Название: Genderlinguistik
Автор: Helga Kotthoff
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
Серия: narr studienbücher
isbn: 9783823301523
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Wenn West und Fenstermaker „doing“ hier „in relation to normative conceptions“ setzen, kommen sie dem durchaus nahe, was wir mit Ochs (1992) als „indexing“ fassen. Sie vernachlässigen aber, dass Gender oder Klasse bereits in Institutionen so eingeschrieben sein kann, dass das Individuum nur wenig tun muss. In vielen institutionellen Bereichen finden sich z.B. in den dort vertretenen Berufen und Machtbereichen Indikationen von Gender.Es sei hier nur kurz angemerkt, dass auch doing class ein sehr problematisches Konzept ist. Gesellschaftliche Klassenverhältnisse sind primär ökonomisch basiert. Wie Ökonomie und Kommunikation zusammengehen, lässt sich im Rahmen dieses Buches nicht klären.
Wenn man für die soziale Konstruktion von Gender eine Relevanzabstufung zwischen den Polen des „doing“ und „undoing“ versucht (Kotthoff 2002a; Günthner/Franz 2012), muss man Praktiken und stilistische Realisierungen derselben verorten, die hinter dem Rücken der Beteiligten und nur „nebenbei“ auch noch Geschlechterrelevanz ergeben. Sie sind als Einzelphänomene nicht salient und treten nur bei eklatanter Abweichung vom Erwartbaren ins Bewusstsein. Erst die Forschungsperspektive kann in den Verhaltens- und Handlungsweisen von Menschen Bezüge zu Gender aufdecken.
Ochs nahm den Befund, dass es für viele sprachliche und kommunikative Verfahren wenig Exklusivität der Genderanzeige gibt (viele Namen sind exklusive Kennzeichnungsverfahren, auch beispielsweise morphologische Markierungen am Verb in slawischen und einigen anderen Sprachen, Kap. 6 und 8), zum Anlass, über nichtexklusive Verfahren der Geschlechtsanzeige nachzudenken. Die Verfahren verlangen die Interpretation der Beteiligten, welche innerhalb von Handlungsgemeinschaften gelingt. Aktivitäten und stilistische Realisierungen von Aktivitäten verweisen auf historisch entstandene soziale Typen, welche so tradiert oder variiert werden können.
Indexikalität1 ist eine Beziehung des Verweisens (Charles Sanders Peirce nach Pape 1993). Das Pronomen ich verweist direkt auf den Sprecher/die Sprecherin, referiert auf ihn/sie (Indexikalität 1. Ordnung). Silverstein (1976) diskutiert auch nichtreferenzielle Indexikalität, wie sie z.B. durch bestimmte Intonationskonturen kommuniziert werden kann (Indexikalität 2. Ordnung). Die Intonationskontur geht z.B. eine assoziative Verbindung mit einem Gefühlsausdruck ein (Tonsprung nach oben kann auf Begeisterung hindeuten). Erst je nach Verbindung mit anderen Phänomenen (wie dem verwendeten Vokabular und der ablaufenden Handlung) konkretisiert sich aber die Beziehung als typisch für ein Gefühl oder jemanden, dem ein solcher Gefühlsausdruck zugeschrieben wird. Das häufige, begeisterte Ausrufen von „super“ und ähnlich positiven Adverbien kann Weiblichkeit indexikalisieren, eine Indexikalität 2. Ordnung anzeigen, wenn der häufige Ausdruck von Begeisterung und Freude in der Gesellschaft für Frauen als normal eingespielt ist. Dann kann er auch für ParodiezweckeParodie genutzt werden.
Da die meisten Namen eindeutig auf ein Geschlecht verweisen (Nübling et al. 2015, hier Kap. 8), sprechen wir mit Silverstein (1976) von „referenzieller Indexikalität“ oder von Indexikalität 1. Ordnung. In der Grammatik des Deutschen verweisen Pronomen der dritten Person Singular direkt auf das Geschlecht von Personen und Genus des Substantivs (Kap. 4). Auch Verwandschaftsbezeichnungen wie MutterMutter, VaterVater, Onkel, Tante usw. verweisen direkt auf Geschlecht (Kap. 7).
Selbst die Verbindung von Gattung und Geschlecht kann einfach und direkt sein, wenn bestimmte Gattungen gesellschaftlich fest an eine GeschlechterrolleGeschlechterrolle gebunden sind (etwa die Predigt in der katholischen Kirche). Oft sind kommunikative Gattungen allerdings nur im Rahmen patriarchaler Ideologien genderisiert. Klatsch wurde oft als weibliches Betätigungsfeld abgewertet, was sowohl in der Zuordnung falsch ist (Johnson/Finlay 1997), als auch in der generellen Abwertung (Bergmann 1981). Lamentationen beispielsweise werden in vielen Kulturen ausschließlich von Frauen praktiziert (Kotthoff 2002b) und bestimmte Jagdgesänge oder verbale Angriffsspiele nur von Männern. Für bestimmte Tätigkeitskomplexe hat sich eine exklusive geschlechtliche Arbeitsteilung herausgebildet, innerhalb derer die kommunikative Gattung dann funktioniert (Günthner 2001). Wenn die in der Gattung ausgedrückten Emotionen, z.B. die der Trauer in georgischen Lamentationen, eher mit Frauen als mit Männern assoziiert werden, fungieren sie als ein Genderindex zweiter Ordnung.
Der Emotionenausdruck der Trauer ist nicht exklusiv weiblich, jedoch historisch eher mit dem öffentlich sichtbaren Trauern von Frauen verbunden. Bis ins letzte Jahrhundert hinein trugen Witwen beispielsweise länger die schwarze Trauerkleidung als Witwer. Mit Cameron (1997) plädieren wir dafür, bei der Erforschung von Sprechen und Geschlecht nicht von stabilen Korrelationen auszugehen, sondern eher davon, dass Stile (und meist auch Gattungen und andere Sprechaktivitäten) in soziale PraktikenKommunikative Aktivität eingebettet sind, in denen auch Gender (neben anderen sozialen Parametern) relevant gesetzt werden kann, aber nicht muss. Eckert/McConnell-Ginet (1992) betonen, dass unser Sprachverhalten von den Aktivitäten geprägt ist, in denen wir uns engagieren und soziale Beziehungen eingehen. Cameron (1997, 34) unterstreicht, dass durch den Begriff der kommunikativen PraxisKommunikative Praktik die Relationen von Sprache, Sprechen und Geschlecht zu vermittelten Relationen werden.
2.3 Indexikalität erster und zweiter Ordnung
Wir erkennen seit einiger Zeit, dass Geschlecht im Sprachverhalten kaum kontextübergreifend immer auf dieselbe Art und Weise symbolisiert wird (Günthner/Kotthoff 1991), aber dass es doch stilistische Verfahren gibt, die im Zusammenhang von Handlungen auch auf Gender verweisen. Wenn spezifische Sprechaktivitäten und ihre stilistischen Realisierung in der Gesellschaft mit historisch entstandenen Assoziationen verbunden sind, können sie u.a. eine besondere Ausprägung von Gender indizieren (eine über Interpretation hergestellte Indexikalität zweiter Ordnung). So entstandene Genderfolien eignen sich dann für die Inszenierung verschiedener Identitäten. Mit einem zurückhaltenden Gesprächstil (der traditionell eher als feminin gesehen wird) kann ein Mann sich z.B. in einem bestimmten Kontext als „Nicht-Macho“ oder als „neuer Mann“ inszenieren, eine Frau sich hingegen mit der gleichen Verhaltensweise als traditionelle Frau, da herkömmlich verschiedene Anzeichen für verbale Zurückhaltung am stärksten bei Frauen gefunden wurden. Ochs (1992, 337) versteht es so, dass Gender mit bestimmten PraktikenKommunikative Aktivität und Verhaltensweisen in eine assoziative Verbindung tritt, die kulturtypisch ist.
Pavlidou (2011, 412) erläutert die Position von Ochs zu indirektem Indizieren so, dass dies über Normen, Erwartungen und Präferenzen, die in einer spezifischen Handlungsgemeinschaft erkennbar sind, Aktivitäten mit Images von Männern und Frauen verbindet. Dann haftet ihnen Genderisierung an. Das wird nun an einem Beispiel verdeutlicht.
2.3.1 Jungen inszenieren eine weiblich assoziierte kommunikative Gattung
Gobiani/Kotthoff (2014) diskutieren einige Freizeitszenen aus einer georgischen Schülerclique, in der einige Jungen mit einem weiblich konnotierten Klagediskurs einen anderen Jungen aufziehen, der sich verletzt hatte und Schmerzenslaute von sich gab. Schmerzenslaute und -formeln sind in Georgien weiblich assoziiert (vgl. z.B. Kotthoff 2007). Dies streichen die Jungen heraus, indem sie im ironischen AufziehenAufziehen des verletzten Freundes Formeln verwenden, die sich in Georgien hochfrequent in den Lamentationen von trauernden Frauen finden (Kotthoff 2001). Für die Jungen ist es ein „weibliches Verhalten“, körperlichen Schmerz zu zeigen; sie beginnen in einer langen Interaktionssequenz, den verletzten Freund spöttisch mit den typischen Formeln lamentierender Frauen („Dein Leid mir“) indirekt zu verspotten. Sie imitieren Frauenstimmen und ihre Formeln aus rituellen Zusammenhängen der stark genderisierten Trauerklage. Solche Klageformeln verwenden georgische Mütter auch zur Warnung, wenn ihre Kinder gefährdet sind oder sich kritikwürdig verhalten, z.B.: deine MutterMutter soll dir sterben; warum bin ich am Leben; weh meinem Herzen (Kotthoff 2002b). Durch СКАЧАТЬ