Mündliches Erzählen als Performance: die Entwicklung narrativer Diskurse im Fremdsprachenunterricht. Gabriele Bergfelder-Boos
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СКАЧАТЬ dieses Narrems kann die Abfolge der Handlungen und Geschehnisse so gestaltet werden, dass die Rezipierenden entdecken, worauf die Handlung abzielt, und damit in emotionale und / oder intellektuelle Spannung versetzt werden.

      Beim mündlich-fiktionalen Erzählen im Fremdsprachenunterricht wird als ein wichtiger werkexterner Faktor der Lernstand der Lerngruppe zu beachten sein. Aber auch das Alter der Lerngruppe, aktuelle Modeerscheinungen, bisher erworbene literarische Kompetenzen der Lernenden u.a.m. sind zu bedenken. Für die empirische Untersuchung interessant ist die Wechselwirkung zwischen werkexternen und werkinternen Faktoren. So ist es möglich, dass die Lernenden die Erzählwürdigkeit der gehörten Geschichte übereinstimmend auf Seiten der inhaltlichen Narreme sehen, während die Lehrkraft eher auf die qualitativen Narreme bei der Textauswahl setzt. Möglich ist auch eine individuell unterschiedliche Wahrnehmung und Beurteilung innerhalb der Lerngruppe.

      Als Konsequenz aus der Auseinandersetzung mit dem Prinzip der Erzählwürdigkeit ergeben sich weitere narrationsspezifische Aufgaben für die Akteure der narrativen Interaktion. Die Lehrkräfte als Erzählende haben die Aufgabe, die Erzählwürdigkeit der ausgewählten Geschichte auf werkinterner Ebene aus ihrer Perspektive zu definieren, diese in Beziehung zu dem von ihnen erwarteten Rezeptionsverhalten der Lernenden zu setzen und die Erzählwürdigkeit der Geschichte in ihrer Performance zum Tragen zu bringen. Die Lernenden als Zuhörende haben die Aufgabe, in der direkten Kommunikation Erzählwürdiges wahrzunehmen und dessen Erscheinungsformen für das individuelle Verstehen zu nutzen.

      3.3 Mündlich-verbales Erzählen (2): fiktionales Erzählen

      Da es sich bei den von den Lehrkräften ausgewählten Erzählungen um fiktionale und schwerpunktmäßig um Märchentexte handelt, wird im Folgenden das Spezifische des fiktionalen Erzählens in Mündlichkeit herausgestellt und vom konversationellen Erzählen abgegrenzt1. Die in der Literaturwissenschaft bis in die 90er Jahre kontrovers diskutierte Frage, ob Fiktionalität als eine Eigenschaft von Texten oder als eine Zuschreibung von Seiten der Rezipierenden zu verstehen ist (Hempfer 2002a: 117), ist auch für meine Studie relevant. Inzwischen besteht Konsens darüber, dass sowohl die Ebene des Textes als auch die der Rezeption zur Definition des Begriffes hinzugezogen werden müssen. Konsens besteht außerdem darin, Fiktionalität als ein ‚Spiel‘ bzw. als ein ‚Als-Ob-Handeln‘ (s. auch Barsch 2004: 181, Klinkert 2004: 30, Hempfer 2002a: 121), als ‚inszenierten Diskurs‘ zu begreifen, der die Wirklichkeit der Existenz der entworfenen Welten vortäuscht, die Rezipierenden aber auffordert, an diesem Spiel mitzuwirken. Das fiktionale Spiel realisiert sich dann, wenn beide Seiten mitspielen – wenn von Seiten des Textes eine „Einladung zum Eintritt ins fiktionale Universum“ (Genette: 1992: 49) und von Seiten der Rezipierenden „das mehr oder weniger stillschweigende Einverständnis“ (a.a.O.: 51) zum Eintritt in die Welt der Fiktion vorliegt. Eine solche Übereinkunft werde ich – in Anlehnung an den pacte auto­biographique und den Romanpakt von Lejeune – als einen pacte de fiction bezeichnen2. Damit der Fiktionalitätspakt funktioniert, braucht es einen Rahmen (z.B. den der öffentlichen Aufführung in der Institution Theater) und es braucht Rezipientinnen und Rezipienten, die sich auf den Pakt einlassen bzw. die Signale der Fiktionalen wahrnehmen können und wollen.

      Einen wichtigen Impuls zur Zusammenführung der textuellen und der pragmatischen Ebene geben Hempfers fiktionstheoretische Überlegungen, die sowohl textinterne als auch textexterne Aspekte der Fiktionalität in den Blick nehmen, so dass Fiktionalität als textstrukturelles und als interaktives Phänomen zwischen Rezipierenden und Text begriffen werden kann. Genau dieser Zusammenhang wird bei der empirischen Untersuchung eine Rolle spielen. Hempfers Ansatz liefert dazu passende Instrumente, indem er zwischen Fiktionsmerkmalen und Fiktionssignalen unterscheidet:

      Fiktionssignale sind kommunikativ relevant und damit notwendig variabel, sie garantieren, daß ein Text von den Rezipienten bei adäquater Kenntnis der zeitgenössisch jeweils gültigen Diskurskonventionen als ein fiktionaler verstanden wird – Fiktionsmerkmale sind demgegenüber Komponenten einer Theorie, die ein solches Verständnis zu rekonstruieren versucht, indem sie explizit die Bedingungen formuliert, die vorliegen müssen, um einen Text als – mehr oder weniger – fiktional einzustufen. (Hempfer 2002a: 119)

      Zentrale Fiktionsmerkmale sind die Doppelung der Sprechsituation in narrativen Texten (durch textexterne und textinterne Sprecherinnen und Sprecher bzw. reale Autorinnen und Autoren und implizite Erzählerinnen und Erzähler), ferner die bereits erwähnte ‚Als-Ob-Struktur‘ (Hempfer 2002a: 120) und eine „auffällige Ausgestaltung der textinternen Sprechsituation“ (a.a.O.). Letztere besteht in der fast unbeschränkten „Verfügungsgewalt über [die erzählte] Welt“ (a.a.O.), wie sie in nicht-fiktionalen Diskursen nicht möglich ist. Die Verfügungsgewalt des textintern Sprechenden äußert sich z.B. in den diversen Möglichkeiten der Perspektivierung und des Ausspielens erzählerischer Allwissenheit. Diese drei Merkmale lassen sich zur Modellierung der mündlich-fiktionalen Kommunikation und zur Abgrenzung des fiktionalen narrativen Diskurses gegenüber dem konversationellen Alltagserzählen nutzen.

      Was das erste Merkmal, die Sprechsituation, betrifft, so sind beim konversationellen Erzählen die mündlich Erzählenden im Augenblick des Erzählens gleichzeitig Autorinnen und Autoren3 und diskursinterne Erzählende ihrer Geschichte. Eine Verdoppelung der Sprechsituation liegt nicht vor. Beim mündlich-fiktionalen Erzählen bleibt der Unterschied zwischen Autorinnen und Autoren und diskursinternen Erzählenden erhalten. Die fiktionale Erzählsituation reguliert sich über den pacte de fiction. Die mündlichen Erzählerinnen und Erzähler können den Pakt explizit machen, indem sie ihrem Publikum erklären, dass sie eine ihnen zur Verfügung gestellte, gehörte oder gelesene Geschichte erzählen werden. Selbst wenn sie die Geschichte selbst erfunden haben, sind sie doch nicht mit dem diskursinternen Erzähler ihrer Geschichte identisch. Aber sie übernehmen dessen Rolle, denn sie werden in der mündlichen Situation zu Darstellerinnen und Darstellern des diskursinternen Erzählers. Sie eröffnen als ‚präsente‘ Erzählende ihrem Publikum die Möglichkeit, sich mit ihnen gemeinsam auf das ‚Als-Ob-Spiel‘ der Fiktion einzulassen.

      Das zweite Merkmal des Fiktionalen, das ‚Als-Ob-Spiel‘, liegt zum einen der erzählten Geschichte zugrunde und unterscheidet die fiktionale Erzählung von der auf Vermittlung tatsächlich erlebter Geschichten abzielenden konversationellen Erzählung. Es ist zum anderen auch als Rezeptionsprinzip präsent. Das Spielerische der Rezeption können die Erzählenden performativ verstärken durch den Einsatz entsprechender Mittel (Kap. 4.3).

      Auch über das dritte Merkmal von Fiktionalität, der Verfügungsmächtigkeit über die erzählte Welt, grenzt sich das mündlich-fiktionale vom konversatio­nellen Erzählen ab. Mündlich Erzählende können das in der Erzählung angelegte Mächtigkeitsprinzip performativ nutzen, indem sie mit dem Text und den performativen Gestaltungsmitteln flexibel umgehen. Sie können z.B. eine Passage der Erzählung kürzen, die andere ausgestalten oder das Verhalten der Figuren wie ein allwissender Erzähler verbal und non-verbal kommentieren und so mit der Perspektivierung der Narration spielen.

      Die Fiktionsmerkmale mündlich-fiktionaler Erzählungen manifestieren sich demzufolge in textuellen und pragmatischen Fiktionssignalen. Eine wichtige Rolle beim mündlich-fiktionalen Erzählen im Klassenzimmer spielen

       als pragmatische Fiktionssignale die Gestaltung der Kommunikationssituation und des Kommunikationsraumes, wozu die Übernahme der narrativen Jobs, die Haltung und inszenierte Aufmerksamkeitslenkung der Erzählenden sowie evtl. besondere räumliche Arrangements gehören,

       als paratextuelle Fiktionssignale Genrebezeichnungen und weitere textexterne Ankündigungen, besonders in der Phase der Darstellung von Inhaltsrelevanz (Kap. 3.2.2),

       als textuelle Fiktionssignale prototypische Oberflächensignale wie Eröffnungs- und Schlussformeln, genretypische Angaben zu Ort, Zeit und Personen (Nünning 2004c: 182) sowie narrationstypische Diskursmarker.

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