Название: Mündliches Erzählen als Performance: die Entwicklung narrativer Diskurse im Fremdsprachenunterricht
Автор: Gabriele Bergfelder-Boos
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
Серия: Giessener Beiträge zur Fremdsprachendidaktik
isbn: 9783823301189
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Während bei der Medialität der Mündlichkeit ein Entweder – Oder (Raible 1991b: 7) vorliegt, d.h. die narrative Präsentationsform entweder mündlich oder schriftlich erfolgt, ist die konzeptionelle Mündlichkeit graduierbar. Die Bezugnahme eines Textes bzw. Diskurses auf die mediale Mündlichkeit lässt sich demzufolge auf einem Skalar zwischen den Polen konzeptioneller Distanz und konzeptioneller Nähe positionieren. Die Regulierung des Verhältnisses zwischen konzeptioneller Nähe und konzeptioneller Distanz fasse ich als Modellierung der diskursinternen, konstruierten, konzeptionellen Mündlichkeit. Die Modellierung erfolgt mithilfe narrativer Verfahren, die sich den Merkmalen narrativer Texte bzw. Diskurse zuordnen lassen. Sie stehen dem schriftlichen Text wie auch dem mündlichen Diskurs zur Verfügung, werden jedoch unterschiedlich, im Hinblick auf das ‚Bedienen‘ des jeweils intendierten Rezeptionsmodus genutzt.
Die Bezugnahme narrativer Werke auf die Mündlichkeit kann in zwei „Großformen“ (Bergfelder-Boos /Bergfelder 2015: 11-13) realisiert werden2. Die erste Großform (A) setzt vor allem auf den „Schein mündlichen Kommunizierens“ (Ewers 1991b: 106) durch Illusionsbildung. Dafür stehen narrative Verfahren zur Verfügung, die an charakteristische Merkmale alltäglicher mündlicher Kommunikation anknüpfen bzw. sie fingieren, weshalb diese Verfahren auch als ‚fingierte Mündlichkeit‘ (Koch / Oesterreicher 1985: 24, Anm. 23, Müller-Oberhäuser 2004a: 475) bezeichnet werden. Als zweite Großform (B) stehen gattungstypologische Verfahren diverser Textgenres (wie z.B. die des Märchens, der Legende, aber auch der Novelle und des Romans) und der Rekurs auf poetische Verfahren vergangener oder aktueller poésie orale zur Verfügung (Zumthor 1983: 47, 62).
Die folgende Übersicht (Abb. 3) listet, aufgeteilt in die Großformen A und B, Ansatzpunkte zur Modellierung konzeptioneller Mündlichkeit auf:
Abb. 3:
Ansatzpunkte zur Modellierung konzeptioneller Mündlichkeit
Für die Großform A sind fünf Merkmale der Tiefen- und Oberflächenstruktur des narrativen Diskurses aufgeführt. Den Merkmalen werden unter der Rubrik Distanz-Prinzip und Nähe-Prinzip die Gestaltungsprinzipien der Merkmale zugeordnet3. Die mittlere Position (ausgeglichen) wird angezeigt, aber nicht begrifflich ausdifferenziert. Die Möglichkeiten der Modellierung konzeptioneller Mündlichkeit werden im Folgenden anhand der in der Übersicht aufgelisteten Gestaltungsprinzipien vorgestellt.
Großform A: fingierte Mündlichkeit:
① Erzählmodus: telling vs. showing:
Diese beiden Prinzipien des Erzählmodus (Antor 2004: 115) stehen in der Narrativik für die Prinzipien Diegese vs. Mimesis und bezeichnen ein dominant szenisches Erzählen (Wolf 2004: 157). Zwei Möglichkeiten der Modellierung sind für den Mündlichkeitsbezug wichtig.
1 Die eine besteht in der Regulierung der temporalen Beziehungen zwischen Geschichte und Erzählen (Fludernik 2010: 44-47, 103f., 113-115, Genette 1972: 77). Wichtigster Faktor ist hier das Erzähltempo, die durée (Genette 1972: 122-144, Reuter 1991: 76-83). Dieser Faktor hält auf der Distanz-Seite das Prinzip der Raffung (sommaire bei Genette 1972: 129, 130-133) bereit, bei dem Ereignisse größerer Zeiträume der erzählten Zeit zusammengefasst werden, auf der anderen Seite das Prinzip der Zeitgleichheit (scène bei Genette 1972: 141-144 ), das auf dem Prinzip der Dehnung beruht und zur Ausgestaltung von Szenen führt. Mithilfe der Szene-Technik kann der Eindruck vermittelt werden, die erzählte Handlung finde gerade zum Zeitpunkt des Erzählens statt. Szenische Gestaltung bedient das Prinzip der Gegenwärtigkeit und verleiht der Erzählung Anschaulichkeit und Dramatik.
2 Die zweite Möglichkeit besteht in der Regulierung des Verhältnisses von Erzähler- und Figurenrede. Ein Text mit ausschließlicher Figurenrede spielt ebenfalls mit der Vergegenwärtigung der Erzählung. Die Figurenrede suggeriert die Gleichzeitigkeit von Produktion und Rezeption. Im Extrem kann diese Gestaltung den Eindruck erzeugen, die Erzählung erzähle sich von alleine, ohne vermittelnde Erzählinstanz. Die Figuren scheinen direkt zum Adressaten zu sprechen (s. auch das monologische Sprechen in Rajewsky 2002: 125). Die dramatische Variante dieser Regulierung besteht in der direkten Rede, denn sie suggeriert die mediale Mündlichkeit der Origo-Situation.
② Erzählhaltung / Sprechhaltung
Was die Haltung des Erzählers gegenüber seinem Gegenstand und die Haltung und Gemütsverfassung der Figuren betrifft, so können sie oszillieren u.a. zwischen Situationsentbundenheit und Situationsverschränkung, zwischen Reflektiertheit und Involviertheit (Koch / Oesterreicher 1985: 23), Expressivität und Affektivität (a.a.O.).
Die beiden Pole „entspanntes vs. gespanntes Erzählen“ (Weinrich 2001: 47-53) sind sowohl dem Erzählmodus als auch der Erzählhaltung zuzuordnen. Entspanntes Erzählen führt den Adressaten der Erzählung weit in die Vergangenheit zurück. Dem gegenüber zoomt das gespannte Erzählen die Ereignisse nahe an die Gegenwart heran. Der Wechsel von entspanntem in gespanntes Erzählen kündigt die Höhepunkte der Erzählung an. Entspanntes Erzählen findet im Tempus der Vergangenheit (Tempusgruppe I, z.B. im imparfait und passé simple) statt, gespanntes im Tempus der Gegenwart (Tempusgruppe II: z.B. présent, passé composé). Der Gebrauch des Präsens in der gespannten Sprechhaltung (Weinrich 2001: 52f.) ist besonders für den Fremdsprachenunterricht wegen des Schwierigkeitsgrads der Vergangenheitstempora interessant und stellt ein Mittel performativer Gestaltung dar. Die erzählenden Lehrkräfte gestalten – ebenso wie die Erzählerin Marie-Célie Agnant (2006b) – die Phasen des Dramatisierens im Präsens, denn ihr performatives Erzählkonzept ist insgesamt auf eine gespannte, die Erzählsituation in die Gegenwart hineinholende Haltung ausgerichtet4.
③ Strukturierung der Erzählung / syntaktische Narreme
Was die Strukturierung der Erzählung betrifft, so gehören zum Prinzip der Distanz eine stringente Rhythmisierung der Erzählsequenzen und eine komplexe Gesamtstruktur. Das Nähe-Prinzip imitiert die assoziative Struktur alltäglicher, mündlicher Kommunikation. Die Gesamtstruktur erscheint hier einfach und vermittelt den Eindruck von Vorläufigkeit (Koch / Oesterreicher 1985: 23). Auf der Distanz-Seite sind außerdem syntaktische Narreme wie thematische Einheitsstiftung (Wolf 2002a: 50) und Teleologie (Wolf 2002a: 48) verortet. Auf der Nähe-Seite fehlt es der Kohärenzbildung an Elaboriertheit und die Themen können schon mal in alle Richtungen gehen.
Für die Analyse des empirischen Materials spielen die von Brinker / Ausborn-Brinker (2010: 30-31) als grammatische Kohärenzbildung bezeichnete Wiederaufnahme durch sog. Pro- Formen, die für die Nähe-Sprache typischen linearen Verknüpfungen (Heinemann / Heinemann 2002: 70f.) und die anaphorische Wiederaufnahme eine große Rolle.
④ Versprachlichungsstrategien
Mit der Gegenüberstellung von Distanz- und Nähe-Sprache beziehe ich mich auf die von Koch / Oesterreicher herausgearbeiteten „universale[n] Merkmale der Sprache der Nähe“ (1985: 27), aber auch auf weitere, vor allem auf pragmatisch ausgerichtete linguistische Forschungen.
Charakteristisch für die Distanz-Sprache ist eine СКАЧАТЬ