Mündliches Erzählen als Performance: die Entwicklung narrativer Diskurse im Fremdsprachenunterricht. Gabriele Bergfelder-Boos
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Mündliches Erzählen als Performance: die Entwicklung narrativer Diskurse im Fremdsprachenunterricht - Gabriele Bergfelder-Boos страница 11

СКАЧАТЬ auf das verbale Erzählen (Scheffel 2010: 328f., Nünning 2004b: 160, Fludernik 2010: 118f.). Eine Forschungsrichtung dieser Narratologie pflegt einen weiten Begriff des Erzählens, in dem „als notwendig die Darstellung der zeitlichen Sequenzialität eines Geschehens, nicht aber der Entwurf von Geschichten“ (Scheffel 2010: 329) angesehen wird. Eine zweite Forschungsrichtung fasst den Begriff enger und fordert als zusätzliches Kriterium das der Kausalität (a.a.O.) ein. Bei beiden Richtungen, d.h. in „jeder Art von narratologischer Modellbildung“ (a.a.O.), gilt die Unterscheidung zwischen der Tätigkeit Erzählen und ihrem Produkt, der Erzählung, sowie die Unterscheidung zwischen histoire und discours als grundlegend. Zentral für die textwissenschaftlich ausgerichtete Narratologie ist darüber hinaus die Annahme einer erzählerischen Vermittlungsinstanz1. Die bisher genannten, „als kanonisch“ (a.a.O.) angesehenen Konstituenten strukturalistischer Erzähltheorie, das Zwei-Ebenen-Modell und die Annahme der Erzählinstanz sowie ein weiter Begriff des Erzählens, werden in der vorliegenden Studie der narratologischen Konzeption des Forschungsgegenstandes Erzählen zugrunde gelegt. Da ich mich nicht auf die Untersuchung rein verbaler Vermittlungsformen beschränken möchte, werde ich weitere Modellierungen des Narrativen heranziehen. Dazu gehören narratologische Forschungsrichtungen, die der postklassischen Phase der Narratologie (Scheffel 2010: 330) zugerechnet werden, einen kognitivistischen Ansatz verfolgen und die pragmatische Dimension des Erzählens (Nünning 2004b: 160) in ihre Modellbildungen einbeziehen2.

      Postklassische narratologische Ansätze sehen das Erzählen als ein intermediales, grenzüberschreitendes Phänomen an (u.a. Nünning / Nünning 2002d: 1-22, Wolf 2002a: 23). Ansgar und Vera Nünning versuchen, von der in der klassischen Phase der Narratologie vertretenen monomedialen zu einer transgenerischen, intermedialen und interdisziplinären Auffassung des Narrativen (Nünning / Nünning 2002d: 1-22) zu gelangen und, anknüpfend an die Ergebnisse der klassischen Phase, neue Modelle für eine grenzüberschreitende Erzähltheorie zu entwickeln, die sich nicht auf das verbale Erzählen beschränkt. Erzählen, so Nünning / Nünning, habe Hochkonjunktur (2002b: 2) in vielen Gattungen und Medien3. Die sich darin repräsentierenden narrativen Formen und deren unterschiedliche Funktionen sind „seit einigen Jahren zu einem zentralen Anliegen unterschiedlicher Disziplinen geworden (a.a.O.)“. Zu diesen Disziplinen ist auch die Fremdsprachenforschung zu rechnen, in der Erzählungen einerseits als Untersuchungsobjekte, andererseits als Darstellungsmodi genutzt werden.

      Die von Werner Wolf (Wolf 2002a, 2002b) entwickelte Konzeptualisierung des Narrativen stellt einen ersten systematischen Versuch narratologischer Neukonzeptualisierung dar, die sich in besonderer Weise dazu eignet, einem grenzüberschreitenden Potenzial des Erzählens auf die Spur zu kommen. Aus diesem Grund lege ich meiner eigenen Konzeptualisierung das grenzüberscheitende Wolfsche Modell zugrunde und ziehe das kanonische Modell zur Lösung verbalspezifischer Problemfelder heran. Letzteres als bekannt voraussetzend, erläutere ich im Folgenden lediglich die Basisentscheidungen und Strukturelemente des Wolfschen Konzepts unter dem Aspekt ihrer Brauchbarkeit für die Recherche grenzüberschreitender Erzählpotenziale.

      Die Konzeptualisierung einer grenzüberschreitenden Erzähltheorie geht, so Wolf, von einer „bislang hauptsächlich intramediale[n]“ (Wolf 2002a: 26) zu einer intermedialen Narratologie“ (a.a.O.) und muss in einem notwendig ersten Schritt das Phänomen des Narrativen ausleuchten. Um die „Einäugigkeit“ (a.a.O.) intramedialer Narratologie4 zu vermeiden, die das Narrative vornehmlich aus der Perspektive verbal-literarischer Medien untersucht, eröffnet Wolf neue Perspektiven dadurch, dass er in einem dreistufigen Modell das Konzept des Narrativen von dessen Vermittlungsformen in unterschiedlichen Medien und von dessen Erscheinung in Gestalt konkreter Werke konzeptionell trennt und das Narrative selbst als ein medienunabhängiges Phänomen definiert. Im Rekurs auf einen „kognitiven, funktionalen und prototypischen approach“ (a.a.O.) macht Wolf zur Definition des Phänomens drei Fragenbereiche aus: „die Frage nach der Natur des Narrativen“ (2002a: 28), „die Frage nach den Funktionen“ (a.a.O.) und „die Frage nach seinen werkinternen Faktoren, d.h. seiner werkinternen Organisation“ (a.a.O.).

      3.1.1 Konstituenten des intermedialen Erzählmodels: das Narrative und die Narreme

      Die erste Frage, die Frage nach der Natur des Narrativen, löst Wolf im kognitiven approach. Er legt sich in Abwägung von drei unterschiedlichen Positionen zum ontologischen Status des Narrativen auf „die für eine intermediale Narratologie brauchbarste Variante“ (2002a: 29) fest, auf das Narrative als kognitives Schema:

      Ich fasse also das Narrative (und damit auch den Akt seiner Realisierung, das Erzählen) als kulturell erworbenes und mental gespeichertes kognitives Schema im Sinne der frame theory auf, d.h. also als stereotypes verstehens-, kommunikations- und erwartungsgesteuertes Konzeptensemble, das als solches medienunabhängig ist und gerade deshalb in verschiedenen Medien und Einzelwerken realisiert, aber auch auf lebensweltliche Erfahrung angewandt werden kann.“(a.a.O.)

      Die Konzeptualisierung des Narrativen als kognitives Schema schließt eine interaktive Vorstellung des Rezeptionsprozesses ein. Danach enthält das narrative Werk Signale des Narrativen, sog. Narreme, die als Stimuli (a.a.O.: 43ff.) des Narrativen fungieren und von den Rezipienten des Werks zu erfassen sind. Auf dieser Grundlage können sie das gespeicherte kognitive Schema aufrufen und aktivieren. Das Narrative setzt also einen beidseitigen (produzenten- und rezipientenseitigen) Narrativierungsprozess voraus (Wolf 2002a: 52f.).

      Der funktionale approach führt zur zweiten Frage, der Frage nach den Funktionen des Narrativen. Wolf kann sich zur Diskussion dieses Aspekts auf eine umfangreiche Literatur stützen, die mit ihm als Grundfunktion des Narrativen die „Bedeutung für und die Wirkung auf bestimmte Bedürfnisse des Menschen“ (a.a.O.: 32) sieht. Drei „anthropologische Grundbedürfnisse des Menschen“ (a.a.O.), auf die das Narrative antworten kann, lassen sich herausschälen:

       „die Sinngebungs- oder ‚philosophische’ Funktion“ (a.a.O.) des Narrativen, das für den Empfänger Sinnangebote bereitstellt und Impulse zur Konstitution des eigenen Ich und zur Fremdwahrnehmung gibt,

       „die repräsentierende und (re-)konstruierende Funktion“ (a.a.O.: 33) des Narrativen, das für den Rezipienten Konstruktionen von Fiktivem in kohärenter Form bereit hält und ihm als Produzenten die (Re-)Konstruktion von eigenem und fremdem Erlebtem ermöglicht, wobei hier (im Gegensatz zur nächsten Funktion) auf innersubjektive Vorgänge abgehoben wird, und

       „die kommunikative, soziale und unterhaltende Funktion“ (a.a.O.) des Narrativen, das zur Mitteilung von eigenem oder fremden Erlebtem aus unterschiedlichen Anlässen, zu unterschiedlichen Zwecken eingesetzt werden kann, wobei hier auf intersubjektive Vorgänge abgehoben wird1.

      Der funktionale approach ergänzt den kognitiven approach dadurch, dass er pragmatische Aspekte ins Spiel bringt und mit der Frage ‚Wozu und mit welchen Wirkungen wird erzählt?‘ den Blick über die intermedialen Aspekte des Narrativen hinaus auf werkexterne, kulturelle und soziale Aspekte richtet.

      Die dritte Frage, die Frage nach den werkinternen Faktoren des Narrativen, löst Wolf in Auseinandersetzung mit drei verschiedenen Forschungsansätzen, wozu erstens die Minimaldefinition des Narrativen (bei der Zeitlichkeit und Ereignishaftigkeit als die bestimmenden Faktoren fungieren), zweitens der Versuch einer Maximaldefinition (in Gestalt einer umfassende Liste von narrativen Merkmalen) und drittens der prototypische approach gehören. Letzteren hält er für geeignet, um der Frage nach denjenigen Elementen nachzugehen, die notwendig sind, „um das Schema des Narrativen in einem Text, einem Artefakt zu realisieren“(Wolf 2002a: 34).

      Der prototypische Ansatz hat den Vorteil, dass das Narrative mit einer „Pluralität von Faktoren, die der Prototyp besitzt“ (a.a.O.: 35), er erfasst werden kann, dass aber „ein konkret dem Prototypen zuzuordnendes Phänomen nicht alle diese СКАЧАТЬ