Mündliches Erzählen als Performance: die Entwicklung narrativer Diskurse im Fremdsprachenunterricht. Gabriele Bergfelder-Boos
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СКАЧАТЬ indem sie letztere dazu bringen, das kognitive Schema des Narrativen zu aktivieren und für sich abzurufen.

      4 Da im kognitionstheoretischen und transmedialen Ansatz von der Graduierbarkeit des Narrativen ausgegangen wird, übernimmt der Prototyp auf konzeptioneller Ebene zusätzlich die Funktion eines Gradmessers des Narrativen.

      Die Graduierbarkeit des Narrativen impliziert, dass der Prototyp als „Kern des Narrativen“ (Wolf 2002a: 45) ein Maximum an typischen Elementen des Narrativen enthält. Aus diesen Elementen wiederum lässt sich eine Minimaldefinition des Narrativen entwickeln, die dessen Kern auf das Wesentliche so zusammenschmilzt, dass in jedem konkreten Einzelfall entschieden werden kann, was als mehr oder weniger narrativ, was noch als narrativ und was nicht mehr als narrativ bezeichnet werden kann. Diese Minimaldefinition formuliert Wolf wie folgt:

      Erzählen wäre damit […] die Darstellung wenigstens von Rudimenten einer vorstell- und erlebbaren Welt, in der mindestens zwei verschiedene Handlungen oder Zustände auf dieselben anthropomorphen Gestalten zentriert sind und durch mehr als bloße Chronologie miteinander in einem potentiell sinnvollen, aber nicht notwendigen Zusammenhang stehen. (Wolf 2002a: 51)

      Diese Minimaldefinition ist als Klassifizierungsinstrument auch für den Fremdsprachenunterricht geeignet. Auf dieser Basis können die in unterschiedlicher medialer Realisierung hervorgebrachten Produkte der Lernenden, z.B. verbale Erzählungen, Bilder, szenische Darstellungen auf ihre Narrativität hin untersucht werden. Auch der Grad der Narrativität der Produkte kann angegeben werden, denn aufgrund der Nachweisbarkeit der Stimuli des Narrativen in konkreten Werken können einerseits die Nähe und Ferne konkreter Werke oder Werkteile zum Prototypen genauer bestimmt, andererseits auch diejenigen Elemente ausgemacht werden, die den Grad an Narrativität erhöhen. Dazu zählt Wolf „konfliktbeladene und spektakuläre Handlungen“ (Wolf 2002a: 52), „die Konzentration auf spezifische Figuren“ (a.a.O.), „die Situierung der Geschichte in einer abgeschlossenen […] Vergangenheit“ (a.a.O.), „die Klarheit und Eindeutigkeit der Sinn- und Kohärenzbezüge […], ferner die Fiktionalität“ (a .a. O.) und den Gebrauch ästhetischer Gestaltungsmittel. Besonders diese Elemente der Graduierung sind für den Einsatz des Narrativen im Fremdsprachenunterricht interessant, weil sie möglicherweise Einfluss auf den Prozess der Narrativierung durch die Rezipierenden, hier die Lernenden, haben. Es kann davon ausgegangen werden, dass bei einer Rezeption in der Erstsprache diejenigen Werke und diejenige mediale Realisierung, die die meisten Narreme, damit die meisten Stimuli des Narrativen bereit halten, die geringste Narrativierungsleistung der Rezipierenden verlangen, während umgekehrt, die Medien mit der geringsten Anzahl an Narremen, d.h. der geringsten Narrativität, die höchste Narrativierungsanstrengung verlangen. Aber ist das auch in der fremdsprachlichen Rezeption so? Auf diese Frage wird die Analyse der Narrativierungsleistungen der Schülerinnen und Schüler in den Erzählstunden (Kap. 9.2.3, 9.3.3, 9.4) eingehen.

      Um die Nähe und Ferne zum Prototypen und den Grad an Narrativität weiterer Medien geht es Wolf in seinen Ausführungen zur Realisierung des Narrativen im Medium der bildenden Kunst und der Musik. Was die bildnerische Darstellung betrifft, die in der vorliegenden Studie als Narrativierungsleistung der Lernenden eine Rolle2 spielt, so legt Wolf eine Zusammenstellung „potentiell narrativer Bilder“ (Wolf 2002a: 56) vor, zu denen zwei Haupttypen, die Bildserien und Einzelbilder, mit jeweils zwei Untergruppierungen gehören. Auch hier ist die Narrativität der Produkte anhand der Indikatoren des Prototypischen graduierbar. So besitzen Bildserien die Fähigkeit, Narratives darzustellen, Einzelbilder sind eher geeignet, Narratives zu indizieren. Das Medium der (Instrumental-)Musik bietet nach Wolfs Untersuchungen den geringsten Grad an Narrativität, da es lediglich Geschichtenanaloga hervorbringt, also „quasi-narrativ“ (a.a.O.: 96) funktioniert und deshalb von den Rezipierenden die höchste Narrativierungsanstrengung verlangt.

      Das abschließend von Wolf entwickelte Modell des narrativen Potenzials unterschiedlicher Medien (s. Schema 3 in Wolf 2002a: 96) erfasst die von ihm untersuchten medialen Darstellungen des Narrativen und den jeweiligen Anteil an werkinternen Narremen und rezipientenseitiger Narrativierung. Aus dem Modell „ergeben sich drei grobe Typen innerhalb des Skalars zwischen maximaler und minimaler werkseitiger Narrativität“ (a.a.O.): erstens „geschichtendarstellende, genuin narrativ verwendbare Medien“ wie literarisch-episches Erzählen, Drama, Film, in Teilen auch Bildserien, zweitens ein „als narrationsindizierendes […] narrativ verwendbares Medium“ wie das Einzelbild und drittens das „quasi-narrativ verwendbare Medium der (Instrumental-)Musik“ (a.a.O.).

      3.1.3 Impulse des intermedialen Modells für die Konzeption der Studie

      Die dem Wolfschen Modell zugrunde liegenden konzeptionellen Entscheidungen und die Konstituenten des Modells liefern für die Erkundung des Erzählpotenzials folgende Impulse:

       Sie eröffnen Möglichkeiten, das Potenzial des Narrativen sowohl strukturell zu erfassen als auch seine Manifestationen in konkreten Werken zu beobachten und zu analysieren. Neben der transmedialen Konzeptualisierung bietet das Wolfsche Modell Anregungen für die Analyse intermedialer Prozesse, die in den zu untersuchenden Erzählstunden zum Tragen kommen (Kap. 9.2.2.2).

       Sie liefern Anregungen für eine mehrdimensionale Recherche des Erzählpotenzials. Die Öffnung des Konzepts gegenüber den pragmatischen, werkexternen Aspekten macht das Konzept in besonderem Maße geeignet, seine Kategorien zur Analyse konkreter sprachlicher Werke und damit zur Analyse des empirischen Materials des Fremdsprachenunterrichts zu nutzen.

       Der kognitive Ansatz des Modells bietet Anregungen, die (fremd-)sprachlichen kommunikativen Aktivitäten der Lernenden als ‚Narrativierungsleistungen‘ aufzufassen und den Umgang mit den Stimuli des Narrativen zu beobachten und zu analysieren. Aus diesem Grund werde ich diese von Wolf gebrauchte Kategorie zur Bezeichnung der narrativen Aktivitäten der Lernenden verwenden.

       Der funktionale Ansatz des Modells liefert für die empirische Analyse der Studie besonders fruchtbare Impulse. So werden die verbalen und non-verbalen kommunikativen Tätigkeiten von Lehrenden und Lernenden nicht nur unter werkinternen Aspekten betrachtet, sondern auch als Manifestationen von Funktionen des Narrativen – u.a. seiner sozialen und kommunikativen Funktion – aufgefasst und unter diesem Aspekt beobachtet.

       Der prototypische Ansatz liefert Anregungen für den Umgang mit prototypischen Elementen des Narrativen im Hinblick auf die Auswahl und Aufbereitung der Erzähltexte durch die Lehrkräfte und auf die Planung und Durchführung ihrer Erzählprojekte.

       Die mit dem prototypischen Ansatz verbundene Auffassung von der Graduierbarkeit des Narrativen liefert im konzeptionellen Teil Anregungen zur Erarbeitung des Erzählens als narrativer Vermittlungsform zwischen dem epischen und dramatischen Erzählen, im empirischen Teil u.a. zur Analyse von Narrativierungsleistungen der Lernenden.

      Aufgrund der vielfältigen Impulse werde ich das intermediale Erzählmodell von Wolf als Referenzmodell zur Entwicklung des Potenziale-Modells (Kap. 2.1.2, Kap. 7) nutzen.

      3.2 Mündlich-verbales Erzählen (1): (Re-)Konstruktions- und Interaktionsprozesse beim Gebrauch der Diskursform

      In Kapitel 3.2 wird zunächst der zugrunde gelegte Diskursbegriff (3.2.1) erläutert, um auf dieser Basis die interaktionelle Gesprächsstruktur und die interaktionellen Aufgaben (3.2.2) zu beschreiben. Abschließend (3.2.3) wird das Prinzip der Erzählwürdigkeit erläutert und dessen Bedeutung für den narrativen Diskurs im Fremdsprachenunterricht erörtert.

      3.2.1 Erzählen als Diskurseinheit

      In Abgrenzung zu einem weiten, vor allem in der Semiotik zum Tragen kommenden Textbegriff, der jedes eingrenzbare Segment einer Botschaft oder jegliche in einem kulturellen СКАЧАТЬ