwig. Erst bei der zweiten Trauung, der „richtigen“, sollte ihm gestattet sein, seine Braut zu sehen und von ihr gesehen zu werden. Maria Theresia allerdings war anwesend, ging es bei dieser Begegnung doch auch darum, sie mit ihrer Schwiegermutter bekanntzumachen.

      Ludwig war neugierig. Wenigstens einen Blick wollte er auf seine Gemahlin werfen. Sogar Anna staunte, wie sehr er sich auf das junge Mädchen freute. Trotzdem hatte es verzwickter diplomatischer Winkelzüge bedurft, bis Philipp endlich die Erlaubnis erteilte, sein Schwiegersohn dürfe vor dem Fenster des Konferenzsaals vorbeireiten und hereinschauen. Auch Maria Theresia wurde gestattet, dabei den Blick nicht zu senken, sondern ebenfalls zu ihm hinzusehen. Kopfschüttelnd dachten die Franzosen an die Freizügigkeiten von Ludwigs lebenslustigem Großvater Heinrich IV. Hätte er sich wohl mit so viel Strenge abgefunden?

      Noch wusste niemand, dass auch Ludwig nicht bereit war, sich dem Diktat seines Schwiegervaters so vollständig zu unterwerfen. Als sich die Delegationen bereits im Konferenzsaal versammelt hatten, ließ er Mazarin ein Schreiben überreichen, indem er ihm mitteilte, er werde nicht nur vorbeireiten, sondern als „unbekannter Fremder“ bis zum Tor kommen, das man ihm auf sein Klopfen hin öffnen möge. Nachdem Mazarin den Brief gelesen hatte, lächelte er und nickte dem Boten zu.

      Nun wurde es still im Saal. Durch die eine Tür trat die Katholische Majestät in den Konferenzsaal, durch die andere die Königinmutter von Frankreich. Jeder in seinem eigenen Land, gingen sie über die Teppiche aufeinander zu. Dabei ließen sie einander nicht aus den Augen. Schon nach wenigen Schritten schien die Zeit für sie still-zustehen. Anna war wieder die rosige kleine Infantin, die ihren Bruder anhimmelte, und Philipp der allzu ernste, gehemmte Prinz, der die Krone mehr fürchtete als begehrte.

      Vor der Ritze zwischen den Teppichen blieben sie stehen. Beide hatten Tränen in den Augen. Da konnte Anna nicht anders: Über die Grenze hinweg beugte sie sich nach vorn, um ihren Bruder nach langer Zeit endlich wieder in die Arme zu schließen.

      Doch Philipp zuckte zusammen und wich zurück. Gleichzeitig erinnerte sich Anna, wie anders als in Paris die Sitten in Madrid waren. Sie begriff sofort, dass sie in den Augen ihres Bruders eine unerhörte Vertraulichkeit begangen hatte, die ihn vor seiner Begleitung beschämte. So zog sie sich hastig wieder zurück und nahm ganz unwillkürlich die steife Haltung an, die man sie einst gelehrt hatte und für die man in Frankreich kein Verständnis aufbrachte. „Ich bin glücklich, Sie wiederzusehen, Majestät!“, versicherte sie mit beherrschter Stimme in spanischer Sprache.

      Ihr Bruder stimmte ihr zu. „Viele schwere Jahre liegen hinter uns.“ Er murmelte das Wort „Krieg“ und wurde dann ganz unerwartet von einer heftigen Erregung mitgerissen. „Es war ein Werk des Teufels!“, rief er. „Wir haben es nie so gewollt.“

      Anna nickte. „Ja, Majestät!“, stimmte sie zu. „Ein Werk des Teufels. Doch am Ende hat Gott gesiegt.“

      In diesem Augenblick hörte man Hufgetrappel. Alle starrten zum Fenster und fingen an zu lachen, als sie Ludwig erkannten, der vorbeiritt. Maria Theresia errötete so sehr, dass alle meinten, gleich müsse sie umsinken.

      Die Anspannung, die bisher den Raum beherrscht hatte, löste sich. Die Franzosen lachten und scherzten, und sogar die Spanier erwachten aus ihrer Erstarrung.

      Plötzlich klopfte es an die Tür, laut und energisch. Wie abgeschnitten brach der Lärm ab. Ein Edelmann, der eingeweiht war, öffnete die Tür und meldete mit lauter Stimme einen „unbekannten Fremden“. Alle wussten genau, wer dieser Fremde war. Doch mit großem Vergnügen machte man das Spiel mit und fragte die anderen, wer das da draußen nur sein könne. Noch nie zuvor hatten sich Franzosen und Spanier so gut miteinander verstanden. Alle amüsierten sich und waren neugierig, wie es nun weitergehen würde.

      Der Edelmann trat beiseite, damit der unbekannte Fremde gesehen werden konnte. Mit lautem Oh! und Ah! heuchelte man Verwunderung, als man entdeckte, dass es der französische König selbst war, der jedoch ohne einzutreten auf der Schwelle stehen blieb.

      Maria Theresias Gesichtsfarbe wechselte erneut. Sie war nun auf einmal ganz blass und zitterte. Da ihr die Regeln des Zeremoniells zur zweiten Natur geworden waren, wusste sie, dass sie auf keinen Fall sprechen durfte. Doch sie hätte ohnedies nicht gewusst, was sie sagen sollte.

      Ihr Vater musterte Ludwig mit strenger Miene. Dann schmunzelte er plötzlich. „Ein schöner Schwiegersohn!“, sagte er anerkennend zu Anna. Er nickte zufrieden. „Wir werden viele Enkelkinder haben.“

      Anna lachte erleichtert und strahlte vor Stolz und Glück. „Das werden wir, Majestät. Ganz bestimmt.“ Sie wandte sich an Maria Theresia. „Mein liebes Kind“, sagte sie zärtlich, „was halten Sie von dem unbekannten Fremden?“

      Wieder errötete Maria Theresia. Hilfesuchend blickte sie auf ihren Vater.

      Er stand ihr bei. „Das ist nicht der richtige Augenblick für eine solche Frage!“, erklärte er streng. Die Franzosen murrten enttäuscht. Doch Philippe, der neue Herzog von Orleans, wollte nicht, dass sein Bruder ohne Antwort entlassen wurde. „Liebe Schwester“, sagte er mit seinem schelmischen Lächeln, „sagen Sie mir bitte: Wie gefällt Ihnen die Tür?“

      Maria СКАЧАТЬ