Genderlinguistik. Helga Kotthoff
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Название: Genderlinguistik

Автор: Helga Kotthoff

Издательство: Bookwire

Жанр: Документальная литература

Серия: narr studienbücher

isbn: 9783823301523

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СКАЧАТЬ im Leben. Sie muss nicht mehr beschützt werden. Deshalb klingt sie auch anders. (Fuchs 2017)1

      Michael Fuchs stellt in einem Interview2 außerdem fest, dass sich die weibliche StimmeStimme auch biografisch senkt, was nicht biologisch, sondern sozial motiviert sei. Mädchen nach der Pubertät starten noch mit (den alten) 220 Hz, um sie zwischen 20 und 40 Jahren, wenn sie mehr und verantwortungsvollere Rollen einnehmen, um ca. 50 Hz zu senken.

      

Historische Stimmveränderungen: Männer verlieren sozial mit einer hohen StimmeStimme. Frauen haben dies früher sowohl mit einer hohen als auch mit einer tiefen Stimme getan. Lange hat man sie vom Verlesen von Nachrichten abgehalten, da man die Glaubwürdigkeit derselben bedroht sah (zum Autoritätsdefizit weiblicher StimmenStimme, auch zur Absenkung von Margaret Thatchers Stimme s. Graddol/Swann 1989, 35–39). Dabei hat sich seit den 1960er Jahren zuerst in den USA, dann auch in Europa einiges geändert: Tiefe Stimmen werden heute auch bei Frauen als sachlich, vertrauenswürdig und kompetent wahrgenommen. StimmbildnerInnen arbeiten auf tiefere Frauenstimmen hin. Slembek (1995) stellt fest, dass die deutschen Synchronstimmen US-amerikanischer TV-Serien Ende der 1950er Jahre deutlich über den weiblichen Originalstimmen lagen und „extrem melodiös“ (109) waren, also modulierten: „[D]ie Stimme gelangt in solche Höhen, dass sie gelegentlich wegbricht“ und „kaum je ihren Normalsprechtonbereich“ erreicht (ebd.).

      Für die meisten Trans-PersonenTrans-Personen (TransidentenTransidente) stellt die Bearbeitung ihrer StimmeStimme ein großes Thema dar. Sie arbeiten intensiv daran, ihre Stimmen den Erwartungen an die jeweilige Geschlechtsklasse anzupassen. TransmännernTransmänner kommt entgegen, dass Testosteroneinnahmen auch (lange) nach der Pubertät einen Stimmbruch verursachen, während TransfrauenTransfrauen vor der ungleich höheren Herausforderung stehen, ihre tiefe Stimme mit logopädischer Begleitung, durch intensives Stimmtraining und nicht selten durch eine Kehlkopf- bzw. Stimmbandoperation anzuheben: „Der […] ungleiche Erfolg der Hormonbehandlung transsexueller Männer und Frauen lässt für letztere eine ‚Behandlungslücke‘ offen, an der Stimmpädagogik und Kosmetik arbeiten“ (Hirschauer 1993a, 233). Außerdem ist die Stimme mit optischen Markern wie Kleidung, Frisur und Bewegungen (und – vor allem – dem neuen Namen, Kap. 9.4) in Kongruenz zu bringen, um ein ‚Missgendern‘ zu verhindern. Auch dieses Markerzusammenspiel gestaltet sich für TransmännerTransmänner einfacher als für TransfrauenTransfrauen. Transfrauen haben einen längeren Weg zurückzulegen, den sie übrigens mit ziemlich vielen gebürtigen Frauen teilen, indem sie sich einem anstrengenden Schönheitsdiktat unterwerfen (Hirschauer 1993a, 233–241; Lindemann 2011; Schmidt-Jüngst 2018b). Dass es bei der Stimme jedoch weniger um Stimmhöhe als um erworbene Gendermerkmale geht, belegen die Äußerungen einer Stimmbildnerin, die Hirschauer (1993a) zitiert:

      Die Verweiblichung der Stimme bestehe nicht so sehr in einer Frequenzerhöhung, sondern darin, dass ‚schlanker und schmaler, irgendwie weicher und mehr vorne‘ artikuliert wird und die Klientinnen mehr Mut zum Spielen mit ihrer Stimme bekommen (236).

      Damit ist genau das angesprochen, was die folgenden Abschnitte zeigen: Die weibliche StimmeStimme soll

       mehr modulieren,

       variabler werden („Spielen“),

       ihr Timbre verändern („weicher“), und womöglich sollen

       die Wörter überpalatalisiert werden („mehr vorne“), was kindliches Sprechen imitiert.

      Auch Forschungen zum Englischen unterstreichen die Tatsache, dass neben der Tonhöhe weitere (kulturspezifische) Gendermerkmale über den Transitionserfolg entscheiden (s. Thornton 2008; McNeill 2006).

      3.1.2 Schwankungen der StimmgrundfrequenzStimmgrundfrequenz

      An die anatomisch mitbedingten Tonhöhenunterschiede werden weitere, ausschließlich kulturell induzierte, erworbene Gendermarker geheftet, deren Hauptsinn in der Binaritätsverstärkung bzw. Ambiguitätsbannung liegt. So wurde nachgewiesen, dass deutsche Frauen auf den Äußerungssequenzen (meist: Sätze) stärkere Modulationen (Stimmgrundfrequenzschwankungen, Tonhöhenbewegungen) vornehmen als Männer. Diese Schwankungen werden durch eine stimmlose sog. Knarrstimme (creaky voice) unterstützt, bei der die StimmeStimme auf unter 150 Hz abstürzt. So wird der „Singsang“ oder auch das Zerdehnen („tschühüüüs!“), was Emotionalität und Expressivität, aber keine Autorität vermittelt und an die Impulsivität von Kindern erinnert, von mehreren Seiten her bedient und abgesichert. Diese Zutaten machen das doing gender durch StimmeStimme besonders offenkundig. Doing gender wird schon früh erlernt und es erklärt, weshalb man auch Kinderstimmen lange vor dem Stimmbruch ein Geschlecht zuweisen kann. Hinzu kommt, dass schon kleine Mädchen erhöhte Stimmgrundfrequenzen praktizieren. Graddol/Swann (1989, 25) berichten von einer (nicht-repräsentativen) Studie über einjährige Kinder, die ihre Stimmhöhe imitierend an ihr Gegenüber anpassen, je nachdem, ob sie mit ihrem Vater (tiefer) oder ihrer Mutter (höher) sprechen. (Zu prosodischen Geschlechterunterschieden in Europa und den USA s. Graddol/Swann 1989, 12–40 und Klann-Delius 2005, 39ff.).

      3.1.3 Äußerungsfinale Tonverläufe und weitere Merkmale

      Normalerweise sinkt die StimmgrundfrequenzStimmgrundfrequenz zum Äußerungsende hin ab (terminaler Verlauf) – es sei denn, die Äußerung wird fortgesetzt, dann bleibt sie gleich oder geht leicht nach oben (progredienter Verlauf). Bei einer Frage geht sie sogar steil nach oben (interrogativer Verlauf) (Moosmüller 2002, 121). Hier eröffnet sich eine große Plattform für doing gender, indem Frauen – früher noch mehr als heute – ihre Äußerungen häufig mit steigendem Verlauf beenden, was zum einen die generelle Stimmgrundfrequenz erhöht, zum anderen eine Feststellung als Frage wirken und der Äußerung insgesamt Unsicherheit zukommen lässt („Klein-Mädchen-StimmeStimme“ nach Moosmüller 2002, 127, die auch Diagramme für diese Phänomene liefert, u.a. für eine Frauenstimme mit max. 344, min. 220 und durchschnittlich 250 Hz). Im Berufsleben sind nach Moosmüller (2002, 128) dagegen monotonere und tiefere Frauenstimmen anzutreffen.

      Für das Englische liegen mehr Untersuchungen vor. In Kap. 7 thematisieren wir ein prosodisches Phänomen, das mit einem syntaktischen (der Stellung von Nebensätzen) kombiniert wird und bei Frauen die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass das Gegenüber den sog. Turn (die Redesequenz) übernimmt. Männer tun das weniger und sichern sich dadurch eher das Rederecht.

      Männliche Stimmverläufe werden deutlich monotoner gestaltet. Insgesamt manifestiert sich die VerkinderungVerkindlichungVerkinderungVerkindlichung von Frauen (Goffman 1979, 1981) sprachlich nirgendwo so deutlich wie in ihrer StimmeStimme (zur Eltern-Kind-Metaphorisierung der Paarbeziehung in der Werbung s. Kap. 14.2.3.). Ob und wie stark durch äußerungsfinale Gestaltungen auch Männerstimmen zusätzlich genderisiert werden, ist unzureichend erforscht.

      An weiteren Merkmalen können Lautstärke, Sprechtempo und Wechsel des Stimmverlaufs ebenfalls Gender indizieren. Dabei wird (in Europa und Amerika) die emotionalere, unsicherer bzw. kindlicher wirkende Variante mit Weiblichkeit assoziiert. Stimmqualitäten kommen ebenfalls zum Einsatz. Die oben erwähnte Knarrstimme (creaky voice) tritt bei Männern eher äußerungsfinal auf und ist dort mit Männlichkeit assoziiert. Behauchte StimmeStimmen (breathy voice) sind dagegen bei Frauenstimmen v.a. im Fernsehen und in der RadiowerbungRadiowerbung anzutreffen und suggerieren Entspanntheit, auch Erotik. Alles in allem liegt der Schluss nahe, dass gerade weil die StimmenStimme von Frauen und Männern natürlicherweise so ähnlich sind, es in geschlechtsgläubigen Gesellschaften umso dringlicher ist, sie möglichst über mehrere Verfahren des doing gender voneinander zu distanzieren, wenn nicht zu polarisieren. Alle diese geschlechtsdifferenzierenden Ausgestaltungen werden in Fernsehen, Radio СКАЧАТЬ