Mündliches Erzählen als Performance: die Entwicklung narrativer Diskurse im Fremdsprachenunterricht. Gabriele Bergfelder-Boos
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      Die mündliche Kommunikation von Erzählungen kann von der schriftlichen Kommunikation im Wesentlichen anhand von zwei Faktoren unterschieden werden. Der eine Faktor besteht in der direkten Form der Kommunikation, der zweite in den strukturbildenden Merkmalen der als Medium aufgefassten Mündlichkeit.

      In der direkten Form, der face-to-face-Kommunikation, stehen sich die Kommunikationspartnerinnen und -partner ohne vermittelnde Instanz gegenüber. Es handelt sich um eine

      […] elementare Konstellation, in der (mindestens) zwei Aktanten miteinander kommunizieren. Beide haben an einem gemeinsamen Wahrnehmungsraum teil, worauf sich der Ausdruck ‚face to face‘ mit Blick auf die wechselseitige visuelle Wahrnehmung bezieht. Die Hervorhebung der visuellen Wahrnehmung lässt den Ausdruck besonders zur Bezeichnung nonverbaler Kommunikation geeignet erscheinen. Übertragen auf die akustische Wahrnehmung, bezeichnet er aber auch insgesamt die für die Sprechsituation kennzeichnende gleichzeitige Präsenz von Sprecher und Hörer (Diskurs), die bei vermittelteren Kommunikationsformen (Text) aufgegeben ist. (Ehlich 2007: 5)

      In der Hier-und-Jetzt-Situation (Bühler 1965: 102) sind die Kommunikationspartnerinnen und -partner gleichzeitig präsent und kommunizieren über dasselbe räumliche und zeitliche Zeigfeld. An der direkten Kommunikation ist die Körperlichkeit der gleichzeitig präsenten Partnerinnen und Partner beteiligt: Auge, Ohr, Stimme, Bewegung, Gesichtsausdruck, Stimmung, Gefühle. Damit sind mehrere Zeichensysteme im Spiel, neben dem verbalen das akustische und das visuelle.

      Strukturbildende Merkmale des Mediums Mündlichkeit sind die Linearität der Produktion und Rezeption, die Irreversibilität und Flüchtigkeit des Gesprochenen (Zollna 1999: 14).

      Im Rekurs auf intermediale literaturwissenschaftliche Ansätze (Wolf 2002b: 163-192, Wolf 2002a: 23-104, Rajewsky 2002: 7) kann die narrative Vermittlungsform ‚Erzählperformance‘ als eine medienspezifische Gattung bzw. selbst als Medium aufgefasst werden. Wolf definiert Medium als ein

      […] distinkt angesehenes Kommunikationsdispositiv. Dieses ist in erster Linie durch einen spezifischen (z.B. symbolischen oder ikonischen) Gebrauch eines semiotischen Systems (Sprache, Bild), in manchen Fällen auch durch die Kombination mehrerer Zeichensysteme […] zur Übertragung kultureller Inhalte gekennzeichnet und erst in zweiter Linie […] durch bestimmte technische Medien bzw. Kommunikationskanäle. Medium in diesem Sinne umfasst also die traditionellen Künste mit ihren Vermittlungsformen ebenso wie neue Kommunikationsformen, gleichgültig, ob ihnen – ein ohnehin heute vielfach problematisierter – Kunststatus zuerkannt wird oder nicht.“ (Wolf 2002b: 165)

      Die Erzählperformance stellt dieser Definition zufolge eine narrative Kunstform dar, die in direkter, mündlicher Kommunikation zwischen Erzählenden und ihrem Publikum hervorgebracht wird.

      3.5.2 Mediale Mündlichkeit vs. konzeptionelle Mündlichkeit

      Die Medialität der Mündlichkeit (Kap. 3.5.1 und Kap. 4.2) stellt nur die eine Seite der mündlichen narrativen Präsentationsform dar. Die zweite Seite erschließt sich, wenn man das Phänomen der Mündlichkeit unter konzeptionellem Aspekt aus werkinterner Perspektive betrachtet. Konzeptionelle Mündlichkeit bedeutet im Unterschied zur medialen Mündlichkeit die innertextuell bzw. diskursintern konstruierte Mündlichkeit eines Textes bzw. eines Diskurses. Diese wird erzeugt durch Bezugnahme auf die Merkmale medialer Mündlichkeit1. Der Text bzw. der Diskurs versucht damit, über seine mediale Verfasstheit hinauszuweisen und Gegenwärtigkeit zu simulieren. Das Phänomen der Mündlichkeit unter beiden Aspekten, dem medialem und dem konzeptionellem Aspekt, zu betrachten, ist für die Recherche des Potenzials mündlichen Erzählens und für Analyse der Erzählperformances der Studie aus folgenden Gründen relevant:

      1 Mediale und konzeptionelle Mündlichkeit stellen unterschiedliches ästhetisches Potenzial für den Fremdsprachenunterricht bereit, das sich vor allem im Zusammenhang nutzen lässt. Während die mediale Mündlichkeit ein breites Spektrum plurimedialer Zeichen zur ästhetischen Gestaltung bereithält, verfügt die konzeptionelle Mündlichkeit nur über monomediale, sprachliche Zeichen. Bei der Realisierung der mündlichen Präsentation der Erzählung als Performance müssen die Zeichen aufeinander bezogen werden, um ihr jeweiliges Potenzial und ihr (aufeinander bezogenes) Gesamtpotenzial zu entfalten. Wie die Beziehung gestaltet wird, hängt von der ästhetischen und pädagogischen Konzeption der Erzählperformance ab.

      2 Mediale und konzeptionelle Mündlichkeit sind unterschiedlichen Welten zuzuordnen, die im Augenblick der Produktion und Rezeption gleichzeitig gegenwärtig sind. Während die mediale Mündlichkeit Teil der realen Welt ist, wird die konzeptionelle Mündlichkeit künstlich erzeugt. Sie gehört zur ästhetischen Illusionsbildung. Beide Aktionen, das Erzählen in direkter Kommunikation durch reale Erzählende und die Erzählung der Handlung und die Dialoge der Figuren, spielen sich in unterschiedlichen Handlungsräumen ab, dem realen und dem imaginären Raum des Fiktionalen. Die erzählte Geschichte ist immer nur Repräsentation von Zeiten, Orten, Geschehnissen, Handlungen und Dialogen, die sich nicht in der real ablaufenden Zeit abspielen. Und genau das ist der Grund dafür, dass ein Text / ein Diskurs zu Mitteln greift, um die Gegenwärtigkeit seiner Welt mit dem ihm zur Verfügung stehenden verbalen Mitteln vorzutäuschen, d.h. zur Strategie des Mündlichkeitsbezugs zu greifen. Die konzeptionelle Mündlichkeit hält strukturelles Potenzial bereit, um die beiden Welten für die Zeit der Rezeption in eine Beziehung zu bringen, die die Rezeptionsdisposition der Zuhörerschaft steigert. Konzeptionelle Mündlichkeit erzeugt Spannung, involviert die Zuhörer in das fiktionale Geschehen.

      3 Konzeptionelle Mündlichkeit kann in einer weiteren hörerbezogenen Funktion eingesetzt werden. Es ist davon auszugehen, dass ein Diskurs, der seinen mündlichen Rezeptionsmodus mitbedenkt, anders gestaltet wird als ein ausschließlich zur schriftlichen Rezeption produzierter Text. Der Mündlichkeitsbezug stellt Mittel zur Diskursstrukturierung zur Verfügung, die darauf ausgerichtet sind, den Rezeptionsmodus in Mündlichkeit zu berücksichtigen, d.h. die Prozesshaftigkeit, Flüchtigkeit und Irreversibilität der mündlichen Rezeption (Kap. 3.5.1) auszugleichen. Konzeptionelle Mündlichkeit hält strukturelles Potenzial zur hörerbezogenen Diskursstrukturierung bereit. Dieses Potenzial kann pädagogisch zur Regulierung der (fremd-)sprachlichen Rezeption genutzt werden.

      Aus den genannten Gründen ist davon auszugehen, dass die Lehrkräfte bei der Auswahl der Erzählung bereits ihre künftige Rolle als reale Erzählerinnen und Erzähler bedenken und demzufolge die mediale Mündlichkeit der Erzählsituation und die performative Gestaltung ihres Erzählens im Blick haben – oder sich von der Erzählung für eine bestimmte Performance inspirieren lassen. Die Möglichkeiten der Modellierung der konzeptionellen Mündlichkeit werden deshalb im folgenden Kapitel dargestellt.

      3.5.3 Modellierungsmöglichkeiten konzeptioneller Mündlichkeit

      Die konzeptionelle Mündlichkeit eines Textes bzw. Diskurses übernimmt in der werkinternen Kommunikation die Rolle eines Gegenpols zur konzeptionellen Schriftlichkeit. Beide Prinzipien bilden ein Spannungsfeld, zwischen dem sich der Text bzw. Diskurs bewegt, wobei die konzeptionelle Schriftlichkeit1 das Prinzip kommunikativer Distanz, die konzeptionelle Mündlichkeit das Prinzip kommunikativer Nähe darstellt. Zur begrifflichen Unterscheidung zwischen konzeptioneller Schriftlichkeit und konzeptioneller Mündlichkeit als Gegensatzpaar zur medialen Schriftlichkeit / Mündlichkeit stütze ich mich im Wesentlichen auf die Ergebnisse der Oralitätsforschung von Koch / Oesterreicher (1985) und des Freiburger Sonderforschungsbereichs „Übergänge und Spannungsfelder zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit“ (Raible 1988b, 1991b, 1991c). Zur präzisen Erarbeitung der Kategorien für die funktionale Analyse des mündlich-fiktionalen Erzähldiskurses (Kap. 3.6) verbinde ich die in der Oralitätsforschung gewonnenen Gestaltungsprinzipien von Texten bzw. Diskursen mit denen der intermedialen Narrativik.

      Für eine Übertragung der Prinzipien СКАЧАТЬ