Название: Genderlinguistik
Автор: Helga Kotthoff
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
Серия: narr studienbücher
isbn: 9783823301523
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Wir beginnen mit dem linguistisch eher vernachlässigten Klassifikationssystem der Deklination. Hier fragen wir nach seinen Bezügen zum grammatischen (Genus), zum menschlichen und zum tierischen Geschlecht. Da Deklination und Genus partiell interagieren, sei schon hier vorausgeschickt, dass es einen sehr engen Bezug zwischen Geschlecht und Genus gibt: Fast alle Frauenbezeichnungen sind feminin und Männerbezeichnungen maskulin. Die Nominalklassifikation der Deklination wurde bislang von der feministischen Linguistik übersehen. Da diese sprachaktivistisch ausgerichtet ist, nimmt sie eher solche Phänomene in den Blick, die ‚kurier-‘ oder ‚justierbar‘ erscheinen. In diesen Bereich fallen Flexionsklassen nicht. Eine Genderlinguistik muss auch diesen sehr tief liegenden Bereich der Grammatik beleuchten. Denn die Grammatik bildet das Zentrum, den eigentlichen Stoff, die Identität einer Sprache.
4.2 Deklination und Geschlecht
Das Deklinations- oder Flexionsklassensystem stellt eine sehr alte und grammatisch tief angelegte, eher „versteckte“ Klassifikation dar, die sich Bewusstsein und Reflexion noch mehr entzieht als die Genusklassifikation. Deklinationsklassen manifestieren sich noch subtiler: Während Genus, obwohl jedem Nomen inhärent, am Nomen selbst nicht erkennbar sein muss, dafür, umso sichtbarer, auf sog. Genusträgern wie Artikeln und Pronomen zum Ausdruck kommt (d-er Hund: m.), wird die Zugehörigkeit zu einer Deklinationsklasse am Nomen selbst markiert, aber sehr indirekt: Sie manifestiert sich (heute) in der Art und Weise, wie Substantive nach Kasus und Numerus flektiert werden, genauer, welche Allomorphe (d.h. Morphemvarianten, Affixe) sie hier verwenden. Sie sitzt also auf anderen Kategorien (Numerus, Kasus) auf und verhält sich damit parasitär.
Beispielsweise kann man den Plural mit -e (Hunde), -en (MenschenMensch) oder -er (WeiberWeib) bilden, auch kommen manchmal Umlaute hinzu (Füchse), manchmal nicht (Luchse). Außerdem gibt es Nullplurale (Lehrer) und reine Umlautplurale (Väter). Diese Verteilung ist nicht willkürlich, sondern sie folgt strikt der Deklinationsklassenzugehörigkeit des Nomens. Das Deutsche hat (je nachdem, wie man zählt) ca. acht Deklinationsklassen, während das Englische seine Deklinationsklassen komplett beseitigt hat; letzte Zeugen sind irreguläre Plurale vom Typ men, women, oxen, mice, feet.
Im Deutschen reicht es zur Bestimmung der Deklinationsklasse aus, den Genitiv Singular und den Nominativ Plural als die beiden Leit- oder Kennformen heranzuziehen, denn die gesamte restliche Flexion ist daraus ableitbar. Dabei interagiert diese Nominal- mit der Genusklassifikation, wenngleich keineswegs eng oder gar eins zu eins (s. Nübling 2008). Schließlich gibt es mehr Deklinationsklassen als Genera, und manche Deklinationsklasse beherbergt Substantive mehrerer Genera und umgekehrt. Interessanterweise teilen sich Maskulina und Neutra mehrere Deklinationsklassen, während Feminina immer eigene Klassen bilden, also (fast) nie mit Maskulina oder Neutra koalieren. Das war früher nicht so und hat sich erst in den letzten Jahrhunderten so ausdifferenziert und zugespitzt (Nübling 2008). Man spricht hier von der Entstehung einer Femininum/Nicht-Femininum-Opposition (Bittner 1994, 2003; Eisenberg 2013a). Nur die relativ junge Klasse mit s-Plural umfasst alle drei Genera (Unis, Studis, Abis), wobei die Feminina keinen s-Genitiv bilden (die Kosten der Uni-Ø) und sich insofern doch wieder von den Maskulina und Neutra abheben. Im Folgenden umreißen wir nur einige wenige Deklinationsklassen.
Die Attribute stark, schwach und gemischt beziehen sich ausschließlich auf die Form der Endungen: Schwache Flexion bedeutet n-haltige Endung sowohl im Gen.Sg. als auch im Plural (des Affe-n – die Affe-n), gemischt n-haltige Endung nur im Plural (der Frau-Ø – die Frau-en, des Ohr-s – die Ohr-en), stark weder n-haltige Endung im Singular noch im Plural (des Mann-es – die Männ-er).
4.2.1 Gemischte und starke Feminina
Die sog. gemischten Feminina stellen eine sehr große Deklinationsklasse dar, die fast sämtliche Feminina beherbergt. Sie bildet den Gen.Sg. mit Null und den Plural mit -(e)n: die FrauNom / der FrauGen / die Frau-enPl, die DameDame / der Dame / die Dame-n. Endet das Nomen auf -e [ǝ], tritt nur -n hinzu, andernfalls silbisches -en. Nicht nur diese Klasse, sondern alle Feminina verzichten heute auf jedwede Kasusmarkierung. Es existiert nur eine Singular- und eine Pluralform. Auch der Artikel (und das Personalpronomen) leistet nur eine rudimentäre Kasusmarkierung: So sind Nominativ und Akkusativ durchgehend identisch (synkretistisch), ebenso Genitiv und Dativ im Singular (Tab. 4-1).
Diese Kasusausdrucksdefizite beklagt Pusch (2011, 98ff.), da diese Synkretismen das Schreiben über Frauen, die mit anderen Frauen interagieren, erheblich behindern. Sie verursachen Ambiguitäten, die sich nur mit stilistisch aufwändigen, hölzern wirkenden Verfahren umschiffen lassen. Ein Beispiel ist der doppeldeutige Satz Niemand kannte sie so gut wie sie, während bei zwei (ebenfalls vorgenannten) Männern die Kasusdistinktion und damit Bezugnahme funktioniert: Niemand kannte er so gut wie ihn bzw. Niemand kannte ihn so gut wie er. Beim femininen Satz bleibe aber „völlig im Dunkeln, welche der beiden ‚sie‘ die andere so gut kennt. Ich könnte Bände erzählen über diese Problematik, die sich erst dann im vollen Maße auftut, wenn wir über Frauen schreiben wollen“ (100). Abhilfe lasse sich nur „mit dem hässlichen diese“ schaffen.
Singular | Plural | |||||||
Kasus | Artikel | gem. Dekl. (fast alle Fem.) | st. Dekl. (noch 35) | Artikel | gem. Dekl. | st. Dekl. | ||
Nom. | die | Frau | Tante | Braut | die | Frauen | Tanten | Bräute(n Dat.) |
Gen. | der | der | ||||||
Dat. | der | den | ||||||
Akk. | die | die |
Tab. 4-1: Die Deklination gemischter (gem.) und starker (st.) Feminina
Diese gemischte Klasse wird immer größer und hat schon fast alle Mitglieder der anderen Femininklasse, der sog. starken Klasse, übernommen, die sich – bis auf den Dat. Pl. – ebenfalls keinerlei Kasusdistinktion leistet und den Plural mit Umlaut & -e bildet: die BrautBraut / der BrautBraut / die Bräute (gegenwärtige Klassenwechsler sind Gruft und Flucht, die den Plural neben Grüfte, Flüchte auch schon mit Gruften, Fluchten bilden). Unter den noch verbleibenden ca. 35 starken Feminina befinden sich nicht viele Lebewesen, auch erfolgt die Räumung dieser СКАЧАТЬ