Genderlinguistik. Helga Kotthoff
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Genderlinguistik - Helga Kotthoff страница 16

Название: Genderlinguistik

Автор: Helga Kotthoff

Издательство: Bookwire

Жанр: Документальная литература

Серия: narr studienbücher

isbn: 9783823301523

isbn:

СКАЧАТЬ Werbung, Filme etc.) frappiert, ist, dass die Stimme sich nicht vor guter Laune und Freundlichkeit überschlägt, dass auch kein Gesäusel oder erotisches Gehauche zu vernehmen ist: Die Frau spricht als erwachsener, kaum genderisierter Mensch. Ihre StimmeStimme ist tief und entspannt, Sprechtempo und Stimmführung sind gleichmäßig und eben. Dies verdeutlicht, was ‚normalerweise‘ mit öffentlichen Frauenstimmen ‚passiert‘: Es wird overdoing genderoverdoing gender betrieben. Frauenstimmen werden Kinderstimmen angeglichen, oft wirken sie emotional und impulsiv. Männerstimmen werden dagegen monotoner inszeniert und wirken dadurch kompetenter (Kotthoff 2001). Der Einsatz weiblicher und männlicher StimmenStimme speziell in der Werbung wird in Kap. 14 vertieft.

      In Deutschland und vielen anderen Gesellschaften wird Geschlecht prosodisch (suprasegmental) an die StimmeStimme geheftet. Damit setzt dieses akustisch wahrnehmbare Merkmal direkt am Körper an, ähnlich wie Gestik und Mimik, die visuell wahrnehmbar sind. Diese Körpernähe darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass StimmenStimme im Laufe des Lebens erworben und gestaltet werden, ebenso wie Gestik und Mimik, und dass alle drei gerne naturalisiert (für angeboren gehalten) werden.

      3.1 Prosodie

      Die eingangs geschilderte Erfahrung macht deutlich, wie konstruiert weibliche und auch männliche StimmenStimme sind. Dies betrifft nicht nur Stimmen im öffentlichen Raum, auch die individuellen StimmenStimme enthalten weitaus mehr Kultur als Natur. Kaum etwas anderes an der Sprache hält man für so stark biologisch festgelegt wie die Stimme. Man muss sich jedoch nur in andere Gesellschaften begeben, um schnell festzustellen, dass die Menschen dort per se höhere, tiefere, rauhere, feinere, engere, sonorere, lautere etc. Stimmen bzw. modulierendere oder monotonere Stimmverläufe haben können als in Deutschland. Auch ein und dieselbe Person kann an sich selbst feststellen, dass sie beim Gebrauch einer anderen Sprache (z.B. Französisch) ihre Stimme anhebt (oder senkt). Selbst innerhalb Deutschlands gibt es Unterschiede: Eine StimmeStimme aus Bayern klingt anders als eine aus Hamburg. Niemand würde dafür Gene, Berge oder Meeresnähe verantwortlich machen. Man braucht auch nur 50 oder 80 Jahre zurückzugehen, um festzustellen, dass die StimmenStimme damals anders klangen. Frauenstimmen waren „nachgerade neurotisch“ hoch (Slembek 1995, 113). Diese kulturelle Stimmgestaltung umfasst ebenso die Genderisierung der StimmeStimme (Graddol/Swann 1989, 18–40). Es deutet vieles darauf hin, dass der größte Anteil an Stimm‚beschaffenheit‘ auf das Konto des sozialen Geschlechts (Gender) geht, also erlernt wird. Da Stimmen die Sprache nicht nur begleiten, sondern maßgeblich tragen, vermelden sie beständig die Geschlechtsinformation. Mehr noch als eine genderisierte Grammatik und Lexik prozessiert die Stimme permanent die Geschlechterdifferenz.1

      Nach Geissner (1991, zit. in Slembek 1995, 110) entfallen bei der Wirkung einer SprecherIn nur 30 % auf Wörter und Sätze und 70 % auf das Wie des Sprechens. Das heißt, der Prosodie ist höchste Relevanz bzgl. der Glaubwürdigkeit des Gesagten beizumessen.

      3.1.1 Die StimmgrundfrequenzStimmgrundfrequenz

      Um SkeptikerInnen gleich entgegenzutreten: Natürlich(erweise) haben Männer – kehlkopf- und stimmbandlängenbedingt – im Schnitt eine etwas tiefere sog. Stimmgrundfrequenz, d.h. ihr Spektrum oszilliert um ca. 100 Hz, das der Frauen um ca. 170 Hz (das heißt, die Glottis oder Stimmritze öffnet und schließt sich ca. 100- bzw. 170-mal pro Sekunde; zu Details der StimmeStimme s. Titze 1989; Moosmüller 2002). Diese Spektren variieren jedoch individuell stark, was zu Tonhöhenüberschneidungen zwischen den Geschlechtern führt: Es gibt viele Männer, deren Stimme natürlicherweise im unteren ‚weiblichen‘ Spektrum liegt bzw. umgekehrt sprechen viele Frauen im oberen ‚männlichen‘ Spektrum (ein oft vermuteter Bezug zwischen Stimme und Körpergröße besteht nicht). Außerdem praktiziert jede Person variierende Höhenspektren, womit auch gespielt werden kann (Bitten bringt man z.B. durch höhere Stimmen vor). So lösen allein schon verschiedene Gegenüber höhere (gegenüber Kindern, Tieren) oder tiefere Stimmlagen aus. Wie stark der natürliche geschlechtliche Überschneidungsbereich ist (nämlich ca. die Hälfte des weiblichen und männlichen Stimmspektrums), zeigen präzise Graddol/Swann (1989, 21). Diese Überlappung ist mit der Körpergröße vergleichbar: Auch wenn (in Deutschland) Männer im Schnitt ca. 12 cm größer sind als Frauen, gibt es viele Männer, die kleiner sind als Frauen bzw. umgekehrt. Dass jedoch in die allermeisten (Hetero-)Paare eine persistente einseitige Größen- und auch Altersdifferenz eingebaut ist, hat ausschließlich mit Gender zu tun (Hirschauer 1994; 2014). Würden Körpergröße und Altersabstand nicht zur Herstellung der Geschlechterdifferenz genutzt, gäbe es viel mehr Paare, bei denen die Frau größer und/oder älter ist als der Mann.

      Eine potentielle stimmliche Verwechselbarkeit wird jedoch gebannt, indem an die StimmeStimme weitere, kulturell induzierte Marker geheftet werden: Frauen sprechen sehr häufig höher als natürlicherweise und Männer tiefer. Leider gibt es nicht viele Untersuchungen dazu, wie stark Männer ihre StimmeStimme gestalten: Sprechen sie ebenso viel tiefer wie Frauen höher? Slembek (1995) bemerkt zumindest für die Stimmen in den Medien, dass Männer (und besonders Nachrichtensprecher) ihren natürlichen Tenor absenken: „Der Tenor reicht mit seinem Sprechstimmumfang weit in die Stimmregister von Frauen, dieser Stimmtyp ist in den Medien kaum zu hören“ (111). Auch Graddol/Swann (1989) weisen darauf hin:

      [M]en seem to be under some kind of social or psychological pressure to make their voices sound as different as possible from women (and, perhaps, vice versa). In fact it is not immediately obvious whether one sex plays a greater role than the other (22).

      In unserer Gesellschaft werden Männer mit ‚weiblichen‘ Merkmalen stärker stigmatisiert als Frauen mit ‚männlichen‘ (man nehme für diese Asymmetrie nur das Beispiel von Rock und Hose). Dies liegt daran, dass beide Geschlechter sich primär und vorrangig (negativ) definieren dadurch, nicht das andere Geschlecht zu sein. Dies gilt noch mehr für Männer als Inhaber des privilegierten Geschlechts. Deshalb dürften sie ein vitaleres Interesse daran haben, ihre StimmenStimme vor potentieller Verwechslung zu schützen. Hinzu kommt, dass Frauen, die ernst genommen werden möchten, ihre Stimmen absenken. Interessant wäre zu wissen, ob hohe Männerstimmen (per se – denn es gibt auch Männer ohne Stimmbruch) stigmatisierender sind (oder gar pathologisiert werden) als tiefe Frauenstimmen – oder ob eine Gesellschaft dem gar keine oder immer weniger Bedeutung beimisst. Frauenstimmen werden in aller Regel vergeschlechtlicht (gynisiert), indem sie verkindlichtVerkindlichung werden (Goffman 1979, 1981; Kotthoff 2001). Das geht über die bloße Tonhöhe weit hinaus.

      Untersuchungen aus den 1990er Jahren haben erwiesen, dass Japanerinnen eine StimmgrundfrequenzStimmgrundfrequenz von 225 Hz, Spanierinnen von 217 Hz und Amerikanerinnen von 214 Hz pflegen. Unter 200 Hz kamen nur Schwedinnen (196 Hz) und Niederländerinnen (191 Hz). Moosmüller (2002) betont den Konstruktionscharakter der StimmeStimme:

      Diese kulturspezifischen Unterschiede hängen u.a. auch mit dem Frauen- und Männerbild der jeweiligen Kultur zusammen (Ohara 1999) – eine hohe StimmgrundfrequenzStimmgrundfrequenz bei Frauen wirkt in Japan attraktiv und wird als ‚süß, angenehm, sanft, nett, höflich, ruhig, jung und hübsch‘ eingeschätzt, während Frauen mit einer tiefen Stimmgrundfrequenz als ‚eigensinnig, selbstsüchtig, direkt, aufrichtig und stark‘ wahrgenommen werden. (125).

      2017 war der Berliner Zeitung (24.02.2017) in einem Artikel über ein Leipziger Symposium zur StimmeStimme zu entnehmen, dass Männerstimmen heute im Durchschnitt bei 110 Hz liegen und Frauenstimmen bei 168 Hz, während letztere vor 20 Jahren noch bei ca. 220 Hz lagen. Michael Fuchs von der Universität Leipzig hatte eine Messung bei fast 2.500 LeipzigerInnen zwischen 40 und 80 Jahren durchgeführt. Lag die Frauenstimme also früher eine Oktave höher, so ist es heute nur noch eine Quinte, die sie von der durchschnittlichen Männerstimme unterscheidet. Die Männerstimme ist dagegen gleich geblieben.

      Es scheint also in der Tat mit dem veränderten Rollenbild der СКАЧАТЬ