Название: Unter der Sonne geboren - 2. Teil
Автор: Walter Brendel
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783966511872
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Gegen Abend verließen die königlichen Gäste die Insel wieder. Im Boot der Katholischen Majestät nahm man eine wertvolle frühe mit, die Ludwig an seine Braut geschickt hatte. Sie war voll mit Juwelen und anderen kostbaren Überraschungen. Philippe von Orleans hatte sie überbracht. Nachdem er sie Maria Theresia zu Füßen gestellt hatte, wartete er darauf, dass seine Schwägerin sie öffnete. „Dürfen wir Ihre Freude miterleben, liebe Schwester?“, fragte er lächelnd.
Doch Maria Theresia hatte sich wieder auf das besonnen, was man sie gelehrt hatte. Sie schüttelte den Kopf und erklärte leise, das wäre nicht passend. Mit einer Handbewegung bedeutete sie ihren Hofdamen, sich um den Transport der Truhe zu kümmern. Enttäuscht kehrte Philippe auf die französische Seite zurück. Er konnte nicht ahnen, mit welcher übermütigen Freude seine Schwägerin am Abend ihre Präsente auspackte. Sie legte die Schmuckstücke an, drehte sich vor dem Spiegel und schwärmte ihren Damen vor, wie wunderbar ihr Gemahl sei und wie sehr er sie lieben müsse, um ihr solche Geschenke zu machen.
Die ganze Nacht konnte sie nicht schlafen. Bis weit nach Mittag blieb sie in ihrem Bett liegen, während ihr Vater und ihr Gemahl nun ganz offiziell auf der Fasaneninsel zusammentrafen, um vor dem Abschied noch einmal den gemeinsamen Frieden zu bekräftigen.
In der Mitte des Konferenzsaals hatte man einen niedrigen Tisch aufgestellt, die eine Hälfte in Spanien, die andere in Frankreich. Mit gemessenen, würdevollen Bewegungen knieten die beiden Könige davor nieder und legten ihre rechten Hände auf zwei völlig gleiche Kruzifixe. In abwechselnder Rede und jeder in seiner eigenen Sprache schworen sie einander Frieden, Bündnistreue und ewige Freundschaft. Ihre beiden Sprachen verwoben sich melodisch ineinander. Die eine schien die Schönheit und den Wohlklang der jeweils anderen noch zu erhöhen und zu verstärken.
Die Stimme eines alten Mannes und eines ganz jungen. Ein Spanier und ein Franzose - vor kurzem noch Feinde, doch nun zur Versöhnung bereit.
Am nächsten Morgen trennte man sich für immer. Anna weinte die bittersten Tränen ihres Lebens. „In unserem Alter dürfen wir nicht mehr darauf hoffen, dass uns das Schicksal ein zweites Wiedersehen schenken wird!“, flüsterte sie. Diesmal wagte sie nicht, sich ihrem Bruder zu nähern. Nun aber tat er es. Er umarmte sie und nannte sie seine „geliebte Schwester“. Damit raubte er ihr vollends die Fassung.
Auch Maria Theresia war einer Ohnmacht nahe. Drei Mal warf sie sich weinend vor ihrem Vater auf die Knie. Drei Mal hob er sie wieder zu sich hoch und umarmte sie. Dann drehte sie sich um und ging fort - einen Augenblick lang ganz allein und einsam. Königin Anna sah es und eilte ihr nach. Tröstend legte sie den Arm um die Schultern ihrer Schwiegertochter und führte sie zum Boot. Niemand konnte besser wissen als sie, was Maria Theresia in dieser Stunde verlor.
Die Katholische Majestät schaute seiner Schwester und seiner Tochter nach und blickte dann auf sein schwarz gewandetes Gefolge, das untadelige Haltung von ihm erwartete. So wandte auch er sich um und kehrte zu seinem Boot zurück. Während es auf das spanische Ufer zufuhr, blickte er hinüber auf die andere Seite der Bidassoa, wo sich das Boot mit seiner Tochter dem französischen Ufer näherte. Er konnte die Endgültigkeit dieses Anblicks kaum ertragen, doch er hatte nicht die Kraft wegzusehen. Da drüben saß seine Tochter, und wie er sie kannte, weinte sie wohl.
Doch das war nun nicht mehr seine Angelegenheit. Von jetzt an konnte er sie nicht mehr trösten oder beschützen. Philipp wusste, dass Maria Theresia noch in dieser Stunde unter Aufsicht ihrer Schwiegermutter und der hohen Damen des französischen Hofes alle ihre Kleider ablegen musste. Nicht das kleinste Stück Stoff aus ihrer Heimat durfte sie mitnehmen, keine Wäsche, keinen Schal, kein Taschentuch. Die Infantin von Spanien gab es nicht mehr. Es gab nur noch die Königin von Frankreich, die man aus Tradition wahrscheinlich genauso einkleiden würde wie einst seine Schwester, als sie ihrem Gemahl nach Frankreich folgte: in eine prachtvolle, leuchtend rote Atlasrobe, die mit Gold und Silber bestickt und mit Juwelen in schweren Goldfassungen behängt war.
Als man Philipp diese Kleidung damals beschrieben hatte, hatte er sich geschämt. „Das ist das Gewand einer Dirne!“, hatte er gerufen und mit der Faust auf den Tisch geschlagen. Auch diesmal wollte er am liebsten nicht daran denken, dass sein bescheidenes, gehorsames Kind, dem bisher seine gottgeschenkte goldene Haarpracht als Schmuck genügt hatte, so liederlich herausgeputzt wurde. Der heimliche Zorn auf die Franzosen, den er fast schon überwunden geglaubt hatte, überkam ihn wieder.
Zugleich erinnerte er sich an den Freundschaftsschwur, den er gemeinsam mit seinem Schwiegersohn vor dem Kruzifix geleistet hatte. Ein Versprechen im Namen Gottes - es durfte nicht gebrochen werden, auch nicht in Gedanken. „Verzeih mir, Herr!“, mur-melte Philipp und bekreuzigte sich. Dann befahl er mit lauter Stimme, man solle noch vor dem Abendessen seinen Beichtvater zu ihm schicken.
In Frankreich nannte das Volk Maria Theresia die „Braut mit dem Frieden als Mitgift“. Allein schon dafür liebte man sie. In der langen Geschichte Frankreichs war nur selten eine Hochzeit so allgemein bejubelt worden. Man glaubte fest daran: Mit dem Eheversprechen zwischen Ludwig und Maria Theresia würde eine Friedenszeit be-ginnen, ein Goldenes Zeitalter, in dem Milch und Honig flössen.
Auch die Hochzeitsgesellschaft war sich der eigenen Bedeutung bewusst. Hatte man die Fahrt nach Süden noch als eine Art Vergnügungsreise begonnen, so änderte man nach und nach diese Einstellung und sah sich selbst als Teil eines geschichtlichen Ereignisses. Man fühlte sich wie unter einer Glasglocke: von allen gesehen, doch zugleich auch von allem getrennt. Ein kleiner Kosmos mit eigenen Gesetzmäßigkeiten, die sich immer mehr einspielten, sodass man sich nach ein paar Wochen schon nicht mehr vorstellen konnte, wieder sesshaft zu sein.
Schon immer waren die französischen Könige durch ihr Land gezogen, doch nie war man so lange von Paris fortgeblieben. Das war schon keine Reise mehr, die als Ausnahmefall zwischen Phasen der Ruhe stattfand. Nein, die Hochzeitsfahrt Ludwigs XIV. war ein Zustand an sich. Freundschaften und Liebesbeziehungen entstanden, Feindschaften brachen aus. Kinder wurden unterwegs geboren, und Menschen erkrankten und mussten an fremden Orten zurückgelassen werden, wo sie vielleicht sogar sterben würden.
Zu allem Erfreulichen war soeben auch noch die Nachricht eingetroffen, dass Karl II. am 31. Mai, seinem dreißigsten Geburtstag, auf den englischen Thron zurückgekehrt war. Damit war die Zeit der bürgerlichen Emporkömmlinge unter Cromwell, die seinen Vater ermordet hatten, endgültig vorbei. Das Blatt hatte sich gewendet. Das Jahr 1660 war das beste Jahr für Könige seit langer Zeit, und wenn Gott es wollte, konnte alles so wunderbar weitergehen, wie es angefangen hatte.
Das Erscheinen der jungen Königin
Maria Theresia erscheint in ihrem ersten französischen Kleid. Frankreich umweht sie mit seiner Luft, sie ist umhüllt von rosenroter, mit Gold und Silber bestickter Seide und umflutet vom Feuer ihrer Juwelen.
In Saint-Jean-de-Luz nimmt Maria Theresia ihre erste französische Mahlzeit ein in dem Haus, in dem Anna von Österreich residiert.
Am 8. Juni: Anproben. Es ist der Tag der Schneiderinnen und Friseure. Line der beiden Hauptfiguren des großen Schauspiels wird für die Bühne zurechtgemacht. Am 9. Juni: die Eheschließung in Saint-Jean-de-Luz. Vor den Häusern, in denen die Mitglieder der königlichen Familie wohnen, ist der Erdboden mit kostbaren Teppichen bedeckt. Auf beiden Seiten des Weges erheben sich weiß-goldene Säulen, die durch Girlanden verbunden sind. Die Regimenter der Schweizer und französischen Garden stehen Spaliere. Ohrenbetäubendes Geläut der Glocken. Und natürlich eine ungeheure Menschenmenge, die vor Begeisterung jubelt, als sähe sie Gott und seine Engel.
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