Mündliches Erzählen als Performance: die Entwicklung narrativer Diskurse im Fremdsprachenunterricht. Gabriele Bergfelder-Boos
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СКАЧАТЬ 1153ff., Vater 2001: 14, Heinemann / Heinemann: 2002: 97, Bußmann 2008: 719), nehme ich eine für meinen Forschungszusammenhang funktionale Trennung zwischen den Begriffen Text und Diskurs vor und fasse unter ‚Text‘ lediglich schriftlich-verbale, unter ‚Diskurs‘ mündlich-verbale Äußerungen (Quasthoff 2001: 1302, Ehlich 2007: 4, Bußmann 2008: 141). Für meinen Forschungszusammenhang entscheidend ist ein in der Pragmatik vorzugsweise auf die mündliche Kommunikation bezogener Diskursbegriff, wie ihn Ehlich formuliert:

      In der Pragmatik wird er [der Begriff Diskurs: Einfügung durch Verf.] zur Bezeichnung von strukturierten Ensembles von Sprechhandlungen verwendet, die aus einfachen oder komplexen Sprechhandlungsfolgen bestehen. Diese setzen sprachliche Handlungsmuster oder ihre systematische Kombination zu größeren kommunikativen Einheiten kommunikativ um. Die Strukturiertheit dieser kommunikativen Formen bestimmt sich über die Zwecke der daran beteiligten sprachlichen Handlungen und ihrer spezifischen Integration. So entstehen Diskursarten. (Ehlich 2007: 4)

      Um bei der Analyse des empirischen Materials die im fremdsprachlichen Klassenzimmer hervorgebrachten Diskurse voneinander abzugrenzen und die narrativen Diskurse zu identifizieren, teile ich, Ehlich folgend, die Diskursarten in Sprechhandlungssequenzen (z.B. Frage-Antwort-Sequenzen) vs. Sprechhandlungsverkettungen (z.B. Vortrag, Bericht, Erzählung) und in unterschiedliche Diskurstypen wie argumentative, explizierende, narrative etc. Typen ein (s. auch Werlich 1975: 30ff.). Den von Quasthoff privilegierten Begriff der „narrativen Diskurseinheit“ (Quasthoff 2001: 1300) verwende ich synonym für narrative Sprechhandlungsverkettungen, vor allem dann, wenn diese Einheiten aus den klassenzimmerspezifischen Sprechhandlungen heraus zu lösen sind1.

      Die von der Gesprächslinguistik (Gühlich / Hausendorf 2000, Quasthoff 2001) gelieferten Untersuchungen mündlichen Erzählens bieten geeignete Instrumente zur Identifikation und zur Analyse narrativer Diskurseinheiten2 aus interaktioneller Perspektive. Von besonderem Interesse sind die Betonung des gemeinsamen Aufbaus der narrativen Tätigkeit, die als eine „gemeinsame Leistung der beteiligten Partner“ (Quasthoff 2001: 1301) angesehen wird, und die Vergabe der Rollen und der narrationsspezifischen Aufgaben an die Akteure auf der Basis der folgenden Definition narrativer Interaktion:

      Erzählen im interaktionstheoretischen Sinn ist eine Form der verbalen Aktivität, die mindestens zwei Teilnehmer gemeinsam und aufeinander zugeschnitten kontextualisierend betreiben, indem sie für sich wechselseitig deutlich die Rollen Erzähler und Zuhörer installieren. (Quasthoff 2001:1300)

      Von den sie umgebenden Sprechhandlungssequenzen grenzen sich nach Quast­hoff die narrativen Diskurseinheiten ab durch folgende Merkmale:

       Sie werden eingeleitet und abgeschlossen durch Gliederungselemente, sog. „discourse markers“ (a.a.O.) und weisen ein spezifisches Strukturschema auf.

       Sie realisieren das „Prinzip des primären Sprechers“ (Quasthoff 2001: 1300 im Rekurs auf Wald 1978), was eine „eine spezielle Variante des Spre­cherwechsels“ (a.a.O.) darstellt.

      Zur Identifikation der von den Lehrenden als „primären Sprechern“ verantworteten narrativen Diskurseinheiten eignen sich (Kap. 3.2.2) die von Quasthoff und Gühlich entwickelten Instrumente der Interaktionsanalyse. Zur Beschreibung der Schüleräußerungen bedarf es weiterer begrifflicher Klärungen. Hier ist es schwierig festzustellen, inwieweit Diskurseinheiten vorliegen und inwieweit überhaupt von einem ‚Erzählen‘ der Schüler gesprochen werden kann. Anregungen bietet der von Ehlich entwickelte Begriff des „Architerms“ (Ehlich 2007: 372). Ehlich versteht darunter einen die Vielfalt des Wortfeldes ‚Erzählen‘ neutralisierenden Oberbegriff und nennt ihn „Erzählen1“. Darunter subsummiert er die in der Alltagssprache als ‚Erzählen‘ bezeichneten unterschiedlichen sprachlichen Tätigkeiten wie das Erzählen2, Berichten, Mitteilen, Schildern, Beschreiben, Wiedergeben, Darstellen. Lediglich ‚Erzählen2‘ in der o. g. Reihe bezeichnet den Diskurstypen ‚Erzählen‘. Es wird zu untersuchen sein, ob diese unter dem Architerm ‚Erzählen2‘ subsummierten sprachlichen Aktivitäten im Anschlussgespräch an die Erzählperformances der Lehrenden zu identifizieren sind und welche Rolle sie darin spielen. Es wird auch zu untersuchen sein, welches besondere Profil sie ggf. diesem Unterrichtsdiskurs verleihen.

      3.2.2 Narrationsspezifische Aufgaben der Diskursteilnehmer

      Ausgehend von dem textlinguistischen und gesprächslinguistischen Zugriff auf das Erzählen ist es möglich, zum einen den „prozesshaften, sequenziell geord­neten Charakter“ (Quasthoff 2001: 1296) des mündlichen Erzählens zu erfassen, zum anderen die sprachhandelnden interaktiven Tätigkeiten der Diskursteilnehmer als spezifisch narrative zu identifizieren. Inspirierend für die Übertragung des Konzepts auf den Fremdsprachenunterricht ist auch die von Quasthoff vorgenommene Unterscheidung zwischen der kommunikativen und der interaktiven Funktion mündlichen Erzählens (Quasthoff 2001: 1295). Quasthoff zufolge müssen, damit eine narrative Diskurseinheit realisiert wird, die kommunikativen und interaktiven Funktionen von den Erzählenden und von den Zuhörerenden als kommunikative und als interaktive Aufgabe bzw. Leistung wahrgenommen werden. Die erste Funktion bzw. Aufgabe wird über die (Re-)Konstruktion narrativer Inhalte, die zweite über die gemeinsame narrative Tätigkeit realisiert. Zu den wesentlichen narrativen Inhalten rechnen Quasthoff und Gühlich übereinstimmend die – vom Zeitpunkt des Erzählens aus gesehen – zurückliegenden bzw. als zurückliegend imaginierten Handlungen bzw. Ereignisse und Vorkommnisse1. In der „situativ angemessenen, adressatenbezogenen Rekonstruktion der Ereignisse“ (Quasthoff 2001: 1303) besteht die kommunikative Hauptaufgabe des Erzählens. Auf Seiten der Erzählenden erfordert diese Aufgabe eine produktive, auf Seiten der Zuhörenden eine rezeptive Narrativierungsleistung. Auf der Ebene der Interaktion besteht diese Aufgabe im Elaborieren bzw. Dramatisieren der Handlung. Diese und weitere interaktive Aufgaben werden in der Gesprächslinguistik als „gesprächsorganisatorische Jobs“ (a.a.O.: 1302f.) der Teilnehmerinnen und Teilnehmer des narrativen Diskurses aufgefasst.

      In dem von Quasthoff entwickelten Modell der narrativen Gesprächsorganisation fungieren die o. g. gesprächsorganisatorischen Jobs als Kriterien der Sequenzierung der narrativen Diskurseinheit, indem sie entweder eine Sequenz einleiten, abschließen oder steuern. Mit der Anwendung des Modells auf den Klassenzimmerkontext wird zum einen das Instrument der Globalsequenzierung2 der mündlichen narrativen Interaktion, zum anderen – im Abgleich mit der Gesprächssituation des Alltags – ein Instrument zur Bestimmung der Spezifika der narrativen Jobs im fremdsprachlichen Kontext gewonnen. Sequenzierung und Jobs der Diskurseinheit sollen deshalb im Folgenden kurz vorgestellt und anhand einer auf Quasthoff rekurrierenden Visualisierung veranschaulicht werden. Ersetzt man den gesprächsanalytischen Begriff turn-by-turn-talk durch ‚Klassenzimmerdiskurs‘ und ergänzt den Job des Elaborierens / Dramatisierens durch die in der Studie relevante Aufgabe der performativen Gestaltung, so ergibt sich folgender Ablauf mit folgenden narrativen Aufgaben: Verlassen der Unterrichtsdiskursebene durch Darstellen der Erzählrelevanz, Thematisieren, Elaborieren / performatives Gestalten, Abschließen der Erzählung, Überleiten in den auf die Erzählung folgenden Unterrichtsdiskurs.

      Zur Visualisierung des Erzählprozesses und der Sequenzierung wählt Quast­hoff die Form einer Schüssel (Quasthoff 2001: 1302), die in der folgenden Abbildung (Abb.2) beibehalten wurde. Damit sollen die Übergänge von der Diskurswelt des turn-by-turn-talk bzw. des Klassenzimmerdiskurses in die Diskurswelt des Narrativen verdeutlicht werden. Die Höhe bzw. Breite der Schüssel kann bei Darstellung von Einzelfällen den jeweiligen Beispielen angepasst werden. Wird der Übergang von der einen in die andere Welt kurz gehalten, kommt eine flache Schüssel zustande, dauert sie länger, ist die Schüssel tief usw.

      

Abb. 2:

      Narrative Jobs in einer narrativen Diskurseinheit im Fremdsprachenunterricht. Nach: СКАЧАТЬ