Название: Unter der Sonne geboren - 2. Teil
Автор: Walter Brendel
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783966511872
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Ludwig suchte nach einer Antwort, doch er fand keine. Da drehte er sich um und eilte hinaus. Mazarin blieb zurück. Mit einem leisen Stöhnen strich er über seine Waden, die ihn so sehr schmerzten, dass er manchmal dachte, so müsse man sich im Fegefeuer fühlen. Für kurze Zeit schloss er die Augen. Dann seufzte er und wandte sich wieder seinem Entwurf des Friedensvertrags zu, der nach dem Wunsch der Katholischen Majestät erst nach der Hochzeit von Ludwig und Maria Theresia in Kraft treten sollte.
Politische Pläne
Es war, als hätte man eine brennende Fackel in einen ausgedörrten Heuhaufen geworfen. Geschrei und Tränen überall. Am schlimmsten gebärdete sich Königin Anna, die alle Schuld auf Marie häufte. „Ich weiß, es sind Ihre Nichten, mein Lieber!“, fiel sie über Mazarin her. „Aber das allein sagt noch nichts über ihren Charakter aus.“ Sie raufte sich buchstäblich die Haare. „Erst Olympia, die war schon schlimm genug! Aber sie spielte wenigstens nicht die kühle Preziöse. Bei ihr wusste man, woran man war. Doch Marie! Mein Gott, wer hätte gedacht, dass mein armer Ludwig auf so etwas hereinfällt!“ Sie sank auf ihr Sofa. „Wir sind alle viel zu gutmütig. Die Medici-Frauen hätten gewusst, wie man mit einem derartigen Problem fertig wird.“ Sie winkte ab. „Ja, ja, mein Freund. Ich höre schon auf. Trotzdem müssen wir der Sache ein Ende setzen. Sofort und für immer.“
Doch auch Marie entfesselte die italienische furia, für die ihre Familie berüchtigt war. „Sind Sie der König, oder nicht?“, fragte sie Ludwig und brach in Schluchzen aus. „Mein Onkel ist Ihr Minister, sonst nichts. Was Sie befehlen, hat er auszuführen. Wenn er das nicht einsieht, muss er eben gehen.“
Ludwig, um den sich alles drehte, stand zwischen den Fronten. Er warf sich seiner Mutter zu Füßen und schilderte ihr seine Liebe.
In seiner Gegenwart wagte Anna nicht, sich gegen Marie zu äußern. Sie führte ihm nur die politischen Folgen seines Handelns vor Augen. Dann brach auch sie weinend zusammen und überließ Mazarin das Schlachtfeld. Der erinnerte sich inzwischen daran, dass ihn seine Schwester immer schon vor Marie gewarnt hatte. „Sie ist als Störenfried geboren!“, sagte er zu Ludwig, der es inzwischen aufgegeben hatte, seine Tränen vor ihm zu verbergen. „Sie ist von Ehrgeiz besessen, jähzornig und ohne Rücksicht auf andere. Sie hat tausend Fehler. Mir fiele keine einzige Eigenschaft ein, die sie der Ehre Ihres Wohlwollens würdig machte, Sire!“ Danach beging er den Fehler, mit seinem Rücktritt zu drohen.
Ein gefährliches Schweigen entstand. Anna, die auf ihrem Sofa leise vor sich hin geweint hatte, horchte auf. Auch Ludwig wusste erst keine Antwort. Dann wurde er plötzlich ganz ruhig. „Machen Sie, was Sie wollen, Eminenz!“, antwortete er kühl. „Wenn Sie unsere Angelegenheiten nicht mehr führen wollen, gibt es genügend an-dere, die es gern tun werden.“ Damit verließ er den Raum. Von draußen hörte er, wie seine Mutter aufschrie und beschwörend auf den Kardinal einredete.
Zur gleichen Zeit wurden die Verhandlungen mit Spanien weiter gerührt. Auch hier ging es drunter und drüber. Man feilschte um Grenzgebiete, um Provinzen und Städte und um das Schicksal des Großen Conde, dem sich Spanien verpflichtet fühlte. Für Mazarin war er nur ein Verräter. Trotzdem würde man ihn wohl in allen Ehren wieder aufnehmen müssen. „Das alles ist zu viel für mich!“, sagte Mazarin eines Abends zu Nicolas Fouquet, der darauf drängte, den Friedensvertrag endlich zu unterzeichnen. „Wir können uns diesen Krieg nicht länger leisten, Eminenz!“, sagte er. „Meine Kreditgeber verweigern mir schon die Zusammenarbeit. Wie kommt es, dass plötzlich wir die Spanier hinhalten?“
Mazarin schilderte ihm Ludwigs leidige Liebesgeschichte. Nicolas hörte ihm kopfschüttelnd zu. „Der arme Junge!“, murmelte er. Mazarin fuhr auf. „Sie haben doch wohl nicht Verständnis für eine solche Dummheit?“, rief er. Nicolas zuckte die Achseln. „Für die Dummheit schon, Eminenz. Doch ich hätte kein Verständnis, wenn Sie sie zuließen.“ Er schüttelte den Kopf. „Diese Heirat ist unmöglich. Seine Majestät muss darauf verzichten. Trotzdem zeigt er uns mit seiner Unvernunft, dass er ein Mensch ist, der lieben kann. Wir sollten für ihn da sein.“
Mazarin starrte ihn finster an. „Sie sind mir keine Hilfe, Monseigneur!“, murrte er. „Zumindest nicht in dieser Angelegenheit.“ Dann begab er sich in Ludwigs Gemächer und teilte ihm mit, er könne nicht mit ansehen, wie Ludwig das Werk seiner Väter zer-störe. Sollte er nicht auf diese Heirat verzichten, werde er, Kardinal Jules Mazarin, mit seinen noch unverheirateten Nichten Frankreich verlassen und nach Italien ziehen. Als Maries Vormund werde er ihr eine Heirat mit dem König verbieten. Nur so sei Frankreich noch zu retten.
Ludwig hatte nächtelang nicht geschlafen. Er war erschöpft und niedergeschlagen. Wenn er Marie traf, lagen sie einander in den Armen und schworen sich ewige Liebe. Doch gleich danach überkam sie wieder die Verbitterung über den Widerstand, mit dem sie nicht gerechnet hatten. Sie überboten sich in Angriffen auf die Königin und den Kardinal, bis es ihnen selbst zu viel wurde und sie anfingen, aneinander zu leiden. So gingen sie für kurze Zeit auseinander, und Ludwig begab sich wieder zum Kardinal, obwohl sich seit dem letzten Gespräch nichts geändert hatte.
Doch auch Mazarin konnte nicht mehr. „Ich schäme mich schon vor meinen spanischen Gesprächspartnern, Sire“, erklärte er müde. „Sie drängen auf Klarheit, und ich vertröste sie nur.“ Er legte die Lupe aus der Hand, die er in letzter Zeit zum Lesen benötigte. „Ich brauche eine bindende Entscheidung von Ihnen: Soll ich die Frie-densverhandlungen fortführen oder nicht? Verstehen Sie mich recht, Sire: Friedensverhandlungen bedeuten immer auch Verhandlungen über den Heiratsvertrag. Auf etwas anderes lässt sich König Philipp nicht ein.“ Er senkte den Kopf. „Es tut mir leid, mein Lieber. Nie im Leben hätte ich gedacht, dass ich in eine solche Situation kommen könnte. Auch Ihnen hätte ich mehr Glück gewünscht.“ Er blickte Ludwig in die Augen. „Aber es geht nicht anders, verstehen Sie mich? Es geht nicht anders.“
Ludwig schwieg lange. Dann nickte er. „Machen Sie weiter wie bisher, Eminenz!“, bestimmte er. Seine Lippen zitterten.
Mazarin atmete auf. „Und Marie?“, fragte er. „Die Spanier wissen genau, dass Sie sich immer noch mit ihr treffen.“
Ludwig kämpfte mit sich. „Wir werden uns für kurze Zeit trennen“, gab er nach. „Vielleicht nicht für immer. Und wir werden uns schreiben, sooft wir wollen. Darauf bestehe ich.“ Er meinte, gleich müssten ihm wieder die Tränen kommen wie so oft in den vergangenen Tagen. Doch nichts geschah.
Er war nur müde. Entsetzlich müde und traurig. Dein Reich, o Liebe, ist ein grausames Reich!, dachte er.
Am nächsten Morgen, es war der 22. Juni 1659, führte Ludwig Marie zu ihrer Karosse. Er half ihr beim Einsteigen und blieb dann noch lange bei ihr stehen. Er blickte in ihr Gesicht, das ihm so vertraut und kostbar erschien wie kein anderes auf der Welt.
Marie schaute zu ihm hinunter. „Ach, Sire“, sagte sie leise. „Es ist eine verkehrte Welt. Sie sind der König, Sie weinen, und ich gehe.“
Der Kutscher schloss den Wagenschlag. Marie steckte ihre Hand durchs Fenster. Ludwig griff danach und hielt sie fest. Da gab Marie dem Kutscher ein Zeichen und riss sich los. „Ich bin verlassen!“, rief sie, als der Wagen davonfuhr.
Ludwig blieb zurück. Alles schien ihm verloren. Er ließ sich sein Pferd bringen und ritt stundenlang durch den Wald. Danach kehrte er zurück und schrieb den ersten von unzähligen Briefen, die Marie aus ihrer Verbannung mit Hortense und Madame de Venel alle beantwortete.
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