Mündliches Erzählen als Performance: die Entwicklung narrativer Diskurse im Fremdsprachenunterricht. Gabriele Bergfelder-Boos
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Mündliches Erzählen als Performance: die Entwicklung narrativer Diskurse im Fremdsprachenunterricht - Gabriele Bergfelder-Boos страница 15

СКАЧАТЬ Jobs werden folgende Tätigkeiten ausgeführt

       Mit dem Darstellen von Inhalts- / Form- / Unterrichtsrelevanz „wird in der Regel ein Hintergrund etabliert, auf dem sich die Erzählung entwickeln kann“ (Gülich / Hausendorf 2000: 376). In der Unterrichtssituation wird es voraussichtlich darum gehen, den Grund, die Bedeutung, das Procedere der Performance zu erläutern bzw. diese anzukündigen. Inhaltsbezogen ist diese Ankündigung dann, wenn sie bereits Hintergrund­informationen zur Geschichte liefert, formbezogen, wenn sie sich auf die Form der Präsentation, unterrichtsrelevant, wenn sie sich auf fremdsprachliche Zielsetzungen bezieht.

       Das Thematisieren macht die nun folgende Geschichte für den Zuhörer erwartbar. Die Erzählenden erwerben sich mit der Ankündigung eines besonders erzählwürdigen Inhalts der Geschichte die „Eintrittskarte“ (Quasthoff 2001: 1297) zum Erzählen – das Recht auf die Rolle des „primären Sprechers“3.

       Mit dem Elaborieren und Dramatisieren wird die narrative Hauptaufgabe, d.h. die der Darstellung bzw. (Re-)Konstruktion der Ereignisse, übernommen. In der Gesprächslinguistik wird zwischen zwei Formen der Darstellung unterschieden: dem Elaborieren, bei dem das Geschehen eher als Bericht präsentiert wird, und dem Dramatisieren, das Elemente der szenischen Gestaltung einbezieht.

       Das Abschließen stellt „das Pendant zum Thematisieren“ (Gülich / Hausendorf 2000: 380) dar. Die im Laufe der Handlung aufgetretene Komplikation wird aufgelöst, das Ende der Geschichte markiert.

       Das „Überleiten [leistet] die Einbettung der narrativen Einheit in die anschließende Kommunikation“ (Gülich / Hausendorf 2000: 381) ‒ im Falle der Erzählstunden in den folgenden Unterrichtsdiskurs.

      Zentral für die Anwendung des gesprächslinguistischen Modells und seiner Elemente auf den Fremdsprachenunterricht sind die theoretischen Vorannahmen, dass „jede Art direkter Kommunikation in ihrer Struktur eine gemeinsame Leistung der beteiligten Partner darstellt“ (Quasthoff 2001: 1301), dass die interaktiven Strukturen auf der „manifesten Oberfläche des verbalen und sonstigen Interaktionsgeschehens“ (a.a.O.) beobachtbar sind und stets „adressatenbezogen kontextualisiert“ (a.a.O.) auftreten.

      Die unterschiedlichen Formen und möglicherweise auch der unterschiedliche Grad an Gemeinsamkeit der interaktiven Leistungen bilden einen der Schwerpunkte meiner empirischen Untersuchung, bei der ich als Beobachtungs- und Analyseinstrumente folgende Elemente des gesprächslinguistischen Modells anwenden werde: die narrationsspezifischen Jobs, die pragmatischen und die ästhetisch-verbalen sowie die performativen Mittel, mit denen sie realisiert werden.

      Was die Gemeinsamkeit in der Wahrnehmung der narrationsspezifischen Jobs der Interakteure betrifft, so gehe ich – Quasthoff folgend – davon aus, dass sie in der Übernahme ihrer Rollen als Erzählende (Produktion) und Zuhörende (Rezeption) besteht. Beobachtbar ist die Wahrnehmung der Jobs anhand der zum Einsatz kommenden pragmatischen Mittel. Zu diesen zähle ich die Handlungszüge der Akteure, die entweder die Globalsemantik der Erzählung (wie z.B. das Beachten der Chronologie der Ereignisse auf Seiten der Erzählenden und den Versuch des Identifizierens wichtiger Erzählbausteine auf Seiten der Zuhörenden) oder die Interaktionsebene (wie z.B. den Einsatz von Frage-Antwort-Sequenzen) betreffen.

      Was die verbalen Mittel zur Realisierung der Jobs betrifft, so interessieren in meinem Forschungskontext vor allem die Mittel zur Gliederung der Textoberfläche, die sog. Diskursmarker. Die Diskursmarker stellen für die Erzählenden ein wichtiges Instrumentarium zur Gestaltung ihrer Aufgabe des Elaborierens dar. Für die Rezipierenden in der mündlich-fremdsprachlichen Kommunikation können sie als Verstehenshilfe genutzt werden, um die Textbausteine und den Erzählplan (s. dazu Ehlers 1998: 200) zu identifizieren und zu verfolgen, d.h. um die im Unterricht geforderte Narrativierungsleistung zu erbringen.

      Von besonderem Interesse für meine Untersuchung ist auch die Annahme einer adressatenbezogenen Kontextualisierung der narrativen Jobs und der Gestaltungsmittel. Der Adressatenbezug betrifft u.a. die Textauswahl und -bearbeitung durch die Lehrkräfte und das Prinzip der Erzählwürdigkeit, das im Folgenden thematisiert wird.

      3.2.3 Das Prinzip der Erzählwürdigkeit

      Die Frage nach der Erzählwürdigkeit ist die Frage nach der Sinnhaftigkeit von Erzählungen und der Sinnstiftung durch das Erzählen – die Frage nach dem, was eine Erzählung aus welchen Gründen erzählenswert macht. Konsens besteht in der Forschung darüber, dass die Erzählwürdigkeit (auch Tellability) ein wichtiges Gütekriterium narrativer Werke und ein Interaktionskriterium zwischen Erzählung und Rezipierenden (Ehlers 1998, Wolf 2002a, Fludernik 2010) darstellt. Je nach Forschungsansatz ist die Zuordnung der Erzählwürdigkeit zu den Konstituenten des Erzählens unterschiedlich.

      Aus werkinterner Perspektive kann die Erzählwürdigkeit einer Geschichte als Realisierung qualitativer Narreme (Kap. 3.1.1) angesehen werden. Diesen Weg geht Fluderniks ‚Natural‘ Narratology (Fludernik 2010: 122). Für Fludernik, die das Wesentliche des Narrativen nicht nur in der Darstellung von Handlungen und Ereignissen, sondern vor allem in der „Vermittlung anthropozentrischer Erfahrung“ (Fludernik, 2010: 73), d.h. in der „Vermittlung von Gedanken und Gefühlen und [der] Darstellung von Wahrnehmung und Reflektion“ (a.a.O.), sieht, liegt in dieser Erlebnisqualität die Tellability des Narrativen begründet.

      Aus werkinterner Perspektive wird Erzählwürdigkeit auch an der Realisierung inhaltlicher Narreme festgemacht. Diesen Weg geht Ehlers lesetheoretischer Ansatz. Für sie ist erzählwürdig, was in einer Erzählung aus dem Alltäg­lichen heraustritt:

      Das Erzählen setzt dort ein, wo das Kontinuum von Alltagserfahrungen unterbrochen wird, um hervorzutreiben, wofür es keine Einordnung gibt: das Neue oder das Besondere. Je nach Wahrnehmung lassen sich Phänomene, die zum erzählerischen Antrieb werden, als neu, besonders fremd oder anders kategorisieren. Ereignisse, die nicht einordbar sind, sich dem kanonischen Wissen, dem Regelhaften und Konventionalisierten entziehen, besitzen eine Signifikanz. (Ehlers 1998: 199)

      Erzählenswert in diesem Lichte ist das, was die Leserinnen und Leser irritiert, was sie zur Reflexion auffordert. Ehlers geht über die werkinterne Perspektive hinaus, indem sie Erzählwürdigkeit auch aus deren Perspektive definiert. Um das Neue oder das Besondere zu würdigen, müssen die Rezipierenden ihr Wissen über den der Erzählung zugehörigen Kulturraum aktivieren. Nur so können sie verstehen, „was jeweils die Basis des Alltäglichen und Bekannten ist und was innerhalb einer Kultur als neu oder besonders und somit für erzählenswert gilt“(a.a.O.).

      Für Jerome Bruner ist sind ebenfalls die in Geschichten dargestellten Alltagserfahrungen erzählenswert, weil sie, um Aufmerksamkeit zu erregen, das Besondere brauchen (1997: 64)1. Das Besondere steckt für Bruner im Durchbrechen dessen, was in einer Kultur als kanonisch gilt. Die Erzählwürdigkeit von Geschichten besteht für ihn darin, dass individuell und gesellschaftlich relevante Konflikte als menschliche Dramen so dargestellt werden, dass sowohl dem Kanonischen als auch dem Durchbrechen des Kanonischen Sinn und Bedeutung verliehen wird. Bruners kulturpsychologisches und Ehlers lesetheoretisches Konzept treffen sich dort, wo die Sinngebung letztlich durch die Interpretationsleistung der Rezipierenden erfolgt. Beide Konzepte sind für das interkulturelle Lernen anhand literarischer Texte im Fremdsprachenunterricht von Relevanz.

      Zur Erzählwürdigkeit auf werkinterner Ebene trägt auch die den syntaktischen Narremen zuzurechnende thematische Einheitsstiftung (Wolf 2002a: 50) bei. Die Zentrierung auf eine die gesamte Erzählung leitende Problematik schafft als ‚roter Faden‘ der Erzählung inhaltliche Kohärenz. Viele Märchen beziehen aus diesem Phänomen ihren Kanon-Status. Sie stehen – prototypisch – für anthropomorphe Verhaltensweisen wie Neugier, Verführung, Schlauheit usw. Dieser Aspekt von Erzählwürdigkeit kann von den Rezipierenden im Fremdsprachenunterricht СКАЧАТЬ